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Arbeitswelt

Langzeitarbeitslose am laufenden Band? Ein System, von dem nur andere profitieren

Ein Mann läuft gegen die Drehtürrichtung.
Wiederholt bekommt ein Langzeitarbeitslose eine befristete Anstellung. Mit seiner Arbeit ist man stets zufrieden – und danach wird er regelmäßig gekündigt. Immer dann, wenn die Förderung für seine Stelle ausläuft. 

Torsten Wieser* ist ein Glücksfall in dreierlei Hinsicht: Von seiner Langzeitarbeitslosigkeit profitieren die Statistik und immer gleich zwei Unternehmen. Der über 50-Jährige steckt mit kurzen Pausen seit sechs Jahren in einem System fest, von dem viele profitieren – nur er selbst nicht. 

Wieser ist eine Art Allrounder. Er ist gelernter Koch, Webdesigner und arbeitete einst als leitender Angestellter im Einzelhandel. Nach einem abwechslungsreichen Berufsleben kümmerte er sich schließlich um den Haushalt, während seine Frau lohnarbeiten ging. Vor sechs Jahren kam es zur Trennung. Seither versucht Wieser nun wieder Arbeit zu finden. Keine leichte Aufgabe. Und je länger die Arbeitslosigkeit andauert, desto schwieriger wird es, erzählt Wieser.

Im Laufe des Jahres verwies ihn das Arbeitsmarktservice (AMS) wieder einmal zur Firma Trendwerk. 

Überlassen von Trendwerk heißt: Selbes Gehalt, weniger Sicherheit

Trendwerk ist ein nach eigenen Angaben „Pionier, auf dem Feld der gemeinnützigen Arbeitskräfteüberlassung“. Arbeitssuchende, die seit mindestens einem Jahr beim AMS gemeldet sind, erhalten dort unter anderem Unterstützung bei Bewerbungen. Derweilen sind sie bei Trendwerk dank einer Förderung beschäftigt, dann werden sie für eine Testphase anderen Unternehmen „überlassen“. Sie werden dort zeitweilig angestellt, und diese Stelle für diese Zeit zum Teil auch gefördert, Die Kontakte zu rund 3.000 österreichischen Unternehmen sollen möglichst zeitnah ein „dauerhaftes Beschäftigungsverhältnis in einem Unternehmen“ ermöglichen, wie es auf der Trendwerk-Website heißt

Bei Trendwerk sei man „ganz begeistert“ von ihm gewesen, schildert Wieser. Da er regelmäßig Bewerbungen schreibe und einen organisierten und motivierten Eindruck machte. Tags darauf kam bereits das erste Angebot: für eine Stelle in der örtlichen MediaMarkt-Filiale. Worüber sich Wieser wunderte: Genau für diese Stelle hatte er sich seinen Angaben zu Folge in den vergangenen Monaten bereits vier Mal beworben und wurde stets abgelehnt. 

Plötzlich doch ein guter Bewerber

„Beim Bewerbungsgespräch wollten die gar keine Unterlagen sehen“. Man kenne ihn ohnehin schon und er könne gerne anfangen. 
Bei MediaMarkt heißt es auf Nachfrage, dass die Einstellung von Mitarbeiter:innen allgemein von mehreren Faktoren, wie etwa verfügbare Positionen und der individuellen Qualifikation der Bewerber:innen, abhänge. „In Ermangelung konkreter Details sowie insbesondere aus Rücksicht auf die Privatsphäre des ehemaligen Mitarbeiters/der ehemaligen Mitarbeiterin können und wollen wir daher zum vorliegenden Fall keine Aussage treffen“, so eine Sprecherin des Unternehmens. 

In Sachen Bezahlung machte das für Wieser keinen Unterschied: Er erhält den kollektivvertraglichen Lohn eines Handelsangestellten, 1.856,62 Euro brutto monatlich. Mit dem Unterschied, dass seine Stelle laut Vertrag (der moment.at vorliegt) auf dreieinhalb Monate befristet ist. Danach wartet die Ungewissheit. 

Trendwerk: Nachhaltige Beschäftigung stehe an vorderster Stelle

Für MediaMarkt macht das sehr wohl einen Unterschied. Denn Trendwerk bietet laut eigenen Angaben „abgestimmt auf den jeweiligen Arbeitsplatz attraktive Förderungen. Dadurch verringern sich für Ihr Unternehmen die Lohn- und Lohnnebenkosten“. Und das Unternehmen kann sich seiner überlassenen Arbeitskräfte nach Ablauf der meist nur wenige Monate gültigen Verträge wieder entledigen. Und gegebenenfalls einfach die nächste überlassene Arbeitskraft einstellen. 

