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Ungleichheit
Demokratie
Kapitalismus

Wann die „Politik für die Mitte“ schädlich wird

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Eine "Politik für die Mitte", das versprechen uns Parteien und Politiker:innen gerne. Aber was sie wirklich darunter verstehen, ist eine Politik für die Oberschicht. Barbara Blaha sagt: "Moment mal!"

Es gibt tatsächlich eine Leitkultur in Österreich. Alle, wirklich alle wollen … in die Mitte! Okay, niemand will arm sein, das ist irgendwie logisch. Aber: Es will auch niemand reich sein. Alle – unten wie oben – schätzen sich und ihr Vermögen schlicht falsch ein. Wer wenig hat, schätzt sich selbst konsequent ein bisschen besser ein – also reicher. Und wer ganz oben ist, redet sich das eigene Vermögen klein: Auch er will in die Mitte. 

Der steirische ÖVP Landeshauptmann Christopher Drexler zum Beispiel zählt sich auch “gefühlsmäßig zur Mittelschicht”. Mit fast 20.000 Euro Monatsgehalt?! Aber keine Sorge: Drexler findet eh, “Beim Landeshauptmann hört die Mittelschicht auf.” Und es geht noch dreister – der CDU-Chef Friedrich Merz ist Multimillionär … und sagt: “Ich würde mich zur gehobenen Mittelschicht zählen”. 

Die meisten halten sich für die Mitte

Ein “Einschätzungsfehler”, den nicht nur Politiker machen. Regelmäßig fragt man Haushalte in Österreich, wie sie sich selbst einschätzen. Die reichsten 10 Prozent schätzen, dass sie knapp über der Mitte liegen. Anders gesagt: Sie gehen davon aus, dass fast die Hälfte der Leute noch mal mehr hat als sie selbst. Die Mitte: ein echter Wohlfühlort. Auch alle politischen Parteien wollen da unbedingt sein. 

Aaah, der Häuslbauer! Der gehört zu Österreich wie das Schnitzel und das Skifahren: der arme, kleine Häuslbauer. Der ist … normal?

Der Häuslbauer ist das Symbol für die Mitte der Gesellschaft – und das Liebkind der Politik. Von rechts bis links kämpfen die Parteien um seine Stimme. Für ihn wird Politik gemacht. 

So viel Liebe für den „kleinen Häuslbauer“. Das Blöde ist nur: Es gibt ihn gar nicht.

Die Nationalbank hat sich auf die Suche gemacht und ihn nicht gefunden. Zumindest nicht den KLEINEN Häuslbauer. Der echte Häuslbauer ist nicht klein, nicht arm und – ja, da müssen wir jetzt stark sein – nicht in der Mitte der Gesellschaft.

Eigentum macht riesigen Unterschied

Wer Grund und Boden besitzt, gehört zu den Reicheren, wenn nicht sogar zu den Reichsten. Der direkte Vergleich: Wer mietet, besitzt im Schnitt ein Vermögen von 57.000 Euro. Wer im Eigentum wohnt, hat achtmal so viel. Er oder sie hat im Schnitt 463.000 Euro

Beim Vermögen gibt es keine Mitte, sondern eher drei Gruppen: Die erste Gruppe hat fast nichts. Das ist die untere Hälfte der Bevölkerung. Die Menschen in dieser Gruppe wohnen in einer Mietwohnung, die haben allenfalls einen Notgroschen auf dem Sparbuch. In der zweiten Gruppe wohnen die Leute im Eigentum – und sie haben Ersparnisse. Das sind die nächsten 40 Prozent der Haushalte. Die reichsten 10 Prozent wohnen im Eigentum, haben Aktien oder Unternehmen und vermieten Wohnungen … aber dazu kommen wir gleich noch.

Gerechtigkeit: Vorstellung und Wirklichkeit

Fragt man die Leute, wie das Vermögen in Österreich verteilt sein sollte, haben die eine ziemlich klare Meinung: Den unteren 50 Prozent sollten 30 Prozent des Vermögens gehören.

In Wirklichkeit haben diese 50 Prozent aber nur 4,6 Prozent des Vermögens. (Seite 293)

Das Problem der eingebildeten Mitte 

Aber könnte man da nicht auch sagen: „Ja so ist es halt, aber macht ja nix? Soll die Politik halt von einer Mitte reden, die es gar nicht gibt.“

Macht schon was. Die ÖNB analysiert das so: “Weil der „kleine Häuslbauer“ in Österreich fälschlicherweise als „die Mitte“ der Gesellschaft angesehen wird, obwohl er sich in der oberen Mitte befindet, verführt dies in der wirtschaftspolitischen Debatte dazu, von breiten Gemeinsamkeiten in der Mitte auszugehen.”

Diese Mitte ist eine Erfindung – und doch wird laufend für sie Politik gemacht. Die Kosten dafür tragen aber alle.

Beispiel 1: Die Miet-Explosion

Ob man Grund und Boden besitzt, ist einer der wichtigsten Hebel in der Frage der Vermögensverteilung. Nur wer ihn besitzt, kann ihn auch vermieten: Die ärmeren 50 Prozent in Österreich wohnen zur Miete; vor allem die reichsten 10 Prozent sind ihre Vermieter. Über 80 von 100 Miet-Euros im privaten Mietmarkt gehen an die reichsten 10 Prozent der Österreicher. Monat für Monat, Umverteilung von unten nach oben. 

