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Demokratie

Nancy Fraser: Kapitalismus ist ein Allesfresser und verschlingt sich selbst

US-Philosophin Nancy Fraser beschreibt in ihrem neuen Buch, wie der "Allesfresser Kapitalismus" sich selber verschlingt. MOMENT.at fasst die wichtigsten Punkte zusammen.

 
Nancy Fraser ist eine große Nummer. In der politischen Philosophie ist sie bekannt für Kapitalismuskritik und ihre Beiträge zum Feminismus. In ihrem neuesten Buch “Der Allesfresser – Wie der Kapitalismus seine eigenen Grundlagen verschlingt” nimmt sich Fraser einmal mehr den Kapitalismus vor. Hier die 6 wichtigsten Punkte, um Frasers Buch, den Kapitalismus und seine Schwächen zu verstehen.
 

#1 Der Kapitalismus ist (k)ein Wirtschaftssystem

Was ist der Kapitalismus? In Lehrbüchern wird man erfahren, dass Kapitalismus ein Wirtschaftssystem ist. Darin gibt es Eigentum und freie Märkte. 
Diese Erklärung ist aber zu kurz gedacht und spielt nur seinen Vertreter:innen in die Hände. Denn sie ignoriert, wie dessen Wirken über die Wirtschaft hinausgeht. Der Kapitalismus ist eine Gesellschaftsform. Als solche baut er auf nicht-wirtschaftlichen Ressourcen auf und zerstört sie gleichzeitig. So ist kapitalistisches Handeln beispielsweise ohne eine intakte Umwelt unmöglich. Dennoch bringt beispielsweise die Ölindustrie genau jene durch kurzsichtiges Wirtschaften an ihre Grenzen. Profit und seine Steigerung stehen über allem.

#2 Der Kapitalismus verspeist Sorgearbeit

Der Kapitalismus braucht Sorgearbeit, denn er braucht Arbeitskräfte. Jemand (meistens Frauen) muss also Kinder, die Arbeitskräfte von morgen, erziehen und hüten. Das sorgt für eine Ungleichheit zwischen den Geschlechtern. Denn nur, wenn die einen (meistens Frauen) sich um die Kinder kümmern, können die anderen (öfter Männer) Lohnarbeit verrichten. Lohn gibt es aber nur für einen Teil dieser “Arbeitsteilung”.

Mittlerweile stürzt der Kapitalismus auch diese Verteilung der Sorgearbeit in eine Krise, indem er alle Menschen in die Lohnarbeit drängt. In Partnerschaften, in welchen alle Beteiligten Vollzeit arbeiten, bleibt aber oft keine Zeit für die Familienplanung. Auf lange Sicht mündet das in einer Gesellschaft ohne arbeitsfähige Bevölkerung. (Die braucht es nicht nur im Kapitalismus, sondern in jeder Gesellschaftsform.)

#3 Der Kapitalismus verspeist die Umwelt

Die Klimakatastrophe, das Artensterben, Plastikinseln in Meeren – menschliche Vergehen an der Natur sind zahlreich. Beispiele guter Umweltpolitik jedoch nicht. Denn Politiker handeln oft kurzsichtig: Maßnahmen wie der Handel mit Emissionsrechten werden nicht reichen, um die Umwelt und unseren Lebensraum zu retten. 
Das Problem liegt tiefer und ist im Kapitalismus verwurzelt. Denn im Kapitalismus behandeln Konzerne die Natur als frei verfügbare Ware – egal, ob sie sich dann erneuern kann oder nicht. Man denke nur an die profitgetriebene Abholzung der Regenwälder. Erfolgreicher Umweltschutz ist so langfristig unmöglich. Bleibt dieser aus, wird Leben auf der Erde und somit Leben im Kapitalismus langfristig ebenso unmöglich sein.

