Leben als Fernfahrer: “Es geht darum, dass man uns als Mensch sieht”

An einer Fahrzeugfront lehnen drei Männer, auf der Stoßstange eine Packung Chips, zwei Dosen Red Bull und ein Polizeiauto in Miniaturform. Rafal wird Ende dieser Woche seinen kleinen Sohn mit dem Spielzeug überraschen, er ist Fernfahrer aus Polen.

In der Runde werden Zigaretten getauscht. Im Hintergrund das Rauschen der Autobahn. Ein Blick in die LKW-Reihe verrät, dass manche Fahrer sich zurückgezogen haben; die Scheiben sind mit Vorhängen kaschiert, dazwischen angewinkelte Beine, Gesichter, die von Bildschirmen erhellt werden, Blickkontakt für wenige Sekunden.
Insgesamt stehen hier ca. 300 Trucks, denn das ist die maximale Anzahl an Stellplätzen der ASFINAG-Raststation.
Auf Fernfahrer:innen wie Rafal und seine Kolleg:innen verlassen wir uns, wenn wir eine Cola aus dem Kühlschrank nehmen, Tiefkühlpizza in den Ofen schieben oder eine Grabkerze anzünden. Fast jedes Produkt in unseren Händen lag einmal im Bauch eines solchen 40-Tonners. Doch während die Fracht für uns eine Selbstverständlichkeit ist, scheinen die Menschen, die sie transportieren, unsichtbar zu sein. Wir nehmen Lastwagen als Hindernis auf der rechten Spur wahr, sehen sie im Vorbeifahren an Raststätten – aber was bedeutet es, diesen Beruf auszuführen? Drei Begegnungen auf der Raststation in Wien-Schwechat.
„Du könntest zuhause sein, aber irgendjemand muss diesen Job machen, oder?“
Als Rafal in seinen LKW steigt, räumt er eilig auf. Fünf Stufen führen in das Fahrerhaus, das gleichzeitig sein Arbeitsraum sowie Wohn- und Schlafzimmer ist. Er zeigt auf ein Einzelbett hinter den Fahrersitzen, danach schaltet er mit der Fernbedienung den Fernseher an. „Jeder Tag auf der Straße ist anders“, erzählt er. Aber das Abendprogramm sei meistens ähnlich: Zwei Bier mit Kollegen trinken, Chips essen, oder manchmal den Abend in der Raststation ausklingen lassen. Er selbst ist noch nicht lange auf den Straßen Österreichs unterwegs, davor fuhr er in England.
Über dem rechten Seitenfenster hängen Bilder von Rafals Familie in schwarz-weiß. Wenn er vom Verkehr angepisst ist, denkt er an sie, dann geht es ihm besser. Er liebt das Fahren ohnehin, auch in seiner Freizeit unternimmt er Roadtrips mit seiner Familie.

Tagsüber findet er problemlos eine Möglichkeit für seine Pausen. Schwieriger werde es bei längeren Ruhepausen. Besonders in Ländern wie Tschechien weiß er: Wer nicht schon gegen 17 oder 18 Uhr einen Platz für die Nacht findet, hat später kaum eine Chance. Duschen und sanitäre Einrichtungen gäbe es fast überall. Problematisch wird es bei Parkplätzen. Kommt er zu spät, bleiben folgende Optionen: Er fährt länger und überschreitet die vorgeschriebene Lenkzeit – was hohe Strafen bedeuten kann. Oder er stellt sich an Randplätze, mit der Gefahr, andere LKWs zu blockieren. Für Rafal ist klar: Beides ist ein Risiko, das den Alltag als Fahrer belastet.
LKW-Parkplätze fehlen
Laut einer neuen Studie im Auftrag der Europäischen Kommission steht die EU vor einem kritischen Mangel an sicheren LKW-Parkplätzen. Derzeit fehlen in der EU 390.057 Stellplätze – bis 2040 könnte diese Lücke auf 483.000 anwachsen.
Christian Spendel ist ein Gerichtsachverständiger. Gerichte oder Behörden ziehen ihm bei, wenn es um Fachfragen geht, die sie selbst nicht beantworten können. Er bestätigt, dass in einer EU-Regelung zertifizierte Parkplätze vorgesehen sind, aber bisher nur wenige umgesetzt wurden.
In Österreich ist für die Betreibung und Instandhaltung der Raststätten die ASFINAG zuständig, so Spendel. Er kritisiert hierbei die fehlende Transparenz bei der Mautberechnung, Fahrer:innen bezahlen viel und bekommen dafür wenig Infrastruktur zurück. Laut ihm erziele die ASFINAG eine hohe Gewinnspanne.
Ein Blick in den Jahresbericht des Unternehmens zeigt: Die Mauterlöse betrugen 2024 insgesamt mehr als 2,5 Milliarden Euro, der Jahresüberschuss 734 Millionen Euro. Die Asfinag betont auf Nachfrage den laufenden Ausbau von LKW-Stellplätzen. Über 10.000 Plätze gibt es österreichweit. Bis in zehn Jahren sollen laut Asfinag weitere 1.000 dazukommen. Fahrer*innen können zudem per App, Website und Hinweistafeln auf der Autobahn in Echtzeit sehen, wo noch Plätze frei sind.
„Heute ist jeder dein Chef“
Zwischen zwei LKWs lehnen drei Männer am Fahrerhaus. Oranges Licht scheint auf die Planen. Es dämmert auf der Raststation. Die geöffnete Tür der Fahrerkabine schirmt die Männer vom restlichen Rastplatz ab. Sie halten Bierdosen in der Hand und sprechen auf Ungarisch.

