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Ungleichheit
Demokratie

Leben mit einem Stalker – “Ich zerstöre dich, wenn du dich nicht meldest.”

Leben mit einem Stalker – “Ich zerstöre dich, wenn du dich nicht meldest.”
Foto: Maycon Marmo, Pexels
Jede fünfte Frau in Österreich erlebt irgendwann in ihrem Leben Stalking. Wenn es darum geht, Täter:innen zur Verantwortung zu ziehen, scheitern Betroffene oft an Polizei und Staatsanwaltschaft. Das zeigt auch der Fall von Flora.

Triggerwarnung: Der Artikel beschäftigt sich mit psychischer Gewalt.

Flora liegt gerade krank im Bett, als ihre Chefin sie anruft: Ihr Stalker hat einen Drohbrief an den Kindergarten geschickt, in dem sie arbeitet. “Achtung. Mütter passt auf eure Männer auf, hier betreut ein gnadenloser Abzocker eure Kinder!”, steht dort in fetten Lettern und mit vielen Rufzeichen. “Flora Müller hat mich sehr sehr viel Geld gekostet, habe ihr ganzes verkommenes Leben finanziert, ihre Alkoholsucht, ihren Drogenkonsum, Urlaube uvm. bezahlt.” Und auf einem weiteren Zettel: “Hiermit teile ich Ihnen kurz mit, dass ich das beiliegende Blatt in den nächsten Tagen den Eltern ihrer Kinder zugänglich machen werde.”

Ungefähr jede fünfte Frau in Österreich ist im Laufe ihres Lebens von Stalking betroffen. Die Dunkelziffer dürfte –  wie bei jeder Gewaltform – noch höher sein. Seit 2006 gibt es in Österreich ein Gesetz dagegen. Offiziell heißt der Tatbestand “Beharrliche Verfolgung”; er liegt unter anderem dann vor, wenn jemand immer wieder beharrlich die Nähe einer anderen Person sucht und damit ihr Leben “unzumutbar beeinträchtigt”. Im Jahr 2022 gab es laut dem Sicherheitsbericht des Innenministeriums zufolge 1.635 Anzeigen wegen Beharrlicher Verfolgung. Betroffene beklagen aber, dass die Polizei Anzeigen wegen Stalking oft gar nicht erst aufnimmt – trotz starker Beweislast. Verurteilungen sind noch seltener.

Beides hat auch Flora erlebt. 

Der Beginn

Flora, heute Mitte 30, und ihr Stalker Wolfgang kennen sich schon länger und treffen einige Jahre lang über gemeinsame Bekannte immer wieder aufeinander. Wolfgang ist mehr als 20 Jahre älter als Flora und hat mehr Geld als sie. Beide heißen in Wirklichkeit anders, wir haben ihre Namen zu Floras Schutz geändert. Nicht alles, was Flora erzählt, lässt sich nachprüfen, aber MOMENT.at liegen Unterlagen vor, die viele ihrer Schilderungen belegen.

Floras Albtraum, so erzählt sie es, beginnt im Herbst 2024, als Wolfgang von einem Wochenendtrip erfährt, den sie plant. Er bietet ihr an, vor Ort Reiseführer zu spielen, da er ihr Reiseziel gut kennt. Flora nimmt das Angebot an. “Dann fing es an, gruselig zu werden”, erzählt sie. Er sagt, er bekomme Flüge günstiger, und bucht daher die Flüge und gleich auch das Hotel. Sie solle ihm danach einfach ihren Anteil geben. Sie hat ein schlechtes Bauchgefühl, vor der Reise stellt sie noch einmal klar, dass sie nicht mehr als Freundschaft will. Wolfgang, so erzählt sie, habe darauf erwidert: “Was denkst denn du? Ich bin doch viel zu alt für dich!” 

Der Wochenend-Trip

Vor Ort versucht Wolfgang sie jeden Abend zu überreden, noch etwas mit ihm trinken zu gehen. Mehrmals will er mit auf ihr Zimmer kommen. Sie lehnt jedes Mal ab, fühlt sich zunehmend unwohl in der Situation, muss ständig dafür kämpfen, dass er sie in Ruhe lässt. Sie ist sich sicher: Nach dem Trip möchte sie mit Wolfgang nichts mehr zu tun haben. 