Trendwerk dementiert einen solchen Zusammenhang auf Nachfrage: „es liegt nicht in unserem Interesse, an Unternehmen kostengünstige Arbeitskräfte zu überlassen“. Im Rahmen eines „Kosten- und Qualitätsmanagements“ werde die Höhe der Förderungen monatlich überprüft, die Nachhaltigkeit der Übernahme stehe dabei an vorderster Stelle. Man arbeite nur mit Unternehmen zusammen, „die grundsätzlich bestrebt sind, gute Mitarbeiter:innen nach der Überlassung zu halten und somit zu übernehmen“. 

Kurz: Menschen wie Wieser sollen anschließend möglichst wieder eine Fixanstellung bekommen. 

Erfolg fragwürdig bis unbekannt

Eine Studie des Wirtschaftsforschungsinstituts Wifo aus dem Jahr 2014 zeigt: das ist selten der Fall. „Die Förderpraxis bei Gemeinnütziger Arbeitskräfteüberlassung“ – welche nicht ausschließlich von Trendwerk angeboten wird – sei von „massiven Selektionsschritten gekennzeichnet“. Nach nur einem Monat fallen die Hälfte der Teilnehmer:innen an einer gemeinnützigen Arbeitskräfteüberlassung aus dem Programm. Nach drei Monaten verbleiben lediglich 20 Prozent im Projekt.

Wie viele der vom AMS an Trendwerk vermittelten Klient:innen derzeit erwerbsarbeitslos wieder zum AMS zurückkehren, kann das AMS „aus Datenschutzgründen“ nicht beantworten, wie ein Sprecher auf Nachfrage mitteilt. 

„Das Ganze ist in erster Linie eine Simulation“

Jobs wie jenen bei MediaMarkt kennt Wieser nur zu gut. „Natürlich sagt dir niemand ‚Du, deine Förderung ist jetzt aus, wir kündigen dich‘“. Aber es lasse sich ein Muster erkennen: Stets seien alle zufrieden gewesen mit ihm, der Job habe gepasst – nur sobald die Förderung auslief, setzte man ihn „aus irgendeinem fadenscheinigen Grund“ wieder vor die Tür. Mit Trendwerk habe er diese Erfahrung in den vergangenen Jahren bereits drei Mal gemacht. Wieser vermutet, es gehe weniger darum, ihn langfristig in Beschäftigung zu bringen. Sondern darum, dass Firmen wie MediaMarkt billige Arbeitskräfte bekommen, derer sie sich schnell wieder entledigen können.

MediaMarkt kommentiert den konkreten Fall nicht. Eine Sprecherin meint, dass „eine gute und stabile Zusammenarbeit mit allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für unser Unternehmen grundlegend und unser höchstes Bestreben ist“. Auch bei Trendwerk sieht man das naturgemäß anders. Auf Nachfrage heißt es, dass Überlassungen „aus unterschiedlichsten Gründen beendet“ werden. Meistens liege es daran, „dass die jeweiligen Erwartungen zwischen Unternehmen und unseren Kund:innen nicht erfüllt werden konnten. Daher können sich mehrere Überlassungen an verschiedene Betriebe ergeben, bis eine Übernahme gelingt“. Die Zusammenarbeit mit den Einsatzbetrieben sei „geprägt von langfristigen Partnerschaften und unterliegt einer laufenden Qualitätskontrolle“, wobei besonderes Augenmerk auf Nachhaltigkeit und langfristige Integration gelegt werde. Was die Firma MediaMarkt betrifft, seien in den vergangenen Jahren sechs von insgesamt neun Klient:innen auch über die Überlassungszeit hinaus übernommen worden.

Laut Martin Mair ist Wiesers Geschichte dennoch kein Einzelfall. Als Obmann der Initiative Aktive Arbeitslose, eine parteiunabhängige Gewerkschaft für Erwerbsarbeitslose, kennt Mair solche Fälle zu Genüge. Menschen wie Wieser würden „systemisch im Kreis geschickt“, kritisiert Mair. „Das Ganze ist in erster Linie eine Simulation“. Mit dem positiven Nebeneffekt für die Statistik: überlassene Arbeitskräfte und Arbeitslose in Förderprogrammen zählen offiziell nicht als „arbeitslos“.

„Kundenzufriedenheit“ als ein Maßstab

Das mag auch an der zugrundeliegenden Förderstruktur liegen. Das AMS ist alleiniger Auftraggeber von Trendwerk und Trendwerk ist daher von Förderungen des AMS abhängig. Dadurch entstehe ein gewisser „Erfolgsdruck“, erklärt eine langjährige Betriebsrätin aus der Branche, die nicht namentlich genannt werden möchte. Mitarbeiter:innen von Überlasserbetrieben wie Trendwerk seien offiziell zwar unbefristet beschäftigt, durch die jährlichen Förderverträge sind ihre Arbeitsplätze allerdings nicht über diesen Förderzeitraum hinaus garantiert. Ob sie auch im nächsten Jahr wieder beschäftigt werden, hängt von der Förderhöhe durch das AMS ab – also davon, wie viele Personen sie in Betriebe vermitteln.

