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Arbeitswelt

Kindergarten in Österreich: Warum Vollzeit-Arbeit für beide Eltern meist nicht geht

Kindergarten in Österreich: Warum Vollzeit-Arbeit für beide Eltern meist nicht geht
Kindergärten in Österreich sind nicht lange genug geöffnet, um Eltern Vollzeitarbeit zu ermöglichen
Wer in weiten Teilen Österreichs wohnt, den kommt die Betreuung der eigenen Kinder teuer zu stehen: Kindergärten sind etwa in Niederösterreich nur von 7 bis 13 Uhr gratis. Eine Herausforderung für alle Beteiligten. MOMENT.at sprach mit betroffenen Müttern.

“Wir haben vier Kinder. Unser Jüngster ist aktuell im Kindergarten. Vollzeit zu arbeiten, geht sich nicht aus. Erstens, weil es mit der Betreuungssituation gar nicht vereinbar wäre. Zweitens, weil das nicht meiner persönlichen Vorstellung von Kindererziehung entspricht”, erzählt Franziska. Sie lebt in Niederösterreich, im Umland Wiens. Die Kinderbetreuung ist für sie in Niederösterreich nicht einfach. 

Der Alltag sieht so aus: Sie oder ihr Partner bringen die Kinder in den Kindergarten oder die Schule, dann geht es ab zur Arbeitsstelle. Mittags muss sie sich abhetzen, um ihre Kinder rechtzeitig abzuholen. Das hängt vor allem an ihr. Denn ihr Mann arbeitet wie viele Menschen aus der Region in Wien. Damit ist der Abholdienst und Mittagessen täglich Franziskas Job.

Kinderbetreuung in Österreich meist nicht Vollzeit-tauglich

Noch mehr trifft es die Gruppe der Alleinerziehenden. Andrea, selbst Elementarpädagogin irgendwo in Niederösterreich, erinnert sich an diese Zeit. „Das war ein Herumjonglieren, finanziell und zeitlich.“ Die vorschulische Kinderbetreuung ist in Niederösterreich – und auch in anderen Bundesländern – schlecht. Das geht über das Finanzielle hinaus.

Ein ähnliches Bild zeigen weitere Gespräche mit Eltern. Ganz offen darüber reden will aber kaum jemand, auch Franziska und Andrea heißen in Wahrheit ganz anders. Schnell bekäme man ein Stigma: Ihr könnt es euch eh leisten! Ihr Rabeneltern! Wollt ihr euch nicht um eure Kinder kümmern? Ist die Karriere wichtiger? Eltern, den Zahlen nach eigentlich eher Mütter, können es anscheinend niemandem recht machen. Aber die Knüppel, die ihnen in einigen Bundesländern zwischen die Füße geworfen werden, müssten wirklich nicht sein.

Mehr arbeiten, nur um die Kinderbetreuung zu zahlen

30 Wochenstunden, so lange ist der Kindergarten für die 2,5 (ab 2024 ab 2) Jahre alten Kinder gratis, von 7 Uhr in der Früh, bis 13 Uhr. Man muss gerade einmal bis sechs zählen können, um zu sehen, dass sich eine Vollzeitstelle sogar mit klassischer Arbeitszeit unter Tags bei weitem nicht ausgeht. Wer länger arbeiten will oder auch zeitliche Flexibilität braucht, hat also Pech gehabt.

Ganz besonders, wenn jemand sich die Betreuung über 13 Uhr hinaus nicht leisten kann. Die kostet mindestens 200 Euro pro Kind – Ganztagesbetreuung inklusive Materialbeitrag und Essen. Bei zwei Kindern ist die Vollzeitstelle rein finanziell im Schnitt ein Nullsummenspiel, weil die erhöhte Arbeitszeit bei dem gegenwärtigen durchschnittlichen Lohnniveau lediglich die Kosten der Ganztagesbetreuung decken. 

Zwei von drei Kindern können nicht lange genug betreut werden

Doch dabei hört es nicht auf. Laut einer Erhebung der AK Niederösterreich ist aktuell nur jedes dritte betreute Kind zwischen 0 und 5 Jahren in einer Einrichtung, deren Öffnungszeiten auch eine Vollzeiterwerbstätigkeit ermöglichen. Das heißt de facto: Pech gehabt.

Der Verzicht auf die Karriere ist vielerorts noch der Regelfall bzw. wird gesellschaftlich auferlegt. Dass auch Väter überhaupt in Karenz gehen, ist unterdessen ein Minderheiten-Programm.

Eine Beobachtung ist also: „Ohne Oma und Opa geht das nicht.“ Die haben aber beispielsweise Franziska und ihr Mann nicht zur Verfügung. Lediglich mittlerweile ältere Geschwisterkinder gibt es. “Die Großeltern haben schon ihre Kinder groß gezogen und meine älteren Kinder leisten schulisch viel und sollen auch Freizeit haben. Beide haben ein Recht darauf, ihr eigenes Leben zu leben”, mahnt sie ein.

Fehlanzeige Karriere und Personal

Am Ende geht das alles zu Lasten des Geldbörserls oder eben der Frauen. „Zu Mittag oder am Nachmittag sind es aller-maximal zehn Prozent Männer, die ihre Kinder abholen“, erklärt Andrea, selbst Kindergartenpädagogin. Das ist auch keine einzelne Beobachtung, sondern wird beispielsweise durch das Wiedereinstiegsmonitoring der Arbeiterkammer belegt. 