Aber den Kontakt zu beenden, erweist sich schwieriger als gedacht. Während sie in einem anderen Land Freund:innen besucht, schreibt er ihr mehrfach: fragt, wie es ihr geht, kündigt an, sie vom Flughafen abzuholen. Nach ein paar Tagen schreibt sie, sie wolle nicht abgeholt werden. “Ich hole dich ab – wir diskutieren da nicht”, antwortet er ihr zufolge. “Im Nachhinein war das alles so deppert”, sagt Flora. Sie macht sich Vorwürfe, weil sie nachgegeben hat. 

“Es ist nie das Opfer selbst schuld”, stellt die Rechtsanwältin und Opferschutz-Expertin Patricia Hofmann klar, die regelmäßig Betroffene von Stalking vertritt. “Es steht niemandem zu, gegen den Willen der anderen Person Kontakt herbeizuführen.” Trotzdem merke sie immer wieder bei Klient:innen, dass sie sich fragen, ob sie ein bestimmtes Verhalten der Täter:innen nicht hätten verhindern können. 

Nachdem Wolfgang Flora vom Wiener Flughafen abgeholt hat, drängt er sie wieder, noch etwas mit ihm trinken zu gehen. Sie wehrt das ab und steigt ein Stück von ihrem Haus entfernt aus – sie möchte nicht, dass Wolfgang weiß, wo genau sie wohnt. 

Die Stimmung kippt 

Am nächsten Tag, so erzählt Flora, ruft Wolfgang sie um die 20 Mal an. Er wirft ihr vor, sie habe nur sein Geld gewollt, und beleidigt sie als “Dreckshure”. Flora erklärt sich seinen Stimmungswechsel mit der Autofahrt, bei der er wohl gemerkt habe, dass es für sie endgültig vorbei war. “Er dachte wahrscheinlich, dass wir im Urlaub etwas miteinander anfangen würden oder dass ich es heroisch finde, wenn er mich vom Flughafen abholt.”

Patricia Hofmann weiß aus der Praxis, dass Stalker:innen oftmals das Ende einer Beziehung – egal welcher Form – nicht hinnehmen wollen. “Sie können nicht mit Zurückweisung umgehen und wollen nicht akzeptieren, dass etwas nicht nach ihrer Vorstellung läuft.” 

Noch am selben Tag zahlt Flora Wolfgang das Geld zurück, dass sie ihm für den Urlaub schuldet. Doch damit hören Wolfgangs Übergriffe noch lange nicht auf. 

Die Nachrichten werden aggressiver

Flora bekommt weiterhin Hassnachrichten – blockiert sie ihn auf WhatsApp, schreibt Wolfgang ihr von einer neuen Nummer. Blockiert sie auch diese, schickt er ihr E-Mails. Die Nachrichten werden immer aggressiver: “Ich zerstöre dich!”, schreibt Wolfgang in Nachrichten, die MOMENT.at vorliegen: „Ganz Wien wird bald wissen, was du für ein Stück Dreck bist.” Er beschimpft sie als “Drecksfutt” und “Votze”, droht: “Ich verspreche ich zerstöre dich wenn du dich nicht meldest!” 

Beim Tatbestand der Beharrlichen Verfolgung gehe es rein um Kontaktaufnahmen an sich, erklärt Patricia Hofmann. “Das kann sein, dass man immer wieder zur Arbeit oder zur Wohnung einer Person geht. Oder dass man immer wieder anruft – auch wenn man nichts Böses sagt.” 

Es gibt jedoch einen weiteren Tatbestand, nämlich den der Gefährlichen Drohung. “Der ist erfüllt, wenn man eine andere Person so bedroht, dass man sie in Furcht und Unruhe versetzt”, erläutert Hofmann. Egal, ob man mit Körperverletzung drohe oder mit der Veröffentlichung von Nacktbildern. 

Bloß nicht antworten! 

Im Winter, so erzählt Flora, sei eine neue Drohung gekommen: Die Eltern aller ihrer Kindergartenkinder würden erfahren, was für ein “geldgeiles Miststück” sie sei. Daraufhin bittet Flora das Gewaltschutzzentrum um Hilfe. “Sie meinten, es reicht nicht für den Tatbestand von Stalking – denn das muss monatelang passieren.” Von der Idee, ein Betretungs- und Annäherungsverbot für Wolfgang zu beantragen, rät ihr das Gewaltschutzzentrum ab: Dadurch würde Wolfgang erfahren, welchem Ort er sich nicht mehr nähern darf – also ihre Adresse. Stattdessen beantragt Flora eine kostenpflichtige Auskunftssperre beim Meldeamt, damit Wolfgang zumindest nicht so leicht ihre Adresse herausfinden kann. 

