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Kapitalismus
Klimakrise

Kathrin Hartmann: “Der Kapitalismus hat auf die Coronakrise und die Klimakrise keine Antwort”

In der Klimakrise kommt die Frage nach der sozialen Gerechtigkeit zu kurz. Umweltschutz und Bio-Essen darf nicht Sache von Privilegierten werden. Das sagt Kathrin Hartmann, Autorin des Buchs “Grüner wird’s nicht”.
Sie erklärt, wie wir diesen helfen können, warum individueller ethischer Konsum nur wenig bringt und was wir aus der Corona-Krise lernen können.
 

 

MOMENT: In Ihrem Buch “Grüner wird’s nicht” schreiben sie, dass in der Klimakrise die soziale Frage nicht beachtet wird. Können Sie das kurz erklären?

Kathrin Hartmann: Es ist für die gesamte Diskussion problematisch, wenn versucht wird, das Ökologische und Soziale zu trennen. Es war immer so, dass es NGOs gibt, die sich ausschließlich auf Umwelt und Naturschutz fokussieren und die soziale Frage außer Acht lassen. Unternehmensfreundliche NGOs wie der WWF sind stark in Kritik geraten, zugunsten des Naturschutzes die Rechte von Indigenen zu verletzen. So etwas führt dann oft dazu, dass Menschen sich denken, dass Umweltschutz etwas für Wohlhabende ist. Das ist natürlich falsch, denn ärmere Menschen sind von Umweltverschmutzung sehr viel stärker betroffen. Sie leben in Wohnungen, die schlechter gedämmt sind, sie leben in Ausfallstraßen, wo sie Feinstaub und Schmutz viel stärker ausgesetzt sind, sie haben nicht denselben Zugang zur Gesundheitsversorgung wie Reiche. Letztere können sich dem ganz wunderbar entziehen.

Wie kann man ökologische und soziale Frage vereinen?

Hier darf der Gegensatz nicht der Bioladen sein, den wir uns leisten können müssen und der Aldi, bei dem viele gezwungen sind, einzukaufen, weil sie es sich sonst nicht leisten können. Wir müssen dafür sorgen, dass wir eine Landwirtschaft haben, die für alle gute, gesunde, leistbare Produkte herstellt. Und das würde gehen. Hier muss man sich die Frage stellen: Wer hat Interesse daran, dass dieses Lebensmittel- und Agrarsystem erhalten bleibt. Das sind Supermarktketten, die große Macht und Einfluss haben.

In Griechenland hat das die Solidarische Bewegung in großem Stil organisiert: So bekommen die ErzeugerInnen bessere Preise und für die KäuferInnen ist es günstiger als im Supermarkt, weil es keine Zwischenhändler gibt. Es ist also möglich, wird aber zum Beispiel durch die EU-Politik, die mehr Geld an Großbauern mit viel Grund ausschüttet, blockiert. Zu den Lebensmittelpreisen: Es gibt hier oft die Diskussion, dass Preise die ökologische Wahrheit sagen müssen. Das finde ich ein wenig schwierig, denn billige Preise sind auch politisch erwünscht. Dass man billig Lebensmittel kaufen kann, bewirkt auch, dass die Löhne niedrig bleiben können, dass der Hartz-IV-Satz niedrig bleiben kann, dass Renten niedrig bleiben können. Hinter billigem Essen stecken also auch Interessen.

Sie schreiben, dass Wohlhabende das höchste Umweltbewusstsein haben. Gleichzeitig haben genau jene Gruppen den größten ökologischen Fußabdruck. Das deutsche Umweltbundesamt nennt diese BürgerInnen „Klimabesorgte Klimasünder“. Doch die meisten wollen ja gar nicht Teil der Umweltzerstörung sein – was wäre die Lösung hierfür? Gibt es einen ethischen Konsum unter dem Kapitalismus?

