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Fortschritt
Demokratie

Papstwahl mit Protest: Die Forderungen der Überlebenden von sexualisierter Gewalt

Papstwahl mit Protest: Die Forderungen der Überlebenden von sexualisierter Gewalt
Nicht nur Kardinäle und Pilger:innen sind nach Rom gereist für die Papstwahl. Proteste von Überlebenden sexualisierter Gewalt begleiten das Konklave. Symbolbild: Jens Hackradt/Pexels
Nach dem Tod von Papst Franziskus im April steht nun die Wahl eines neuen Papstes an. Zu diesem Zweck reisen über hundert Kardinäle nach Rom. Aber nicht nur sie: Auch Überlebende sexualisierter Gewalt sind vor Ort. Sie haben klare Forderungen an die katholische Kirche und wollen den Blick auf die Strukturen und Personen lenken, die Täter schützen und sexualisierte Gewalt ermöglichen. Über die Papstwahl und Proteste.

Ob man es befürwortet oder nicht – der Papst und die römisch-katholische Kirche haben nach wie vor weltweit starken Einfluss und stehen derzeit wieder im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit. Die Nachbesetzung des Papstes liegt, wie fast alles innerhalb der Institution Kirche, in der Hand von Männern – Kardinälen, um genau zu sein. Aktuell versammeln sich diese Männer aus aller Welt in Rom. 

Papstwahl mit Protest: Es geht um mehr als das Konklave

Sie sind aber nicht die einzigen. Neben den Kardinälen, sowie unzähligen Schaulustigen und Pilger:innen, haben sich auch Überlebende sexualisierter Gewalt und jene, die den Umgang der katholischen Kirche damit überwachen, in der Stadt zusammengefunden. 

Ihre Forderung: Eine Null-Toleranz-Politik gegenüber Sexualstraftaten sowie eine Prüfung der Kandidaten auf Mittäterschaft durch Vertuschung.

Wer wird wirklich beschützt?

Die Initiative SNAP (“Survivors Network of those Abused by Priests”) und die von ihnen speziell zum Zweck der Beobachtung der Konklave gegründete Organisation „Conclave Watch“ stellen klare Forderungen an den neuen Papst:

“Der nächste Papst muss ein Null-Toleranz-Gesetz gegen sexuellen Missbrauch erlassen, das missbräuchliche Geistliche und führende Persönlichkeiten, die Missbrauch vertuscht haben, umgehend aus dem Amt entfernt und eine unabhängige Aufsicht über die Bischöfe vorschreibt. Er muss seine Autorität nutzen, um grundlegende institutionelle Veränderungen herbeizuführen, die der systematischen Praxis des sexuellen Missbrauchs und seiner Vertuschung ein Ende setzen.” Außerdem dürfe der nächste Papst keine Vorgeschichte bezüglich Vertuschung sexuellen Missbrauchs haben – eine Voraussetzung, die Papst Franziskus laut Conclave Watch selbst nicht erfüllte.

Der Präsident von SNAP Shaun Dougherty weist darauf hin, dass alle Entscheidungsträger in der kommenden Wahl wissen, dass Tausende Täter noch immer in Pfarren und Schulen tätig sind und sie damit in der Verantwortung stehen, dafür zu sorgen, dass diese Täter und ihre Komplizen echte Konsequenzen erfahren.

Wie ernst meint es die Kirche? 

Der verstorbene Papst Franziskus – dem selbst Vertuschung vorgeworfen wurde – hat einige Reformen angeschnitten. Die Kirche handelt trotzdem noch immer mehr als unzureichend, wenn es um die Ahndung von Tätern aus ihren Reihen geht. 

Erst seit 2019 sind Kleriker zur Meldung von Missbrauchsfällen verpflichtet und Ermittlungen gegen Bischöfe, die Missbrauch vertuscht haben, möglich. Trotzdem werden in der Praxis noch immer viele Täter nicht konsequent zur Rechenschaft gezogen. 

Außerdem gelten diese Regelungen nur innerhalb der Kirche. Die Straftaten müssen laut den Reformen nicht dezidiert den zuständigen Behörden gemeldet oder öffentlich gemacht werden – es wird lediglich auf die Einhaltung nationaler Gesetze verwiesen. Sehen diese eine Anzeigepflicht vor, muss auch angezeigt werden. 

Außerdem wurde das “päpstliche Geheimnis” erst 2019 abgeschafft. Dadurch ist es dem Vatikan nun theoretisch möglich, Dokumente an die Zivilbehörden weiterzugeben und Opfer über den Stand der Ermittlungen zu ihren Fällen zu informieren. Bis dahin war das nicht erlaubt. In der Praxis werden die Informationen, Dokumente und Beweise laut der Organisation Conclave Watch aber immer noch oft zurückgehalten. 

Ein Schlag ins Gesicht

Das ist nicht nur ein Schlag ins Gesicht für Betroffene, sondern lässt auch daran zweifeln, wie ernst es der Kirche mit dem Schutz vor Übergriffen ist. 

Die Frage nach der Ernsthaftigkeit spiegelt sich auch in der Forschung wider, die zu dem Thema betrieben wird. Statt an effektiver Gewaltprävention zu forschen, wird oft durch den Begriff des “Spiritual Trauma” abgelenkt. Es ist ein Konzept, das durch einen katholischen Priester ins Leben gerufen wurde und den negativen Effekt vom Verlust des Glaubens nach Übergriffen behandelt. Statt an den Strukturen zu arbeiten, die Übergriffe erst ermöglichen, wird nach Möglichkeiten gesucht, Betroffene wieder in eben dieses System zu integrieren – “für ihre psychische Gesundheit”. 

Viele Mitglieder der 2014 gegründeten päpstlichen Kinderschutzkommission traten zurück und kritisierten mangelnde Verantwortungsübernahme und Transparenz innerhalb der Kirche. Mit dem Austritt von Marie Collins sind seit 2017 auch keine Betroffenen mehr Teil dieser Kommission. 

Die Irin kritisiert in einem Interview mit der New York Times die starken, traditionellen Kräfte im Vatikan, die aus Angst, dem Ruf der Kirche weiter zu schaden, das Gewalt-Problem aktiv ignorieren und die konstruktive Bearbeitung blockieren. 

Trotz aller Beteuerungen, Missbrauch in den eigenen Reihen ernst zu nehmen, bleibt die katholische Kirche den Beweis dafür schuldig. Solange ein Dialog mit Überlebenden ausbleibt und Transparenz verweigert wird, bleibt der Verdacht bestehen, dass der Schutz der Institution Vorrang hat gegenüber der Aufarbeitung und dem Schutz vor sexualisierter Gewalt. 

Auch wer der Kirche fernsteht, kann sich ihrer gesellschaftlichen Macht nicht entziehen. Als globale Institution mit Milliarden Anhänger:innen, politischem Einfluss und finanziellen Ressourcen prägt sie Werte, Gesetzgebung und Menschenrechte weit über die Grenzen des Glaubens hinaus. Deshalb ist auch die Wahl ihres Oberhaupts keine rein innerkirchliche Angelegenheit. Wer die katholische Kirche für die kontinuierliche Vertuschung sexualisierter Gewalt zur Verantwortung ziehen will, muss auch auf die Strukturen und Personen blicken, die sie lenken. Es geht nicht um Glaubensfragen, sondern um institutionelle Macht – und darum, ob diese endlich transparent und rechenschaftspflichtig wird.

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