Einer davon ist Zoltan. Er transportiert Baumaterialien zwischen Wiener Neustadt und Wien. Wohnen tut er in Ungarn, deshalb übernachtet er im LKW. Auf die Frage, ob er in seinem Job glücklich ist, schmunzelt Zoltan: „Letzten Montag habe ich meinem Chef gesagt, dass ich gehe. Also bin ich jetzt glücklich.“ Grund für seine Kündigung seien die eintönige Arbeit, außerdem sei ihm der Verkehr in der Großstadt zu viel. In Österreich fehlen derzeit laut WKO bereits rund 8.000 Fahrer:innen.
Wenn Zoltan eine Sache an dem Beruf ändern könnte, wäre es das Gehalt. Laut ihm bekommen die meisten weniger als 2500 Euro. „Sie sagen dir: Komm her, du bekommst einen neuen Lkw, alles ist gut, du musst nicht an Tankstellen schlafen. Aber das stimmt nicht“, erinnert sich Zoltan an falsche Versprechungen.

Zwei große Logistikunternehmen aus Ostösterreich haben sich bis Redaktionsschluss nicht zu Gehalt und Arbeitsbedingungen geäußert. Der Kollektivvertrag sieht in Österreich für einen LKW-Fahrer mit Betriebszugehörigkeit von bis zu fünf Jahren einen Monatslohn von rund 2.100 Euro vor. Häufig kommen aber noch Zuschläge dazu. “Das ist nicht genug. Nicht für diesen Job. Man ist immer unterwegs, trägt viel Verantwortung. 2100 – nein, dafür würde ich mich keinen Millimeter mehr bewegen”, sagt Zoltan.
Die Männer kommen ins Plaudern, zwischendurch immer wieder auf ihre Muttersprache. “Vor 20, 25 Jahren – gab es Respekt für Fahrer”, Zoltan lehnt sich an seinem Truck zurück und hält die Arme verschränkt, sein Gesichtsausdruck bleibt freundlich. “Wo immer man hinkam, sie haben geholfen, dir Wasser oder Bier gegeben – was du wolltest. Aber heute ist jeder dein Chef.”
Die Sonne ist untergegangen, die Scheinwerfer der LKWs beleuchten das Palmenmuster auf den kurzen Hosen der Männer. Ob Zoltan manchmal müde ist? “Immer müde.” Er lacht wieder.
„Alles tut weh. Mein Körper – Katastrophe.“
Dimitar (Name geändert) lehnt sich bei der Begrüßung aus dem Fahrerfenster, steigt schließlich herab und entschuldigt sich für sein schlechtes Deutsch. Es ist dunkel geworden, im Hintergrund setzt das Brummen von Motoren ein. Seine Antworten spricht er konzentriert in eine Übersetzungs-App. Morgen, sagt er, sei sein letzter Tag in Österreich, dann fahre er zurück nach Bulgarien. Drei Monate ist er am Stück in Europa unterwegs, danach zwanzig Tage zu Hause.
Sein Alltag richtet sich nach dem Rhythmus: Laden, abladen, fahren. Zehn Stunden hinter dem Steuer, fünf beim Laden und Entladen, das sei normal. Auf dem Display seines Handys erscheint wieder ein Satz auf Deutsch: „Alles tut weh. Mein Körper – Katastrophe. Das ist schwere Arbeit.“ Er zündet sich eine Zigarette an, zeigt die Verpackung und lächelt. Eine bulgarische Marke.

