Pflichtuntersuchung für SexarbeiterInnen: Ohne Termin keine Arbeit
SexarbeiterInnen müssen alle sechs Wochen zur Pflichtuntersuchung, um arbeiten zu dürfen. Aber was sollen sie tun, wenn sie wochenlang keinen Termin bekommen?
Eva hat ein Problem. Als Sexarbeiterin konnte sie während des Corona-Lockdowns nicht arbeiten. Die Maßnahmen sind nun gelockert, seit Juli dürfen Bordelle wieder öffnen, aber Eva bekommt keinen Termin für ihre Pflichtuntersuchung, die sie alle sechs Wochen wiederholen muss.
„Ich kann nicht arbeiten, weil ich nirgends einen Termin bekomme“, sagt sie. Eva heißt eigentlich anders, sie möchte so anonym bleiben wie möglich. Kein Wunder, ist ja Sexarbeit in Österreich längst nicht akzeptiert und die Szene klein.
Alle sechs Wochen werden SexarbeiterInnen auf die sexuell übertragbare Krankheit Gonorrhoe getestet, alle zwölf Wochen auf Syphilis und HIV. Wer diese Krankheit nicht hat, bekommt einen Stempel in das Gesundheitsbuch, auch Deckel genannt, und darf nun sechs Wochen legal arbeiten, je nach Bundesland entweder nur im Bordell oder auch auf dem Straßenstrich oder bei Hausbesuchen.
Termin für 400 Euro
„Das Lokal, in dem ich vor dem Lockdown gearbeitet habe, bleibt bis auf Weiteres geschlossen“, sagt Eva. Also wollte sie für ihre Arbeit nach Graz. „Am Gesundheitsamt haben sie mir gesagt, ohne Bestätigung eines Bordellbetreibers bekomme ich keinen Termin. Ich möchte mich aber noch nicht für einen Betrieb entscheiden.“ Ein Bordellbetreiber hat ihr daraufhin einen Termin angeboten, sagt sie. Der Haken: Wenn sie nach der Untersuchung nicht für ihn arbeiten möchte, muss sie ihm 400 Euro für den Termin bezahlen.
Das ist ein schwerer Vorwurf. Wir wollten von Graz wissen, ob ein Schwarzmarkt für Untersuchungstermine bekannt ist und SexarbeiterInnen tatsächlich eine Bestätigung eines Bordells brauchen, um einen Termin zu bekommen. Leider ist eine Antwort bis zum Redaktionsschluss ausgeblieben.
Anderes Land, gleiches Problem
In Salzburg sind Hausbesuche und Wohnungsprostitution verboten. Die SexarbeiterInnen sind also dazu gezwungen, in einem Bordell zu arbeiten, wenn sie ihrer Tätigkeit legal nachgehen wollen. Will also eine Sexarbeiterin ihre Pflichtuntersuchung machen und sich danach nach einem geeigneten Arbeitsplatz umsehen, bekommt sie keinen Termin – das bestätigt die Pressestelle des Landes. Genau hier liegt das Problem.
Christine Nagl ist Sozialarbeiterin und Leiterin des Projekts PiA in der Salzburger Frauenservicestelle Frau & Arbeit. „Ich weiß von mehreren Betrieben in Salzburg Land, die Termine verschachtert haben“, sagt sie. Eine Pressesprecherin des Landes schreibt nach einer Rückfrage mit dem Gesundheitsamt Salzburg Umgebung: „Ob Termine von Bordellbetreibern an Sexdienstleisterinnen „verkauft“ werden, können wir nicht beurteilen.“ Längere Wartezeiten gäbe es jedenfalls nicht.
Pflichtuntersuchung ist umstritten
Nagl kritisiert die Pflichtuntersuchungen an sich. „Österreich ist das einzige Land in ganz Europa, das diese Untersuchungen in regelmäßigen Abständen vorschreibt“, sagt sie. Nagl arbeitet seit mehr als zehn Jahren in Salzburg in dem Bereich und kritisiert den oft respektlosen Umgang mit den ArbeiterInnen an den Gesundheitsämtern.
Unter ExpertInnen ist die Untersuchung umstritten. Im 2018er Bericht der Arbeitsgruppe Prostitution wird festgehalten, dass ExpertInnen aus der Beratung die Pflichtuntersuchung kritisch sehen. Sie unterstütze das Vorurteil, dass von SexarbeiterInnen eine Gesundheitsgefahr ausgehe, KundInnen würden fälschlicherweise glauben, dass ein „Deckel“ ein Freibrief für ungeschützten Sex sei. Außerdem sei die Qualität der Untersuchung extrem unterschiedlich. Die andere Seite argumentiert wiederum damit, dass viele SexarbeiterInnen aus Unwissen ein freiwilliges Angebot nicht in Anspruch nehmen würden.
„So werden wir erpressbar“
Auch Thorja, die mit bürgerlichem Namen anders heißt, ist gegen Pflichtuntersuchungen. „Je mehr Vorschriften und Regeln es gibt, desto schlechter für die Sexarbeiterin. So werden wir erpressbar“, sagt sie. Thorja arbeitet als Escort in Wien und Niederösterreich und hat ihre Untersuchung schon hinter sich. „Andere müssen wochenlang auf einen Termin warten“, sagt sie. Eine Mitarbeiterin des Wiener Zentrum für sexuelle Gesundheit gibt MOMENT die Auskunft, dass registrierte SexarbeiterInnen innerhalb ein paar Tagen einen Termin bekommen würden. Wer allerdings zum ersten Mal kommen möchte, warte bis Mitte September.
Es ist beinahe unmöglich, abzuschätzen, wie verbreitet überlange Wartezeiten und der Handel mit Untersuchungsterminen sind. Das Gesundheitsministerium kann keine Auskunft dazu geben, denn die Gestaltung der Untersuchungen unterliegen den AmtsärztInnen, ebenso wie die Vergabe von Terminen. MOMENT schickte Anfragen an alle Bezirksbehörden Österreichs, um einen Eindruck über die Lage zu gewinnen. Weniger als die Hälfte beantworteten die Fragen bis zum Redaktionsschluss. Wir warten ab.
Für Eva ist das kein Trost. Mittlerweile hat sie in vier Bundesländern versucht, einen Termin für die Untersuchung zu bekommen. Ohne Erfolg. Sie hat seit Februar kein Einkommen mehr. „Ich möchte behandelt werden wie jede Friseurin oder Fußpflegerin, einfach wie eine ganz normale Selbstständige.“
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Update vom 18. August: Leiterin des Grazer Gesundheitsamts Eva Winter erklärt, dass Termine aktuell bevorzugt an Bordelle vergeben werden, um eine Verbreitung des Coronavirus zwischen den Etablissements zu verhindern. Sexarbeiterinnen, die nicht bei einem Bordell arbeiten, können sich einen Einzeltermin ausmachen. Problem sei viel mehr, dass Dienstleisterinnen aus anderen Orten zu einer Untersuchung kommen wollten, die Behörde sei für sie allerdings nicht zuständig.