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Nicola Werdenigg hat Missbrauch im Skisport aufgedeckt und "heute noch Lokalverbot in Skigebieten"

Die ehemalige Skirennläuferin Nicola Werdenigg ist zu sehen. Es geht um sexuelle Übergriffe und Machtmissbrauch im Skisport.
2017 hat die ehemalige Skirennläuferin Nicola Werdenigg sexuelle Übergriffe und Machtmissbrauch im Skisport aufgedeckt. Ein Gespräch über Tabus, die Skination und Konsequenzen.
2017 hat die ehemalige Skirennläuferin Nicola Werdenigg sexuelle Übergriffe und Machtmissbrauch im Skisport aufgedeckt. Ein Gespräch.

Nicola Werdenigg veröffentlichte im November 2017 einen Text, der große Wellen schlug. Die ehemalige Abfahrts-Meisterin berichtete, wie sie als Teenager von einem Mannschaftskollegen vergewaltigt wurde. Sie erzählte von strukturellem Machtmissbrauch und sexueller Gewalt im Skisport.

Der Skiverband (ÖSV) drohte ihr nach den Enthüllungen mit Klagen. Nicola Werdenigg wurde von unterschiedlichen Seiten als “Lügnerin” bezeichnet. Später wurden ihre Aussagen und die vorhandene sexuelle Gewalt, vor allem beim Skinachwuchs, durch eine Tiroler Expertenkommission bestätigt. Es meldeten sich weitere Betroffenen, mehr Missbrauchsfälle wurden bekannt. Es gab Konsequenzen, Entlassungen im Skiverband und rechtskräftige Verurteilungen. Auch heute engagiert sie sich die Tirolerin weiter für die Themen. Doch was hat sich seit ihrem Outing vor über drei Jahren getan? Wie steht es um die Gewaltprävention im Sport?
 
Im Gespräch mit MOMENT erzählt Nicola Werdenigg, was sie davon abgehalten hat, früher aufzustehen und auszusagen. Außerdem spricht sie von der schwindenden Bedeutung des Skisports für die österreichische Identität, Gleichberechtigung im Sport und warum sie in den letzten Jahren weniger auf Ski gestanden ist.

MOMENT: Ende 2017 hast du deine Geschichte erzählt und damit eine öffentliche Debatte über sexuelle Gewalt, Vergewaltigung und strukturellen Machtmissbrauch im Skisport angestoßen. Was ist seither passiert?

Nicola Werdenigg: Ab dem Zeitpunkt, an dem ich mich geoutet und offen über Missbrauch gesprochen habe, haben sich viele andere Betroffene gemeldet. Nicht nur aus dem Skisport. Das Tabu im Sport ist allgemein aufgebrochen. Zuerst in Österreich, aber dann auch in anderen Ländern. Erst vergangenen Sommer sind wieder zwei Kolleginnen in Frankreich mit ihren Erlebnissen an die Öffentlichkeit getreten. Auch Männer haben sich plötzlich gemeldet.

Dieser Deckel, der seit Jahrzehnten darauf gelegen ist, wurde weggerissen. Und das war gut. Wir haben uns international vernetzt. Im Sport treten solche Phänomene nicht einfach nur lokal auf. AthletInnen als auch TrainerInnen sind international unterwegs und tätig.

MOMENT: In Frankreich hat sich auch der Verband öffentlich dazu geäußert, er will ermutigen und unterstützen die Vorfälle aufzuklären. Der ÖSV hat auf deine Enthüllungen damals mit großer Ablehnung reagiert. Hat sich auch beim österreichischen Skiverband inzwischen etwas getan?

Werdenigg: Es tut sich sicher etwas, das Bewusstsein verändert sich. In Frankreich ist der Sport aber ganz anders strukturiert. Dort gab es eine Sportministerin, die sofort auf das Thema reagiert hat. Und andere Skigrößen haben sich ebenfalls sofort hinter die Athletinnen gestellt.

Es müssen innerhalb der “Sportfamilie” Personen aufstehen, auf die gehört wird. Sie müssen sich hinter die Betroffenen stellen und sagen: Ich glaub’ den Vorwürfen.

MOMENT: Hättest du dir das in Österreich auch gewünscht?

Werdenigg: Auch in Österreich gab es AthletInnen, die unterstützt haben, aber das war sehr viel weniger öffentlich als in Frankreich. Auch mir war es wichtig, dass sich andere persönlich hinter mich gestellt haben. Aber noch wichtiger war mir, dass das Ganze ins Rollen gekommen ist. Nach meiner Geschichte haben sich 30 bis 40 Personen gemeldet. Es waren Fälle, die dann untersucht wurden, auch in Tirol. Und hier gab es rechtliche Verurteilungen.  