#4 Der Kapitalismus verspeist die Demokratie

Kapitalismus kann ohne Politik nicht überleben. Denn erst die Politik ermöglicht durch einen Gesetzesrahmen kapitalistisches Handeln. So funktioniert die Anhäufung von Kapital nur, wenn das Recht auf Eigentum gesetzlich verankert ist und garantiert wird. Gleichzeitig schwächt der Kapitalismus aber die Demokratie. Denn er überlässt das Wirtschaften Konzernen und gesteht Bürger:innen dabei kein Mitspracherecht zu. 

Beispielsweise entscheiden Großkonzerne, wann welches Produkt unter welchen Bedingungen hergestellt wird. Das Volk wird dazu nicht befragt. Somit ist Demokratie im Kapitalismus stets eingeschränkt. Doch es kommt noch dicker: Superreiche wollen die volle Kontrolle und werden nicht müde, ihre wirtschaftlichen Kompetenzen zu betonen. Gleichzeitig werfen sie dem Staat ökonomische Unfähigkeit vor und schwächen so dessen Einfluss auf die Wirtschaft. Wieder gefährdet der Kapitalismus eine seiner nicht-ökonomischen Grundlagen: die politische Struktur, ohne die kapitalistisches Handeln unmöglich ist.

#5 Kapitalismus ist strukturell rassistisch

Struktureller Rassismus ist im Kapitalismus allgegenwärtig. Hier werden Weißen umfassende Rechte zugesprochen, während sie People of Color verwehrt werden. So werden profitable Ungerechtigkeiten seit Jahrhunderten legitimiert. Weiße Amerikaner verschleppten während der Sklaverei Afrikaner:innen in den Norden, die dort unter grausamen Bedingungen Reichtum für ihre Herren schufen. 
Dieser Rassismus setzt sich bis heute fort. Ein Beispiel aus dem Buch: People of Color wird in den USA oft nur eine schlechte Kreditwürdigkeit zugeschrieben. Deshalb zahlen sie überhöhte Zinsen auf Kredite. Rassismus schafft also seit jeher Gewinn. Daher haben Profiteure im Kapitalismus einen Anreiz, diesen aufrechtzuerhalten.

#6 Rein wirtschaftlicher Sozialismus ist nicht die Lösung

Der Sozialismus ist zurück. Verkörpert durch Personen wie Bernie Sanders findet er heute vermehrt in der Öffentlichkeit statt. Gut so, meint Fraser. Dabei ist jedoch einiges zu beachten, damit dieses Comeback nachhaltig ist: ebenso wie der Kapitalismus muss auch dessen Alternative eine Gesellschaftsform sein. Alleiniger Fokus auf Wirtschaftsthemen reicht nicht. 
Es benötigt einen Sozialismus, der eine andere Beziehung zu nicht-ökonomischen Ressourcen hat, als der Kapitalismus. Menschliche Fürsorge, Naturschutz und politische Stabilität dürfen der Wirtschaft nicht untergeordnet werden. Sie müssen höchste Priorität haben. Ansonsten wird auch der Sozialismus zum Allesfresser, der seine Grundlagen verschlingt.

Fraser vertritt revolutionäre Thesen und macht dabei einen guten Job. Mit Allesfresser ist ein Werk gelungen, das den Kapitalismus überzeugend infrage stellt. Zusätzlich bietet Fraser eine Alternative zum Kapitalismus an. Nicht jede ihrer Aussagen ist originell, doch alle sind wichtig. All dies geschieht auf, für philosophische Verhältnisse, recht wenigen Seiten. 

Dadurch ist das Werk dicht und erfordert beim Lesen viel Aufmerksamkeit. Diese aufzuwenden, zahlt sich aus, denn betroffen sind schließlich alle. Wir schulden zukünftigen Generationen die Überwindung des Kapitalismus. Doch dies muss passieren, bevor er auch deren Existenzmöglichkeit verschlingt – ein wahrer Allesfresser eben.

 

 

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