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Demokratie
Ungleichheit

Ob das Kindeswohl wichtig ist, ist im Asylverfahren oft eine Lotterie

Ob das Kindeswohl wichtig ist, ist im Asylverfahren oft eine Lotterie
Der Bericht der Kindeswohlkommission zu Asylverfahren zeigt klare Probleme auf. Behörden belohnen Mitarbeiter:innen etwa für negative Bescheide. Wir stellen dazu 6 Fragen an Lukas Gahleitner-Gertz von der Asylkoordination Österreich:“Kinder sind  nicht bloße Anhängsel einer Familie”.

Die Abschiebungen von Geschwistern aus Armenien und Georgien zu Beginn des Jahres rief viel Unverständnis und Kritik hervor. Die Schüler:innen wurden in einem Fall von teils spöttischen Polizist:innen mitten in der Nacht im Winter aus ihrer Unterkunft geholt und zum Flughafen gebracht. Das Vorgehen führte auch zu Konflikten innerhalb der Regierung.

Um dem etwas entgegenzuwirken, hat der damals interimistische Justizminister Werner Kogler von den Grünen eine Kommission eingesetzt. Diese sollte unter der Leitung von Irmgard Griss der Frage nachgehen, ob das Kindeswohl im österreichischen Asylwesen genug berücksichtigt wird. Am Dienstag ist der Bericht dieser Kindeswohlkommission erschienen. Darin wird an einigen Bereichen Kritik geübt. Wir haben Lukas Gahleitner-Gertz, Asylrechtsexperte der Asylkoordination Österreich 6 Fragen zu den Ergebnissen gestellt.

 

MOMENT: Warum war die Einrichtung dieser Kommission überhaupt notwendig?

Lukas Gahleitner-Gertz: Anfang des Jahres gab es einen großen Aufruhr um die Abschiebung von Kindern, von denen einige in Österreich geboren wurden oder die sich schon lang hier aufgehalten haben. Damals hat sich für viele die Frage gestellt, wie so etwas in Österreich überhaupt passieren kann. Es wurde seit Jahren an der Verschärfungsspirale im Asyl- und Fremdenrecht gedreht und dann wachen wir auf und es werden plötzlich Kinder, die hier geboren worden sind, abgeschoben. Die Grünen wollten daher eine Kommission mit unabhängigen Expert:innen einsetzen, um das zu klären.

Ich habe anfangs Kritik an der Zusammensetzung geübt, weil keine Person mit unmittelbarem Praxisbezug dabei war. Asche auf mein Haupt: Das Endergebnis des Berichtes zeigt eine sehr gründliche Ausarbeitung bei der auch Stellungnahmen von Personen aus der Praxis eingeholt wurden.

MOMENT: Was sind die zentralen Ergebnisse des Kindeswohl-Berichts?

Gahleitner-Gertz: Grundsätzlich wurde festgestellt, dass es keinen Bereich gibt, der mängelfrei ist. Egal ob das jetzt die Unterbringung, die Verfahrensführung oder die Rechtsberatung betrifft. Die Mängel sind aber von unterschiedlicher Qualität, da muss man bei jedem Bereich genau hinsehen.

Es wurden einzelne sehr grobe Mängel von der Kommission festgestellt, so etwa die fehlende Obsorge im Zulassungsverfahren. Das heißt, dass in der ersten Zeit, in der die Kinder in Österreich sind, niemand die gesetzliche Obsorge für sie hat. Da ergibt sich für sie ein rechtliches Vakuum.

MOMENT: Was kann das für Betroffene in der Praxis bedeuten?

Gahleitner-Gertz: Wir hatten in letzter Zeit ein paar solcher Fälle: Es gibt ja grundsätzlich einen Rechtsanspruch auf ein rechtliche Vertretung im Asylverfahren, die durch die staatliche BBU GmbH. Dies gilt aber nur während des normalen Instanzenzugs. Wenn nun eine minderjährige Person zwar einen negativen Asylbescheid aber subsidiären Schutz bekommt und gegen die Entscheidung beim Höchstgericht Rechtsmittel einlegt, wird das vom Gericht zurückgewiesen. Die Zuständigkeit der BBU endet nämlich grundsätzlich mit der Zustellung des Erkenntnisses. Die minderjährige Person kann selbst aber nichts einbringen und keinen Anwalt beauftragen – weil sie minderjährig ist.

MOMENT: Die Kommission hat auch die “Asyl-Lotterie” kritisiert. Was bedeutet das?

Gahleitner-Gertz: Es kann sein, dass man zu einem Richter oder einer Richterin kommt, die Rücksicht auf das Kindeswohl trifft und die besonderen Einzelheiten des Falles anhand des Kindes herausarbeitet. Aber das ist total abhängig von der Person, die das macht.

Wir können die von der Kommission gewählte Bezeichnung “Asyl-Lotterie” leider sehr gut nachvollziehen. Es gibt ja die rechtlichen Grundlagen dafür, dass diese Kindeswohlprüfung stattfinden sollte. Aber das wird von den Behörden und den Gerichten nicht durchgängig gemacht, von manchen wird es schlichtweg ignoriert. Wir fordern daher, dass diese Prüfung des Kindeswohls als eigenes Kriterium explizit gesetzlich als Leitplanke für die Entscheidungspraxis verankert wird.

MOMENT: Im Bericht wird erwähnt, dass Referent:innen für negative Bescheide mehr “Punkte” bekommen. Was bedeutet das?

Gahleitner-Gertz: Es wurde schon seit einiger Zeit gemunkelt, dass Referent:innen Behördenintern eine gewisse Anzahl von Punkten erfüllen müssen. Dank dem Bericht haben wir den Beweis, dass sie für positive Bescheide weniger Punkte als für negative bekommen.

Bei negativen Bescheiden fällt zwar Zusatzarbeit an, weil man sie begründen muss. In den Behörden gilt aber auch ein 4-Augen-Prinzip bei positiven Bescheiden. Das heißt, dass solche Bescheide auch einen Mehraufwand für Kolleg:innen bedeuten und man dennoch weniger Punkte als für einen negativen Bescheid bekommt. Das ist ein fatales Zeichen: Es entsteht der Eindruck, dass ein Klima, dass die Erlassung negativer Bescheide begünstigt, geschaffen wird. Die Intransparenz des Innenministeriums zu diesem Thema hat schon bisher für viel Unsicherheit gesorgt. 

MOMENT: Welche Auswirkungen wird der Bericht haben?

Gahleitner-Gertz: Der Punkt der fehlenden Obsorge steht sogar im Regierungsprogramm. Wir gehen davon aus, dass dieser auch erfüllt wird, weil die ÖVP wohl nicht ihr Wort brechen wird. Es gibt auch sonst viele Inhalte, mit denen man schnelle Verbesserungen erzielen kann. Es liegt ja auch im Interesse der Behörden, diese internationalen Regelungen, zu denen sich Österreich bekennt, auch einzuhalten.

Realistisch gesehen gehe ich davon aus, dass das Innenministerium bei vielem abblocken wird. Die Reflexionsfähigkeit und Dialogbereitschaft des Ministeriums ist leider überschaubar. Ich glaube, es liegt an uns allen, dass man hier ein kinderrechtskonformes Verfahren einfordert. Kinder sind eigenständige Subjekte und nicht bloß Anhängsel einer Familie.

 

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