Ungefähr zur gleichen Zeit lässt sie sich hinreißen, auf seine Nachricht zu antworten: “Hör bitte auf, so aggressiv zu sein,” schreibt sie. 

Es sei wichtig, als Betroffene von Stalking den Kontakt abzubrechen und dann auch wirklich nicht mehr aufzunehmen, sagt Patricia Hofmann. Also auch nicht immer wieder zu antworten und darum zu bitten, in Ruhe gelassen zu werden. “Stalker:innen wollen um jeden Preis Kontakt. Wenn sie merken: Okay, ich versuche es 50 Mal und beim 50. Mal antwortet sie, dann werden sie es weiterhin probieren.” Außerdem werde übergriffiges Verhalten erst als Stalking gewertet, wenn es zuvor einen anhaltenden Kontaktabbruch gab. 

Sie sei kein Fan davon, Betroffenen ihr Verhalten vorzuschreiben, sagt Hofmann – schließlich liege die Verantwortung immer bei den Täter:innen. “Zu ihrem eigenen Schutz sollten Betroffene aber den  Kontakt nicht erwidern und stattdessen anfangen, Beweise zu sammeln.”

Chefinnensache

Nach langem Überlegen erzählt Flora ihrer Chefin im Kindergarten von ihrem Stalker. “Vielleicht kommt er nie zur Arbeit”, sagt sie, ”aber ich will, dass ihr vorbereitet seid.” Im Rückblick eine weise Entscheidung – ein paar Wochen später erhält die Chefin Wolfgangs Drohbrief. Als sie Flora am Telefon davon erzählt, beginnt Flora zu weinen, ihr wird kotzübel. “Das ist echt schlimm, wenn man so etwas über sich selbst liest”, sagt Flora. Die Chefin ermutigt sie, noch am selben Tag zur Polizei zu gehen, um sich und den Kindergarten zu schützen. 

Am Schalter der Polizeistation Tannengasse sitzen zwei junge Polizisten. Flora überreicht ihnen ihr Handy mit den gesammelten Screenshots der Hassnachrichten. 

Die Polizei – dein Freund und Helfer?

Die Polizisten, so erzählt es Flora, gehen mit dem Handy ins Nebenzimmer. Sie habe die beiden herzhaft lachen gehört, sagt Flora; als sie zurückkamen, hätten sie gefragt: “Na, was haben Sie ihm denn angetan, dass er sich so verhält?” 

Flora ist fassungslos, versucht immer wieder, die Situation zu erklären. Doch die Polizisten hätten abgewinkt – die Beweise würden für eine Anzeige nicht ausreichen. “Ich weiß nicht, was schlimmer war”, sagt Flora: “Das ganze Stalking oder diese Situation.”

Sie habe versucht, ruhig zu bleiben, um von den Polizisten nicht als “noch verrückter” eingestuft zu werden. “Aber eigentlich wollte ich am liebsten gegen diese Scheibe spucken und losschreien.”

MOMENT.at hat die Polizeiinspektion Tannengasse und die Pressestelle der Landespolizeidirektion Wien um eine Stellungnahme zu Floras Vorwürfen gebeten. Beide antworten, man könne aus datenschutzrechtlichen Gründen keine Auskunft zu dem konkreten Fall geben. Die Polizei nehme mutmaßliche Opfer einer strafbaren Handlung aber immer ernst, schreibt die Pressestelle. Wer sich nicht richtig behandelt fühle, könne sich mit einer Beschwerde zeitnah bei der Bürgerinformation der Landespolizeidirektion Wien melden. 

Die Anwältin Patricia Hofmann sagt, sie höre immer wieder, dass Polizeibeamt:innen Betroffene von Stalking nicht ernst genommen und wieder weggeschickt hätten. “Ich rate Betroffenen, sich an eine Opferschutzeinrichtung zu wenden. Dort kann man gemeinsam überlegen, ob es sich lohnt, noch einmal zur Polizei zu gehen, obwohl man schon einmal weggeschickt worden ist, oder ob es sinnvoller ist, eine Sachverhaltsdarstellung mit allen Beweisen direkt an die Staatsanwaltschaft zu schicken.” 