Ethischen Konsum gibt es, wenn überhaupt, in kleinen Nischen, die aber wegen der hohen Preise nicht für alle offen sind. Ich unterscheide hier zwischen der ökologischer Landwirtschaft, die ich völlig befürworte, und dem Biohandel. Man kann versuchen, privat ökologisch sinnvoll zu konsumieren, wenn man die Möglichkeit hat, aber gleichzeitig muss man auf politischer Ebene kämpfen. Es ist am Ende keine Frage der individuellen Entscheidung, sondern eine Frage von Machtverhältnissen. Natürlich kann jeder sagen: Ich fahre nur mehr mit dem Rad, bin nicht mehr bei einer bestimmten Bank, kaufe eine bestimmte Sache nicht mehr ein. Mir geht es da nicht anders. Ich weiß aber auch, dass meine Entscheidung, keine Unilever-Produkte zu kaufen, den Konzern nicht abschaffen wird. Gegen die Machtverhältnisse kann man nur ankämpfen, wenn man sich zusammentut und solidarisch ist.

Wie unterscheiden sich die Folgen der Klimakrise für globalen Norden und Süden?

Man merkt im reichen globalen Norden nicht so stark, wie sehr die Zerstörung von Umwelt und Lebensgrundlagen mit Armut zu tun hat. Das merkt man natürlich im globalen Süden, wenn man sich die Regenwaldzerstörung ansieht und wie unmittelbar Menschen davon betroffen sind. Im globalen Norden ist das Gefühl, wie sehr das zusammenhängt, nicht so spürbar.

 

Welche Verantwortung haben wir gegenüber dem globalen Süden?

Unsere Verantwortung liegt darin, dass wir seit vielen Jahrzehnten nicht nur CO2 in die Luft blasen, sondern die Länder des Südens auch seit den Kolonialzeiten unterjochen. Wir bedienen uns an deren Land und Boden, an deren Arbeitskraft, an deren Leben. Natürlich haben wir eine Verantwortung in dem Sinne, dass man eigentlich Entschädigungen zahlen müsste für die Schäden, die man diesen Ländern angetan hat. Wir sind ihnen in jeder Form Solidarität schuldig.

Meine Recherchen in verschiedenen Ländern wie Bangladesch oder Brasilien haben gezeigt, dass es wichtig ist, dass wir uns als Zivilgesellschaft den Kämpfen anschließen. Ich habe die Leute vor Ort gefragt, was wir tun können, um solidarisch mit ihnen zu sein. Die meisten meinten: “Ihr müsst die Verschmutzer bei euch bekämpfen.” Im Süden kämpfen Menschen unter Einsatz ihres Lebens gegen die ökologischen Verheerungen. Ich habe selber Menschen kennengelernt, die deswegen umgebracht worden sind. Das heißt, wir im globalen Norden müssen dafür kämpfen, dass zum Beispiel eine andere, sozial und ökologisch gerechte Landwirtschaft möglich ist. Nur dann ist es für die Länder des Südens möglich, die Art von Landwirtschaft umzusetzen, für die Millionen KleinbäuerInnen seit vielen Jahren kämpfen. Wir beziehen ja in Europa von Palmöl bis Soja für die Fleischproduktion eine Menge von Produkten aus dem globalen Süden. Auch hier gibt es ein Machtgefälle mit Agrarkonzernen und multinationalen Konzernen. Wenn wir diese Kämpfe teilen, dann sind es keine rein ökologischen Kämpfe, sondern haben auch eine soziale und globale Komponente.

 

Stehen Klimakrise und Corona-Krise in einem Zusammenhang?

Dass Corona explizit etwas damit zu tun hat, kann man nicht direkt sagen. Aber diese Art von Pandemie schon. Es gibt Untersuchungen, die den Zusammenhang zwischen Pandemien wie Ebola oder Zika und der Zerstörung von Ökosystemen zeigen. Da gibt es Studien, die belegen, dass wenn Wälder zerstört werden und die Artenvielfalt abnimmt, Viren sich schneller verbreiten können. Durch die industrielle Massentierhaltung können sich diese Viren wunderbar verbreiten. Durch Urbanisierung, dadurch dass viele Menschen, gerade im globalen Süden wegen Landraub und Waldzerstörung dazu gezwungen werden, in die Städte zu ziehen, verbreiten sich dadurch Viren unter Menschen schneller. Da gibt es also Zusammenhänge. KlimawissenschaftlerInnen sagen schon lange, dass Pandemien eine Folge der Klimaerwärmung sein werden. Durch den zunehmenden Flugverkehr verbreitet sich so etwas global wahnsinnig schnell. Zwei Drittel aller Erreger sind in tropischen Gegenden heimisch, sind aber für Menschen nicht problematisch, wenn die Ökosysteme intakt sind.