Das Problem ist, dass man nicht wirklich etwas von außen ändern kann. Es müssen innerhalb der „Sportfamilie“ Personen aufstehen, auf die gehört wird. Sie müssen sich hinter die Betroffenen stellen und sagen: Ich glaub’ den Vorwürfen. Aber genau hier tut sich in Österreich viel. Die Sportverbände sind sehr unterschiedlich. Es kommt immer auf die führenden Männer an. In fast allen Sportvereinen gibt es eine männerdominierte Hierarchie. Da gibt es große Unterschiede im Umgang mit Prävention von sexueller Gewalt.

MOMENT: Bei der Debatte geht es also nicht nur um den Skisport, sondern allgemein eine Frage von Machtmissbrauch im Spitzen- bzw. Vereinssport?
 
Werdenigg: Genau. Manche Sportarten, wie Schwimmen oder Turnen, sind anfälliger. Oft versteckt sind die Strukturen im Fußball und eben im Skisport.

Heute habe ich noch teilweise Lokalverbot in Skigebieten, als ‘Nestbeschmutzerin”

MOMENT: Was hättest du in deinem Fall gebraucht, um früher die Übergriffe auf- bzw. anzuzeigen?

Werdenigg: In der damaligen Zeit wäre das nicht gegangen. Nicht weil ich zu feig war, sondern weil mein ganzes Leben innerhalb einer „Skifamilie“ stattgefunden hat. Und diese hat auch noch in meine Herkunftsfamilie reingewirkt. Meine ganze Familie war im Skisport und Verband tätig.

Nachdem ich mit den Rennen aufgehört und meinen Mann kennengelernt habe, haben wir uns eine wirtschaftliche Basis aufgebaut. Dann sind drei Kinder gekommen. Es ist nicht möglich, sich zu outen, wenn sie noch in die Schule gehen. Noch dazu am Land. Ich kenne Frauen, die würden über Missstände reden. Aber sie haben einfach Angst vor den Konsequenzen und würden wahrscheinlich nicht im jeweiligen Dorf bleiben können. Das ist in der Stadt anders. Nach und nach habe ich gegen Machtmissbrauch im System gekämpft. Das ist ein Tag- und Nachtjob. Heute habe ich noch teilweise Lokalverbot in Skigebieten, als „Nestbeschmutzerin“.

MOMENT: Was kann man konkret tun, um sexuelle Gewalt und Übergriffe zu verhindern und Betroffene zu unterstützen?

Werdenigg: Gemeinsam mit der Psychologin Chris Karl habe ich den Verein WeTogether gegründet. Wir wollten Betroffenen von sexualisierter Gewalt und Machtmissbrauch im Sport Unterstützung anbieten und Präventionsarbeit mit Vereinen machen. Wir wissen, dass rund 60 Prozent weniger sexualisierte Gewalt stattfindet, wenn in den Vereinen darüber geredet wird.

 Ich wünsche mir, dass irgendwann einmal Fördergelder an Präventionsprogramme gebunden werden. Dann bekommt das Programm Zähne und wirkt.

Aktuell sind wir im Verein nur noch vernetzend tätig. Es gibt in Österreich aber viele Opferschutzeinrichtungen wie den „Weissen Ring“, die Frauenhäuser oder die Initiative Sport 100. Letztere bieten Präventionsprogramme im Sportbereich an. Es sind viele Anlaufstellen im Entstehen. Ich wünsche mir, dass irgendwann einmal Fördergelder an Präventionsprogramme gebunden werden. Dann bekommt das Programm Zähne und wirkt.

Insgesamt hat Vereinssport heute aber auch nicht mehr den Zulauf, den er vor zwanzig bis dreißig Jahren hatte. Junge Leute haben heute andere Möglichkeiten und Sportfunktionäre, die Gutes tun wollen, wissen auch, dass Vereinssport transparenter und fortschrittlicher werden muss.

MOMENT: Der Vereinssport ist heute nicht mehr so attraktiv für junge SportlerInnen?
 
Werdenigg: Junge Leute wollen andere Sachen machen als die traditionellen Sportarten, die nur in alten Strukturen angeboten werden. Im Skifahren ist das Interesse stark rückläufig.

MOMENT: Warum wurde der Sport uninteressant?