Bei Polizei und Staatsanwaltschaft, aber oft auch bei Angehörigen von Betroffenen, gebe es noch viel zu wenig Bewusstsein dafür, wie massiv Stalking “an die Substanz von Betroffenen geht”, sagt Hofmann.  

Neuer Versuch mit Vitamin B

Nach ihrer schlimmen Erfahrung auf der Polizeistation versucht Flora es auf einen Rat ihrer Chefin hin noch einmal, diesmal beim Hauptkommissariat Favoriten. Und tatsächlich: Dort trifft sie auf einen weitaus besser geschulten Polizisten, der ihre Anzeige aufnimmt. Auch er rät ihr, kein Betretungs- und Annäherungsverbot zu beantragen. Sie hofft, dass die Anzeige zumindest die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass die Polizei sofort kommt, sollte der Stalker einmal vor dem Kindergarten stehen. 

Bei einer Verurteilung wegen Beharrlicher Verfolgung (also Stalking) droht Täter:innen eine Geldstrafe von bis zu 720 Tagessätzen oder eine Haftstrafe von bis zu einem Jahr – für den Tatbestand Gefährliche Drohung gilt das Gleiche. Dauert das Stalking länger als ein Jahr oder hat einen Suizid(versuch) des Opfers zur Folge, kann die Freiheitsstrafe bis zu drei Jahre betragen. 

Kein “tatbeständliches Verhalten”? 

Aber die Staatsanwaltschaft stellt das Verfahren gegen Wolfgang wegen Beharrlicher Verfolgung und Gefährlicher Drohung innerhalb weniger Wochen ein. Begründung: “Ein tatbeständliches Verhalten ist nicht mit der für das Strafverfahren erforderlichen Sicherheit erweislich.” 

Mit finanzieller Unterstützung von Freund:innen und Familie nimmt sich Flora eine Anwältin, klagt Wolfgang zivilrechtlich  – ebenfalls ohne Erfolg.

Eine Person bombardiert also eine andere über Wochen hinweg mit Nachrichten wie “Ich zerstöre dich”, kontaktiert ihren Arbeitgeber – und die Staatsanwaltschaft sieht darin nicht ausreichend Belege für ein Strafverfahren? Floras Fall zeigt deutlich, wie schwer es in Österreich für Betroffene von Stalking ist, Hilfe von den Behörden zu bekommen. 

Die Angst bleibt

Flora fühlt sich nicht mehr sicher in ihrem Zuhause. Wolfgang hat gemeinsame Bekannte nach ihrer Wohnadresse gefragt. Einen Monat lang schläft sie abwechselnd auf den Couches von Verwandten. Dann kehrt sie in ihre Wohnung zurück, aber die Angst bleibt.  “Ich gehe auch jetzt morgens nicht mehr raus, ohne erst durch den Türspion zu schauen”, sagt Flora. “Mir hat das Stalking alles genommen – meine Sicherheit, meine Würde. Meine Arbeitskolleg:innen sehen mich seitdem völlig anders an.”

Jeden Abend telefoniert Flora auf dem Heimweg mit ihrer Schwester, bis sie sicher zu Hause angekommen ist. “Das habe ich das letzte Mal mit 19 gemacht”, sagt sie. Trotzdem geht es ihr psychisch deutlich besser, seit sie sich gewehrt hat.”Er kontrolliert nicht mehr mein ganzes Leben”, sagt Flora.  

Hier bekommst du Hilfe: 

  • Frauenhelpline gegen Gewalt (0800 222 555) 
  • Opfer-Notruf (0800 112 112)
  • Gewaltschutzzentren in ganz Österreich (0800 700 217)
  • Gleichbehandlungsanwaltschaft ( 0800 206 119)

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  • frizzdog
    07.08.2025
    oft aber sind die angaben der opfer nicht wirklich schlüssig. manfrau kann ja auch rufnummern sperren, um nicht "20mal angerufen zu werden", und schriftliche stalkerpost muss ja wohl an die reale wohnadresse geschickt worden sein. dummerweise werde aber auch solche drohbriefe an kindergärten oder volxschulen von eltern "begehrlich" aufgenommen und hysterisch weiterverbreitet. da ist unsere ganze gesellschaft beteiligt an diesem fruchtbaren stalkermilieu.
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