Oft sei er bis zu 15 Stunden unterwegs, schlafe wenig. Obwohl die Ruhezeiten von der Firma streng reguliert sind, bleiben sie oft Theorie. Besonders im Sommer sei es im LKW sehr heiß. “Wenn ich in der Nacht wegen der Hitze nur zwei Stunden schlafe, ist das keine Erholung”, sagt er. Meist beginnt sein Tag um vier oder fünf Uhr früh.
Die Fahrer haben sich in ihre Kabinen zurückgezogen. Dimitar bleibt, das Gespräch führt er im Freien. Ein Getränk in der Raststätte wäre ihm lieber, doch er kann den LKW nicht allein lassen.
Er fühlt sich oft einsam. Seine Frau, die beiden Söhne, Eltern und Brüder leben 2000 Kilometer entfernt. Nach 15 Jahren auf der Straße hat er sich daran gewöhnt, doch manchmal sei es schlimm – besonders, wenn etwas passiert. Er erzählt von zwei Überfällen, er sei im Schlaf mit Gas betäubt worden. Die Täter hätten ihm alles genommen: Kleidung, Telefon, Geld, Dokumente – und natürlich die Ladung. Das sei in Italien gewesen, zweimal.
Überfälle selten, Diebstähle häufig
Der Gerichtssachverständige Christian Spendel sieht Überfälle, in denen die Fahrer betäubt werden, als Ausnahmefälle. Er bestätigt jedoch, dass Ladungsdiebstähle auf Raststätten zunehmen. Eine wichtige Rolle spiele dabei auch die Wertigkeit der Ladung, die die Täter im Vorhinein über das Kennzeichen feststellen.
Dimitar transportiert hochwertige Fernseher. Er knipst die Taschenlampe seines Handys an und beleuchtet die Plane des LKWs; darauf eine Stelle, die mit Gewebeband beklebt ist. Da wurde die Ladung entnommen, während er betäubt war.

Die ASFINAG sieht auf Anfrage die Polizei in der Verantwortung für die Gewährleistung der Sicherheit. Sie betont, diese mit Videoüberwachung zu unterstützen. Christian Spendel sieht das anders: Die ASFINAG trägt für die Sicherung der Raststätte Verantwortung, indem sie beispielsweise höhere Zäune gebaut oder Einfuhrkontrollen durchgeführt werden.
Neben der Zahl der Stellplätze hebt die ASFINAG auch Sicherheit und Komfort hervor: bessere Beleuchtung, Videoüberwachung, sanitäre Einrichtungen und moderne Anlagen wie am neuen Truck-Stop an der A8. Dort gibt es 112 Plätze, Ladeinfrastruktur für E-LKW und sogar Kühlung mit Solarstrom.
Das Trauma für die Fahrer:innen
Am Morgen nach dem Überfall sei Dimitar in Unterwäsche bei der Polizei gestanden. Ein Kollege habe ihm mit Kleidung und etwas Geld geholfen. Von seiner Firma sei keine Unterstützung gekommen. “Die Chefs interessiert, ob die Ladung pünktlich ankommt.” Dimitar lächelt müde, spricht Sätze wiederholt in die App.
Es dauerte lange, bis er wieder im LKW schlafen konnte. Die Angst sei geblieben. Er zieht an seiner Zigarette. “Aber man muss weitermachen.” Was sich ändern müsste? “Vielleicht die Menschen selbst”, sagt er. Nicht alles im Leben sei Geld. Diesen Job mache man aus Berufung. Sicherheit wäre wichtig, ja. Aber in erster Linie: “Es geht darum, dass man uns als Menschen sieht.”