Österreichischer Kampfsport-Weltmeister fuhr nach Lesbos: ”Konnte nicht mehr tatenlos zusehen”
Es gibt unterschiedlichste Gründe, warum jemand aus seiner Heimat flüchten muss. Die Menschen im Flüchtlingslager Kara Tepe, das nach dem Brand Mitte September im umstrittenen Lager Moria notdürftig auf Lesbos errichtet wurde, haben jeweils ihre eigene Geschichte zu erzählen.
Ronny Kokert ist hart im Nehmen. Der Österreicher ist ein ehemaliger Kampfsport-Weltmeister. Und er hat sich viele dieser Geschichten angehört. Erzählungen, die von Angst und Verzweiflung getragen sind und fast auf einem wackeligen Flüchtlingsboot am Mittelmeer ein frühzeitiges Ende genommen hätten.
Kokert hat das Video eines 14-jährigen Afghanen gesehen, der von IS-Anhängern entführt wurde. Die haben im Video mit Kalaschnikows auf seinen Kopf gezielt und damit Lösegeld von seinen Eltern erpressen wollen. Und er hat die Geschichte einer jungen Afghanin gehört, die von türkischen Schleppern einfach gepackt, mitgenommen und nach drei Tagen ihrer Familie zurückgegeben wurde – gehört hat er sie aber nicht von ihr selbst. Seit ihrer Rückkehr spricht sie nicht mehr.
Nachdem Soforthilfe der Regierung nicht ankam, brachte Kokert Geld persönlich
Die schrecklichen Berichte vom Flüchtlingslager in Moria, veranlassten den nunmehrigen Kampfsport-Lehrmeister bereits im Februar zu einem Spendenaufruf. Damals reiste er schon persönlich nach Griechenland und stattete dem Lager einen Besuch ab – bei der Gelegenheit bot er jungen Flüchtlingen auch gleich eine Trainingseinheit an.
Nach dem Brand in Moria hörte Kokert, dass die Soforthilfe der österreichischen Bundesregierung im Athener Flughafen liegt. Bis heute ist sie trotz PR-Fotos von Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) nicht im Lager angekommen. Also sammelte Kokert erneut rund 7.000 Euro und machte sich wieder auf den Weg nach Lesbos. Mit der Hilfe von Flüchtlingen schlich er sich ins Ersatzlager in Kara Tepe ein und verteilte vor Ort an Familien das Geld in Kuverts mit hundert oder zweihundert Euro – und der Nachricht, dass dies mit lieben Grüßen aus Österreich komme.
Eine unkonventionelle Methode, die für Kritik bei Hilfsorganisationen sorgt, da diese etwa Raufereien und Konflikte um Bargeld befürchten, was ihm aber egal ist: “Ich konnte nicht mehr tatenlos zusehen. Und es war mir wichtig, dass das Geld auch wirklich schnell bei denen ankommt, die es dringend brauchen. Wir konnten nicht allen etwas geben und haben es so verteilt, dass diese nichts mitbekamen.”
Moria und Kara Tepe – ein neues Lager, das gleiche Elend
Die hygienischen Zustände in Moria empfand Kokert bereits als unfassbar, in Kara Tepe sind sie genauso schlecht: “Es gibt keine Klos und Duschen, gerade mobile Toiletten.” Eine Überschlagsrechnung ergibt: Auf eine solche Toilette kommen zweihundert Leute. Privatsphäre gibt es keine. Die Menschen horten ihre wenigen Besitztümer in den Zelten und sorgen für Ordnung, so weit es geht. Da es oft Ausgangssperren gibt, fühlen sich viele hier wie in einem Gefangenenlager.
Besser ist hier nichts: “Moria war chaotischer und verwinkelter aufgebaut, viele Leute haben in den Olivenhainen in der Gegend gezeltet. Das neue Lager in Kara Tepe mit seinen weißen Zelten direkt am Meer wirkt auf den ersten Blick geordneter – doch die Zustände sind genauso schrecklich.” Es befindet sich nur zehn Minuten von der Strandpromenade entfernt, was Kokert als extremen Kontrast erlebte: “Während die Urlauber dort ihr Leben genießen, interessiert das Elend in der Nachbarschaft niemanden.”
Keine Wirtschaftsflüchtlinge, nur traumatisierte Menschen
Der Großteil der aktuell rund 12.000 Flüchtlinge, die nun seit Monaten oder gar Jahren auf Lesbos fest sitzen, stammt aus Syrien, Afghanistan oder Somalia. Ronny Kokert ist egal, woher sie kommen, er sieht nur Menschen, denen dringend geholfen werden muss: “Ich habe zwei Töchter und wenn in meinem Land Krieg herrscht oder sie nicht sicher sind, dann gehe ich mit ihnen auch sofort weg.” Dass diese Menschen sich den lebensgefährlichen Weg nach Europa angetan haben, um einfach nur ein besseres Leben in Wohlstand zu leben, wie manche behaupten, findet er nur zynisch: “Viele hier sind traumatisiert, vor allem die Kinder. Hier gibts welche, die sich permanent mit der Faust auf den Kopf schlagen.”
Für ihn gibt es nur einen richtigen Umgang mit dem Lager: Räumen und die Menschen in Europa verteilen. “Und auch wenn Österreich mehr aufnimmt, wir haben doch so viele leer stehende Lager oder Bebauungsmöglichkeiten, in denen diese Menschen unter humanen Bedingungen leben können.” Die Leben der Geflüchteten dürften nicht für die Aufrechterhaltung politischer Weltbilder missbraucht werden.
Im Winter will er wieder hinfahren, dafür hat er bereits eine neue Spendenaktion initiiert.
Trainer und Kampfsportler Kokert auch in Österreich in der Flüchtlingshilfe engagiert
Bereits während der großen Migrationswelle 2015 half Kokert und brachte Sachspenden ins Flüchtlingslager Traiskirchen. Danach gründete er die “Freedom Fighters” und trainiert seither junge Asylanten in Kampfsporttechniken. So sollen sie lernen, dass Kampf auch Kooperation bedeutet und es nicht nur ein Gegeneinander, sondern auch ein Miteinander gibt. Einer seiner Schützlinge ist nun sogar Kick Box-Weltmeister. Vielen hat er seither geholfen, wo er konnte und er kann so von mehreren Erfolgsstorys berichten: “Einer unserer Burschen hat etwa nun seine Kochlehre im Hotel Sacher abgeschlossen.”
Warum es so viel Wut, Misstrauen und Angst gegenüber junger Migranten gibt, dafür hat Kokert eine Erklärung: “Vielleicht fühlen sich diese Menschen von jemandem bedroht, der hart arbeiten will, motiviert ist und dem das schöne Leben nicht einfach in den Schoß gefallen ist.”