Werdenigg: Skirennsport ist ungeheuer teuer in der Anfangsphase. Das können sich fast nur mehr reiche Eltern leisten. Außerdem gibt es auch einfach keinen Hype mehr ums Skifahren. Österreich behauptet ja immer wieder von sich, eine Skination zu sein. Das stimmt einfach nicht mehr. Die Mehrheit der ÖsterreicherInnen können nicht Skifahren.

MOMENT: Skifahren war identitätsstiftend.

Werdenigg: Skifahren wurde bewusst in der Nachkriegszeit eingesetzt, um ein österreichisches Image und Selbstvertrauen zu bekommen. Es gibt mehrere Gründe, warum man auf das Skifahren gesetzt hat. Das ist sehr spannend. Es gab Ikonen und auch mediale Inszenierungen als Skination. Ich glaube, das ist ein Auslaufmodell.

MOMENT: Skifahren wird immer exklusiver, es wird teurer. Und gleichzeitig regt sich Widerstand gegen neue Skigebiete, weil sie die Natur zerstören.

Werdenigg: Die Mobilität hat sich verändert. Früher ist man noch über mehrere Wochen Skifahren gefahren. In den letzten zwanzig, dreißig Jahren sind Wiener die Wochenenden mit dem Auto die Wochenenden irgendwohin gezischt, mit einer Person im Auto und Ski am Dach. Hier hat auf jeden Fall ein Umdenken stattgefunden. Ich sehe das an der Generation meiner Kinder. Sie sind zwischen 30 und 40 Jahren alt. Man bläst einfach nicht mehr für einen Tag so viel CO2 raus. Und ich selbst tue es auch nicht mehr, seit ich in Wien lebe.

Ich bin jetzt den zweiten Winter nicht mehr wirklich auf Ski gestanden. Normalerweise fahre ich im Frühling in der Sonne auf die Piste, bleib dann länger und gebe Workshops und gehe Skitouren. Skipädagogik ist mein Leben. Es ist immer noch schön, wenn ich jemanden zur Seite stehen kann und beim Entdecken helfen kann.

MOMENT: Das klingt schön. Als du damals die Ausbildung zur Skiführerin (Leiterin von Skitouren, Anm.) gemacht hast, war das etwas Besonderes. Da haben noch keine Frauen die Ausbildung gemacht?

Werdenigg: Ja, man musste die Winterausbildung für den Bergführer in fast allen Bundesländern haben, um eine Skischule leiten zu können.1981 war das für Frauen noch nicht vorgesehen, also verboten. Ich bin dann mit der Hilfe meiner Familie auf die Barrikaden gestiegen und habe sogar mit dem Verfassungsgerichtshof gedroht. Wir haben das dann durchgesetzt, ich war unter 120 Männer die erste Skiführerin.

MOMENT: 1981 ist gar nicht so lange her. Wie ist die Situation heute?

Werdenigg: Heute ist es komplett offen, Frauen im Alpinismus werden nicht mehr geächtet. Das freut mich auch sehr, muss ich ganz offen sagen. Ich habe viel für Gleichberechtigung gekämpft.

Der US-Verband hat ein Programm für Trainerinnen entwickelt.

MOMENT: Und wie steht es um die Geschlechtergerechtigkeit im Rennsport heute? Ist das auch schon ausgeglichen aus deiner Sicht?

Werdenigg: Die USA haben im Rennsport starke Impulse gesetzt, die Preisgelder sind ausgeglichen. Wahrscheinlich zahlen die Skifirmen und Sponsoren zwar immer noch nicht gleich viel, aber es ist allgemein durchaus ausgeglichen. Im Vereinswesen, Verbandswesen und auf der Trainerschiene sieht es hingegen anders aus. Hier sind Frauen stark unterrepräsentiert. Das geht bis rauf zur FIS. Es gab mal eine Generalsekretärin, jetzt gibt es dort überhaupt keine Frau mehr. Das ist ein allgemeines Problem im Sport.

MOMENT: Was bräuchte es hier für eine Veränderung?

Werdenigg: Die Schritte, die der US-Verband setzt, finde ich gut. Sie haben ein Programm für Trainerinnen entwickelt und ermutigen untereinander. Das scheint ein Thema zu sein, wo Frauen weiterkämpfen und sich gegenseitig stärken müssen. Auch unter den Männern gibt es Mitstreiter.

Meine Rolle als Seniorin ist es heute, jungen Menschen den Rücken zu stärken – und auch jungen Feminismus zu fördern. Vor dem Gesetz haben wir heute eine Gleichstellung, aber in der Realität schaut es oft anders aus. Das ist teilweise schwerer zu erkennen und zu bekämpfen.


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