Die Coronakrise ist wie die Klimakrise eine Krise, auf die Kapitalismus keine Antwort hat. Uns fällt auf die Füße, wie in den neoliberalen Jahren Krankenhäuser kaputt gespart wurden und plötzlich Profite machen mussten. Es hieß auch schon bei der Klimakrise beim CO2-Preis: Das macht der Markt. Und wenn es der Markt macht, kosten in der Coronakrise halt Atemschutzmasken nicht 50 Cent, sondern 15 Euro. Das ist ein Preisanstieg von 3000 Prozent. Wir können die Krise zumindest als Anlass nehmen und sagen: Corona hat gezeigt, dass dieses System das nicht in den Griff kriegen kann. Wir müssen dringend schauen, wie wir unser System so ökologisch und sozial transformieren, dass wir vor Bedrohungen wirklich geschützt sind.

 

Um die Corona-Krise zu bekämpfen wird wohl die Lösung sein, das Wachstum anzukurbeln. Bei der Klimakrise bräuchte es das Gegenteil: Die Wirtschaft müsste schrumpfen. Wie soll das gehen?

Es wird derzeit an Universitäten untersucht, wie das gehen könnte. Aber es gibt ja schon vorher Dinge, die man radikal ändern könnte. Ein anderes Landwirtschaftssystem wäre absolut möglich und könnte umgesetzt werden, genauso wie eine Verkehrswende. Kopenhagen wäre ein Beispiel. Dort hat man es geschafft, fast vollständig auf den Radverkehr umzusteigen. Es ist ja nicht so, dass daran die Wirtschaft kaputtgeht, im Gegenteil. Man kann in der Stadt jetzt spazieren, sich dort aufhalten. Im ländlichen Raum gibt es viele Untersuchungen die zeigen: Wenn dort wieder ein Anschluss an den öffentlichen Nahverkehr stattfindet, blühen diese Orte auf und plötzlich entstehen wieder Läden und Restaurants. Da geht nichts kaputt, da gibt es ein anderes Wachstum. Hier muss man diejenigen bekämpfen, die diese Veränderungen verhindern und damit Geld verdienen

 

Sie schreiben in Ihrem Buch über die Gefahr des Ökofaschismus. In der Coronakrise werden auch vonseiten von Rechten auch öko-faschistische Motive propagiert wie “Humans are the virus”.

Das ist furchtbar. Natürlich haben wir auf der einen Seite die ganze KlimwandelleugnerInnen rechte Parteien, Rechtsextreme. Andererseits gibt es die, die den Klimawandel und Naturschutz als Heimatschutz entdecken um zu sagen, dass keiner mehr reinkommen soll. Gefährlicher finde ich fast diese öko-faschistischen Tendenzen, dieser Trennung von Menschen und Natur – eben weil es auch in der gesellschaftlichen Mitte angekommen ist.

Zu sagen, “Humans are the virus, corona is the cure” ist eine fatale Behauptung, weil es diese Menschheit natürlich nicht gibt. Es gibt ein Machtgefälle zwischen dem globalen Norden und dem globalen Süden. Im globalen Süden leiden die Menschen heute schon am Klimawandel, zu dem sie gar nichts beigetragen haben. Diese Ansichten sind also völlig falsch, weil es natürlich eine Frage davon ist, wer hat was zu verantworten, welche Kräfteverhältnisse sorgen dafür. Weiters gibt es das wirklich öko-rassistische, brutale Argument der Überbevölkerung. Die „zu vielen“ sind natürlich die Menschen in den Ländern des Südens, vor allem in afrikanischen Ländern. Diesen Rassismus gibt es in der Klimadebatte und er wird in der Corona-Krise mehr oder weniger gelebt.  Also wenn wir uns die USA ansehen, wie viele Menschen dort betroffen sind und sterben, sind das zumeist People of Color und schwarze Menschen, die daran sterben. Diese Parallele des Machtgefälles werden wir beim Klimawandel auch haben.