Und: Die Zahl der Väter in Karenz sinkt seit 2017. Franziska erzählt, Firmen scheuen sich davor, Frauen zwischen 28 und 42 einzustellen, sie könnten schwanger werden. Umgekehrt, dazu gibt es Untersuchungen, ist das genau die Zeit, in der es auf der Karriereleiter nach oben geht. Vielleicht, sinniert Franziska, müsse man Väter zu einer gleichlangen Karenz verpflichten, um diese Diskriminierung zu minimieren. 

Dazu kommen noch andere Dinge. Wenn sich dann Frauen doch dazu entschließen, die Kinder am Nachmittag betreuen zu lassen, sind sie gleich „Rabenmütter“, das berichten viele, mit denen wir gesprochen haben. Und Franziska stellt klar: „Auch wir Frauen haben uns eine Stunde Ruhe verdient nach der Arbeit. Ich will mich nicht ständig abhetzen … Es ist wichtig, dass man sich seine Zeit nimmt, egal was die anderen sagen.“

Kindergarten-Personal wird abgeschreckt

Beim Angebot kommt eine andere Frage hinzu: wie sich die Betreuung überhaupt ausgehen soll. Eine Ausweitung des Angebots scheitert mitunter am Personal. Eine lange Zeit aufgebautes Problem.

„Es steht und fällt alles mit dem Personalschlüssel“, erzählt Andrea. Derzeit betreuen die Pädagog:innen und Betreuer:innen – lediglich zwei bis fünf Prozent sind Männer – 25 Kinder, ab 2024 sollen es immerhin 22 sein. „Es gehen derzeit viele Altgediente, weil sie genug haben. Es geht viel Erfahrung verloren“, schlägt sie Alarm. Sie gehen in andere Jobs oder studieren, „sie haben genug von dem Irrsinn. Eltern sagen danke, Arbeitgeber eher nicht. Nach Corona wurde geklatscht. Manche Arbeitgeber bieten Sonderurlaubsstunden, die Ende des Jahres aber verfallen“. Viele können sie auch gar nicht nehmen, weil es zu wenig Ersatz für Urlaub gibt.“ 

Viele Stellen sind zudem Teilzeit, das Einstiegsgehalt liegt bei 2.000 Euro, brutto wohlgemerkt. Die Dropout-Quote Absolvent:innen ist hoch. Bei der BAfEP (Bildungsanstalt für Elementarpädagogik) liegt sie laut Andrea bei zwei Drittel. Die Karrierefrage, die viele Mütter sonst bewegt, stellt sich für Elementarpädagog:innen mangels Aufstiegsmöglichkeiten im Grunde gar nicht. Das macht den Beruf nicht unbedingt attraktiv. Es rundet das Bild der mangelhaften Kinderbetreuung aber gut ab.

Ausweg aus dem „Irrsinn“

Die schlechte und teure Kinderbetreuung in Niederösterreich ist auch eine politische Entscheidung. Wien, das Burgenland und Kärnten als letztes Bundesländer bieten immerhin eine gratis Betreuung an. 

Viele kleine und große Schritte würden also helfen, die Situation vor allem für Mütter zu verbessern. Franziskas absolutes Wunschszenario ginge eigentlich darüber hinaus. Sie fände es ideal, wenn es Kindergärten im Betrieb selbst gebe – oder vielleicht auch nah dran. Man könnte gemeinsam mit dem Kind Mittagessen, alles wäre weniger gestresst. 

Flexibilität würde auch Eltern in Teilzeit helfen

Es würde aber schon in der gegenwärtigen Bredouille helfen, wenn es zumindest mehr Flexibilität in der Betreuungszeit gäbe. „Den Umfang der Kinderbetreuung wählt man pro Semester und ist damit fix. Tage tauschen, kurzfristig 2 Stunden länger arbeiten ist somit nicht drin.“ erzählt sie. „Ein flexibleres Modell mit fixer Stundenanzahl, aber freier Einteilung dieses Kontingents pro Woche würde vieles erleichtern.“ Dazu müsste man aber, so Andrea, weg von dem starren Bildungsschema. Die Kinder müssen von acht bis zwölf Uhr lernen, am Nachmittag gibt es aus Kostengründen zu wenige Pädagog:innen.

Wenigstens, das hört man auch immer wieder, kommen Firmen den Müttern entgegen. Franziska sagt: „Jede Firma sollte Mütter einstellen, wir sind sehr organisiert und Teilzeitkräfte sind auch produktiver”. Eine familienfreundliche Atmosphäre zu schaffen, ist heute also angesagt, wenn schon die Landespolitik es schwer möglich macht, ordentlich zu arbeiten. 

„Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf führt zu einer deutlich höheren Zufriedenheit und Leistungsfähigkeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Auch die Bindung zum Unternehmen nimmt zu. So bekommt man das Doppelte wieder zurück“, dieser Satz stammt aus dem Handbuch zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf für kleine und mittlere Unternehmen. Dessen Herausgeber ist übrigens das Bundeskanzleramt. Es wird wohl Zeit, dass dieser Satz überall ankommt.

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