Auf Nachfrage erklärt ein Sprecher des AMS, dass das AMS Förderleistungen „selbstverständlich“ an Zielvorgaben knüpfe. Die Erreichung dieser Ziele sei „entscheidend für eine eventuelle neuerliche Vergabe von Förderungen oder für eine Überarbeitung des Projektdesigns“. Grundsätzlich werde „Erfolg“ aber nicht nur an Beschäftigung gemessen, sondern unter anderem auch an der Kund:innenzufriedenheit. 

„Aus sozialpolitischer Perspektive höchst fragwürdig“

Auch Saskja Schindler hegt Zweifel am System der Arbeitskräfteüberlassung. „Ich finde das aus sozialpolitischer Perspektive höchst fragwürdig“, erklärt die Soziologin, die selbst jahrelang zu Leiharbeit forschte. Denn die von den Unternehmer:innen gepriesene „Flexibilität“ sei für die überlassenen Arbeitskräfte mit vielen Nachteilen verbunden: „die häufigeren Wechsel des Arbeitsplatzes gehen in der Regel mit kurzfristigen finanziellen, zeitlichen und örtlichen Veränderungen einher, die eine langfristige – finanzielle sowie zeitliche – Lebensplanung massiv erschweren“, kritisiert Schindler.

Trotz der rechtlichen Konzeption als überbetriebliche, dauerhafte Arbeitsplätze sei in der Praxis das Ende einer Überlassung zudem vielfach auch mit einer Beendigung des Anstellungsverhältnisses verbunden. Das führe zu häufigeren Zeiten von Arbeitslosigkeit. 

„Angestellte 2. Klasse“

Außerdem seien überlassene Arbeitskräfte im Betrieb oftmals so etwas wie „Angestellte 2. Klasse“. Durch die häufigeren Wechsel des Betriebs sei es für sie oft schwieriger sich zu integrieren, weil sie ‚ohnehin gleich wieder weg‘ sind. Auch Betriebsrät:innen der jeweiligen Einsatzbetriebe, erklärt die Soziologin, fühlen sich zum Teil weniger zuständig, weil überlassene Arbeitskräfte formal nicht Teil der Belegschaft sind. In Krisenzeiten sind überlassene Arbeitskräfte zudem zumeist diejenigen, die als erste ihre Arbeit verlieren, da sie vom Einsatzbetrieb wieder an den Überlasserbetrieb zurückgestellt werden, was praktisch zumeist mit einer Kündigung einhergeht.

All das wollte Wieser nicht noch einmal durchmachen müssen. Bei MediaMarkt seien sie mit seiner Arbeit hochzufrieden gewesen, erzählt er. Während er dort arbeitete, waren drei freie Stellen ausgeschrieben, einer davon passte genau zu seinem Tätigkeitprofil, sagt er. Mehrmals habe er gefragt, ob er diese Stelle annehmen könne. Doch seine Vorgesetzten hätten nur „herumgedruckst“. (MediaMarkt kommentiert auch das auf Nachfrage nicht). Aber er wollte Gewissheit, „und nicht schon wieder nach drei Monaten Kaffee und Kuchen zurück zu Wasser und Brot“. Also kündigte er. Tags schickte darauf schickte man ihn wieder zurück zum AMS und in die Mindestsicherung. 

Der Frust bei Wieser ist groß. „Ich bin da anfangs mit viel Vertrauen reingegangen, weil ich wirklich einen Job will. Ich war ganz enthusiastisch. Aber mich frustriert das: da sind Jobs da – und ich kann sie nicht antreten“. 

Wenn sich die Wut und die Enttäuschung, das Gefühl der Machtlosigkeit wieder etwas gelegt hat, sagt er Sätze wie diese: „Aber es ist, wie es ist. Ich will auch keinen Krieg anfangen“. Am Tag nach dem Gespräch mit MOMENT wartet sein nächstes Bewerbungsgespräch. Dieses Mal hat er es wieder auf eigene Faust versucht. 

 

*Torsten Wieser heißt in Wirklichkeit anders. Um seine Chancen auf eine zukünftige Anstellung nicht zu gefährden, wird seine Geschichte unter einem Pseudonym veröffentlicht. Außerdem werden Angaben zu Ort, Zeit, Tätigkeit und handelnden Personen in manchen Fällen bewusst ungenau gehalten. 

 

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