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Demokratie
Ungleichheit

Viele Anträge, keine Überlastung: Warum es zu keiner Asylkrise kommen wird

Die ÖVP sieht eine Asylkrise auf Österreich zukommen - und der Boulevard macht mit. Die sieht Lukas Gahleitner-Gertz von der Asylkoordination nicht - wohl aber ein Verteilungsproblem.

Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) hat in den letzten Wochen mit seinen Auftritten vielfach für Empörung gesorgt. Er präsentierte etwa eine Plakatkampagne mit dem Slogan “No Way, No Chance”, die mögliche Asylwerber:innen bereits im Heimatland von der Reise nach Österreich abhalten sollte, deren Nutzen von Expert:innen bezweifelt wird. Kurz darauf kam es zu einem denkwürdigen Auftritt in der ZiB2, bei dem Karner eine rechtswidrige Abschiebung relativierte.

Dass der Innenminister immer wieder Pressekonferenzen, Interviews und Aussendungen zu Migration macht, ist kein Zufall. Die ÖVP versucht, das Thema wieder in den Fokus zu rücken und sich als Hardliner zu positionieren. Sie warnt, gemeinsam mit einigen Medien, vor einer möglichen Überlastung des Asylsystems und einer “Asylkrise”. 

Was ist an den Warnungen dran und stecken Fakten dahinter? Wir haben Lukas Gahleitner-Gertz von der Asylkoordination Österreich dazu befragt.
 

MOMENT.at: Gibt es wirklich so hohe Zahlen bei den Asylanträgen und ist das Asylsystem deswegen überlastet?

Lukas Gahleitner-Gertz: Es gibt aktuell tatsächlich hohe Zahlen bei den Anträgen. Bei genauerer Betrachtung fällt auf, dass die Aussagekraft von der Menge der Asylanträge einfach nicht mehr dieselbe ist, wie früher. Man kann daraus nicht ableiten, dass diese Menschen auch tatsächlich in Österreich ein Verfahren haben werden. 

Bei genauem Blick auf die Zahlen sieht man, dass ein großer Teil dieser Menschen in andere Länder weiterzieht. Bei der Antragsstatistik scheinen diese Personen zwar auf, aber in der Grundversorgung bleiben die Zahlen stabil auf dem gleichen Niveau. Es kann keine Rede davon sein, dass wir eine Belastungsgrenze bei den Asylverfahren erreichen.

MOMENT.at: Was bedeuten die hohen Zahlen für die Behörden in der Praxis?

Gahleitner-Gertz: Zu Beginn bedeutet es einen Mehraufwand. Die Menschen müssen registriert werden und ihnen werden Fingerabdrücke abgenommen. Anfang August hat die Polizei allerdings ihr Vorgehen geändert: Früher wurde nach dem Prozedere auch noch ein Interview geführt. Jetzt wird den Menschen ein Zugticket in die Hand gedrückt, damit sie in die Bundesländer fahren. 

Es gibt also einen Mehraufwand, der ist aber sehr beschränkt und kann gut gemeistert werden. Bei den Asylverfahren, der Versorgung und der Betreuung dieser Menschen, kann nicht von einer wesentlichen Belastung die Rede sein.

MOMENT.at: Warum ziehen eigentlich so viele Menschen weiter, die einen Asylantrag stellen?

Gahleitner-Gertz: Wir müssen uns ansehen, woher die Menschen kommen. Die meisten Antragsteller kommen unverändert aus Syrien und Afghanistan. Die haben eine fast hundertprozentige Chance, einen Aufenthaltstitel zu bekommen. Es finden außerdem praktisch keine Abschiebungen in diese Länder statt.

Interessanterweise sind Afghanen die Gruppe, die am häufigsten weiterzieht. Zwischen 50% und 60% von denen, die einen Antrag stellen, ziehen weiter. Das verwundert natürlich. Aber eine mögliche Erklärung dafür ist, dass die Menschen am Anfang ihres Zulassungsverfahrens in Lagern sein müssen. Und das dauert aktuell immer länger. Die Menschen werden nicht in Bundesländer überstellt. Das erweckt bei ihnen den Eindruck, dass nichts weitergeht. 

Die anderen Flüchtlingsgruppen, die prozentuell stark vertreten sind – etwa Menschen aus Indien, Tunesien oder Marokko -, haben ihre Community vor allem in Ländern wie Italien oder Spanien. Die ziehen oft dorthin weiter, um einen Arbeitsplatz im landwirtschaftlichen Bereich zu finden.

MOMENT.at: Warum müssen die Menschen so lange warten, bis sie in die Bundesländer überstellt werden?

Gahleitner-Gertz: Das Problem sind auf jeden Fall nicht die vielen Asylanträge. Wir haben nämlich genau so viele Menschen in der Grundversorgung, wie vor zwei Jahren. Die Verteilung innerhalb Österreichs funktioniert nicht, wir haben einen Flaschenhals in der Bundesbetreuung, bei der Menschen monatelang in Lagern verharren müssen.