 

Wir sehen jetzt in der Corona-Krise, wie schnell der Staat eigentlich reagieren kann mit Geld und gleichzeitig, dass sich viele Menschen solidarisch zeigen. Kann das ein Beispiel dafür sein, wie wir die Klimakrise miteinander angehen können?

Ich bin hin- und hergerissen. Es gibt Solidarität, die sicher aufgehen kann in neuen Forderungen. Solidarität ist dann gut und wichtig, wenn es etwas Größeres betrifft als das eigene Umfeld. Was mich hoffnungsfroh macht, ist, dass es viele Bewegungen und Versuche gibt, das aufrecht zu erhalten. Von Leuten, die nach wie vor dafür demonstrieren, dass Geflüchtete aus griechischen Lagern nach Europa geholt werden. Dass diese Solidarität grenzen- und länderübergreifend sein muss, das gibt es auf jeden Fall. Diese Wirtschaftshilfen – nunja, es ist sehr viel Geld und dieses Geld wird an Finanzmärkte gehen und an große Konzerne. Es werden nicht alle von diesem Geld profitieren . Aber warum wird nicht jetzt eine satte Vermögenssteuer beschlossen? Das Geld ist ja da. Da werden dann irgendwie Schuldenbremsen gelockert und da wird EU-Geld zur Verfügung gestellt, aber was überhaupt nicht diskutiert wird, sind die Reichen. Die sich noch dazu vor dieser Krise besser schützen können als alle anderen. Das ist wirklich eine Frage von fundamentaler Solidarität. Diese Reichen sind diejenigen, die von der Finanzkrise profitiert haben und noch reicher geworden sind. Mit unserem Geld wurden deren Einlagen und Vermögen gerettet. Die Folgen haben wir alle in den vergangenen Jahren tragen müssen. Dazu gehört, dass gegen den Klimawandel nichts unternommen wird und die Privatisierung der Gesundheitsversorgung voranschreitet. Diesen Zusammenhang endlich mal zu sehen, das wäre ein großer, solidarischer Akt: Die tiefe Kluft zwischen Arm und Reich, wer diesen Schäden ausgesetzt ist – und wer das alles zahlen soll.

 

Letzte Frage: Wie müssen wir unser Wirtschaftsmodell ändern, um die Klimakrise zu besiegen?

Es gibt bei vielen Dingen schon erprobte Alternativen. In der Landwirtschaft gibt es genügend Studien, die belegen, dass eine ökologische Landwirtschaft nicht nur im Norden gut funktioniert, sondern gerade auch im globalen Süden ohne Pestizide mit weniger Wasser sehr viel höhere Erträge bringt. Da ist dann tatsächlich wie beim Verkehr eine autofreie Innenstadt – in Wien ist es ja teilweise gelungen. Höhere Löhne und mehr Geld in die Gesundheitsversorgung. Die Autoindustrie sagt, dass die meisten Arbeitsplätze in der Autoindustrie sind. Bullshit, das stimmt nicht! Die sind in der Pflege. Das ist es, was uns allen so wichtig sein und bleiben wird. Das kann man alles umorganisieren, wenn man das möchte. Ich glaube, die wichtigere Frage ist: Wer verhindert die Alternative? Wer hat ein Interesse daran, dass es so bleibt? Wer verdient Geld damit? Die müssen wir bekämpfen. Gegen deren Vorteile müssen wir kämpfen. Es ist eine Frage der Machtverhältnisse von denen, die sich Privilegien sichern wollen und uns alle als Öko-DiktatorInnen beschimpfen wollen.

 

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