Und weil in Österreich die Mieten an steigende Preise gekoppelt sind, sind die Mieteinnahmen gemeinsam mit der Inflation explodiert. Man hätte das politisch mit einem Mietdeckel lösen können. Das hätte uns keinen Cent Steuergeld gekostet. Viele andere Länder haben das gemacht. Erfolgreich. In kaum einem anderen Land sind die Mieten so davon galoppiert wie in Österreich. 

Stattdessen: Hilfe für die Reichen

Was haben wir getan? Den “Wohnschirm” aufgespannt: zuerst mit 250 Millionen Euro, gerade noch einmal weitere 134 Millionen Euro. Die Idee: Wer dank der explodierenden Mieten jetzt Mietschulden hat, kann sich über den Schirm finanziell helfen lassen.

Übersetzt heißt das: Wir machen über hunderte Millionen Euro Steuergeld locker, drücken es den ärmsten 20 Prozent in die Hand und sagen: Zahl damit deine Mietschulden. Und die tun genau das … und reichen das ganze Geld weiter an ihre Vermieter:innen.

Wir pumpen also über die Bande Millionen Euro Steuergeld in die reichsten 10 Prozent in Österreich. Das ist Politik für Immobilienbesitzer:innen. Bezahlt von uns allen.

Beispiel 2: Bim, Bahn, Straße, Kindergarten, …

Es sind vor allem öffentliche Investitionen, die Grund und Boden noch wertvoller machen. Die neue U-Bahn-Station macht eine Wohnung in der Stadt attraktiver. Steht ein Kindergarten oder eine Schule in der Nähe: auch super. Das Einfamilienhaus braucht einen Kanalzugang und eine Straße vor die Tür. All das wird mit unserem Steuergeld bezahlt.

Aber vom steigenden Wert der Immobilie hat nur der Besitzende allein etwas. Denn die Steuern auf Grund und Boden sind lachhaft: Für eine Wohnung mit 100 Quadratmetern zahlt man in Wien 50 Euro Grundsteuer. Im Jahr. Die Müllabgabe ist dreimal so hoch. Für ein Einfamilienhaus mit 1.500 Quadratmeter Garten werden sogar nur 40 Euro fällig. Wir werten also mit Steuergeld Immobilien auf – aber die Wertsteigerung der Immobilien wird privatisiert.

Beispiel 3: Klimapolitik

Viele staatliche Förderungen sind maßgeschneidert für Besitzende. Das Klimaministerium bietet fast 10.000 Euro Einmalförderung für den Umbau zu einem ökologischeren Heizsystem, knapp 60.000 Anträge hat es seit 2022 gegeben. Das heißt: Wir alle zahlen dem Eigenheimbesitzer die neue, bessere Heizung. Auch die Sozialhilfebezieherin mit der Mehrwertsteuer auf ihren Supermarkteinkauf. 

Wer mietet, hat hingegen null Mitspracherecht, ob und wie saniert wird. Mehr als die Hälfte der Mieter:innen in Österreich heizt mit Gas und muss die entsprechend hohen Gaspreise weiter zahlen. Anderes Beispiel: Bei den Ärmeren können sich nur fünf von zehn überhaupt ein Auto leisten, bei den reichsten zehn Prozent haben neun von zehn ein Auto. Wer sich ein Elektro-Auto kauft, bekommt das gefördert. Immerhin: Das Auto darf nicht mehr als 60.000 Euro kosten. Das muss man sich halt leisten können.

Pragmatisch, aber wenigstens bewusst

Nun wird man das Problem wohl nicht ganz loswerden: Manchmal sind klimapolitisch gute Förderinstrumente eben verteilungspolitisch schlecht. Brauchen wir sie trotzdem? Na unbedingt. Nur sollte man mitbedenken, wer hierzulande wie mit Steuergeld gefördert wird.

Und leider ist eigentumsfreundliche Politik fast immer klimafeindlich. Das fängt an bei der Frage, wie viel Geld wir für Pendler:innen locker machen. Von der Pendler-Pauschale haben Reichere deutlich mehr als ärmere Menschen.

Was für die Mitte getan werden könnte

Die Nationalbank-Studie sagt auch, was es eigentlich bräuchte. Wer Politik für die Mitte der Gesellschaft machen will, muss die in den Blick nehmen, die kein Eigentum haben – und das Privateigentum nicht länger bevorzugen. Sich um Mietobergrenzen kümmern, um Mindeststandards für Wohnqualität, um die Ausweitung der Rechte von Mieter:innen oder die Bekämpfung des Leerstands.

Wovon die Mitte wirklich was hätte? Von leistbaren und guten Wohnungen, die thermisch so beinander sind, dass man auch im ärgsten Hitzesommer nicht an einem Hitzschlag stirbt – und im Winter nicht wegen der Heizrechnung Konkurs anmelden muss. Dafür brauchen wir sozialen Wohnbau. 

Finanzieren ließe sich das mit einer höheren Steuer auf Grund und Boden, auf Erbschaften und auf Vermögen. Die Mehrheit ist dafür. Fragt man, wie man die Ausgaben des Staats finanzieren soll, liegt der Wunsch nach einer fairen Besteuerung von Vermögen an erster Stelle – bei den unteren 90 Prozent. Bei dieser Frage, da schätzen sich die Reichen also auf einmal – erstaunlicherweise – nicht mehr so mittig ein. 

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