Eigentlich haben die Bundesländer die Verpflichtung, Menschen zu übernehmen, sobald ihr Verfahren in Österreich zugelassen ist. Derzeit sind fast drei Viertel der Antragsteller in den Bundesbetreuungseinrichtungen zugelassen und sollten daher gar nicht mehr dort sein, sondern auf die Länder verteilt werden. Aber die kommen ihren Verpflichtungen hier nicht nach. 

Einerseits stehen Wahlkämpfe im Hintergrund, andererseits gibt es ein großes finanzielles Problem. Die Unterbringung in den Ländern wird ja meistens von nicht-staatlichen Organisationen gemacht. Im März wurde der Tagessatz für die Grundversorgung von 21€ auf 25€ täglich für jeden Asylwerber angehoben. Das ist die erste Anpassung seit Jahren, mit der man einen Schritt in Richtung Kostendeckung machen kann. Davon, dass das lukrativ ist, sind wir natürlich weit entfernt. 

Diese Erhöhung wurde zwar bereits im Nationalrat beschlossen, aber bis auf Wien und Tirol zahlt die noch niemand aus. Um mehr Quartiere in den Bundesländern zu finden, braucht es aber mehr Geld. Da herrscht ein großes Missmanagement. Das nimmt man aber offensichtlich gerne in Kauf, um gewisse Bilder zu erzeugen – etwa, dass das Lager in Traiskirchen so überfüllt ist. Dabei haben wir einfach ein Verteilungsproblem.

MOMENT.at: Was steckt eigentlich hinter dem Sager von Innenminister Karner, dass Menschen aus Urlaubsländern bei uns kein Asyl bekommen können?

Gahleitner-Gertz: Das ist ganz einfach populistisch und faktenwidrig. Es geht dabei nicht um Information, sondern um Abschreckung. Man kann nicht einfach behaupten, dass es für Menschen aus gewissen Ländern keinen Schutz gibt. Es geht immer um eine Entscheidung im Einzelfall. Natürlich sind die Schutzquoten für manche Länder höher. Aber auch für Menschen aus Marokko, Pakistan oder Tunesien gibt es immer wieder Schutz.

Die Aussage und die Plakatkampagne sind eher für das Inland gemacht, um der Bevölkerung zu suggerieren, dass man was macht. 260.000€ in so eine Abschreckungskampagne zu investieren, halte ich für ein wenig zielführendes Mittel, irreguläre Migration zu bekämpfen.

Um der Schlepperei wirksam die Geschäftsgrundlage zu entziehen, braucht es endlich legale Flucht- und Migrationsmöglichkeiten – durchaus mit Bedingungen. Wenn es dagegen Verstöße gibt, kann etwa das Visum durchaus verfallen. Die Maßnahmen, die derzeit gewählt werden, halte ich aber für nicht effektiv.

MOMENT.at: Kommt jetzt eine Asylkrise auf uns zu, wie so manche Politiker:innen und Medien prophezeien?

Gahleitner-Gertz: Beim Asylsystem sehe ich überhaupt keine Krise. Wir haben dieselben Antragszahlen, die Behörden haben die notwendigen Mittel, um Schnellverfahren durchzuführen. Der Rückstau bei den Fällen wurde von der zweiten Instanz recht erfolgreich abgebaut. Unser System ist eigentlich allem gut gewappnet.

Ich sehe eher ein Problem bei den Unterbringungen auf uns zukommen. Wir haben neben dem normalen System auch sehr viele Schutzberechtigte aus der Ukraine. Die stellen momentan den weitaus größten Anteil der Schutzsuchenden. Trotzdem redet das Innenministerium lieber über 2000 indische Asylsuchende, die ohnehin binnen Tagen weiterziehen.

Gerade beim Wohnthema könnte es im Herbst zu Problemen kommen. Die Ukrainer:innen sind zu zwei Drittel privat untergebracht. Hier erfolgt aber viel zu wenig Unterstützung, deswegen drängen die Menschen immer mehr in organisierte Quartiere. Und da ist es jetzt schon eng.

MOMENT.at: Wie gut ist Österreich sonst mit der Hilfe für die Ukrainer:innen zurechtgekommen?

Gahleitner-Gertz: Es war auf jeden Fall ein gutes Zeichen des Innenministers, dass er den Menschen gleich am Anfang rasche und unbürokratische Hilfe zugesichert hat. Das hat die Stimmung auf jeden Fall positiv beeinflusst.

Seither ist aber wenig passiert, alles geht nur sehr langsam. Eigentlich ist das System darauf eingestellt, dass die Menschen organisiert untergebracht sind, die Verwaltung hatte Probleme, mit der Situation umzugehen. Derzeit sind zwischen 57.000 und 58.000 Menschen aus der Ukraine in der Grundversorgung untergebracht. Zum Vergleich: Im regulären System befindet sich etwa ein Drittel davon. 

Schön langsam kommt das System in die Gänge. Doch speziell die Landesverwaltungen, die ja für die Versorgung verantwortlich sind, sind oft überfordert. Im Winter könnte es dazu kommen, dass noch mehr Menschen aus der Ukraine zu uns kommen. Es braucht das Bewusstsein, dass diese Situation noch lange nicht vorbei ist.

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