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Kapitalismus
Ungleichheit

Prozess gegen Energieanbieter Maxenergy: Wenn garantierte Preise nicht mehr gelten

Energieanbieter Maxenergy kündigte Verträge, trotz laufender Preisgarantie.
Energieanbieter Maxenergy kündigte Verträge, trotz laufender Preisgarantie. Kund:innen mussten neue Energieversorger suchen, und mehr zahlen. Deshalb startet ein Prozess. Foto: Jeshoots/unsplash
Weil die Energiepreise durch die Decke gehen, kündigte der Energieanbieter Maxenergy Verträge weit vor Ende einer 18-monatigen Preisgarantie. Kund:innen und Verbraucherschützer:innen fordern Schadenersatz. Heute startet ein Prozess. Das Geschäftsmodell, Strom billig an den Börsen kaufen und teurer verkaufen, funktioniert nicht mehr. Viele Firmen geraten in Schieflage, bis hin zur Insolvenz. "Das Geschäft ist tot", sagt ein Insider.

Es wäre für sie ein Grund zur Freude, eigentlich: Energieversorger wie Wien Energie, die Salzburg AG oder Energie Burgenland gewinnen derzeit Kund:innen dazu – ohne, dass sie viel dafür tun müssten. Der Grund: Zahlreiche private Energieanbieter kündigen ihren Kund:innen die Verträge oder gehen sogar in die Insolvenz. Die Firmen McStrom und Care Energy mussten die Segel bereits streichen, mehr als zehntausend Kund:innen sind betroffen. Und die brauchen neue Lieferverträge für Strom und Gas.

Pleite gehende Energieunternehmen? Und das trotz Riesengewinnen der Branche angesichts steigender Preise? Das geht. Denn die Riesengewinne machen nur diejenigen, die selbst Strom produzieren. In Österreich ist das allen voran der mehrheitlich der Republik gehörende Verbund. Er kann seinen Strom aus billiger Wasserkraft jetzt teuer am Markt verkaufen. Und teuren Strom kaufen, müssen jetzt Energieunternehmen, die nicht selbst produzieren.

Energieanbieter Maxenergy kündigt Verträge mit Preisgarantie

So wie der Anbieter Maxenergy Austria Handels GmbH mit Sitz in Dornbirn in Vorarlberg. Dessen Geschäftsmodell: Strom und Gas möglichst billig an den Börsen kaufen und mit Gewinn an Kund:innen verkaufen. Aber billig kaufen, das gibt es jetzt nicht mehr. „Das Geschäft ist praktisch tot“, sagt ein Branchenexperte zu MOMENT. Was vorher stabiler Gewinn war, sei jetzt stabiler Verlust.

Maxenergy trat auf die Bremse: Die Firma kündigte mit Ende des vergangenen Jahres Lieferverträge, die stabile Energiepreise über 18 Monate garantieren sollten, bereits nach 12 Monaten Laufzeit. Betroffen sind rund 11.000 Kund:innen. Ein Sprecher des Unternehmens sagt zu MOMENT: Für Maxenergy war es „aufgrund des erheblichen Preisanstiegs der vergangenen Monate und der zu erwartenden weiteren Steigerungen“ praktisch alternativlos, die Verträge zu kündigen.

Das rief Verbraucherschützer:innen auf den Plan: Am heutigen Montag soll am Bezirksgericht Dornbirn in Vorarlberg ein erster Prozess starten. Laut Peter Kolba, Chef des Verbraucherschutzvereins (VSV), lägen 19 Klagen auf, die gemeinsam verhandelt werden. Weitere 250 potenziell geschädigte Ex-Kund:innen von Maxenergy hätten sich inzwischen gemeldet. „Wir bringen weitere Klagen ein“, sagt Kolba zu MOMENT.

„Wir gehen davon aus, dass die Preisgarantie verpflichtend einzuhalten ist und Schadenersatz gezahlt werden muss“, sagt Thomas Hirmke, Leiter des Bereiches Recht im Verein für Konsumenteninformation (VKI) zu MOMENT. Denn schließlich müssten die Ex-Kund:innen nun einen neuen Vertrag abschließen, der ungleich teurer ist, als der mit der Preisgarantie.

Schaden für Kund:innen könnte in die Millionen gehen

Durchschnittlich 300 bis 500 Euro mehr mussten Ex-Kund:innen von Maxenergy in den ersten sechs Monaten dieses Jahres für Strom und Gas zahlen, schätzen VKI und VSV. Trifft das auf alle 11.000 gekündigten Kund:innen zu, wären das mehr als 4 Millionen Euro. In einer Klageschrift, die MOMENT vorliegt, wird der eingeforderte Gesamtschaden eines ehemaligen Kunden von Maxenergy sogar mit 1.348,38 Euro angegeben.

„Gröblich benachteiligend“ sei es, Strom und Gas bereits nach einem Jahr nicht mehr zu den für 18 Monate garantierten Preisen zu liefern. So vorzugehen, verstoße gegen das Transparenzgebot und sei eine „irreführende Geschäftspraktik“, heißt es im Schriftsatz der Klage. Der Kunde hätte den „Energieliefervertrag nicht abgeschlossen, wenn der Preisvorteil nicht für 18 Monate garantiert worden wäre“.

Maxenergy sagt zu MOMENT: Das Unternehmen habe die Verträge zu Recht sechs Monate vor Ende der Preisgarantie gekündigt. In den AGB sei schließlich eine Mindestvertragslaufzeit von 12 Monaten festgeschrieben. Zum Ende dieser Zeit „endet demnach auch die Preisgarantie“, argumentiert der Sprecher von Maxenergy. Aber wenn ein gleichbleibender Preis für anderthalb Jahre versprochen wird, aber nach einem Jahr einseitig gekündigt werden kann, „was ist dann eine Preisgarantie wert?“, fragt Thomas Hirmke vom VKI.

Maxenergy ist kein Einzelfall. Die ganze Branche zittert

Mit dem Problem, dass die Energieanbieter nur mehr teuer einkaufen können, ihren Kund:innen aber billigere Tarife garantiert haben, „ist Maxenergy nicht allein“, betont das Unternehmen gegenüber MOMENT. Handlungsbedarf gebe es in der Branche insgesamt. Schon Ende vergangenen Jahres klagte der VKI gegen den Energiehändler Enstroga. Der hatte wie Maxenergy Verträge mit Kund:innen einseitig gekündigt, obwohl die Preisgarantie noch länger galt.

Die ehemaligen Kund:innen von Maxenergy, Enstroga und Co. landen dann oft bei den Grundversorgern, die mehrheitlich der öffentlichen Hand gehören. Wien Energie berichtet MOMENT von 20.000 neuen Kund:innen in den vergangenen Monaten, die Energie Burgenland gewann 5.000 neue dazu. EVN meldet mehr als 1.000 neue Verträge für Strom und Gas. Aber: Mit Kusshand begrüßen die Energieunternehmen die neuen Kund:innen nicht.

Denn Gewinn machen sie mit neuen Verträgen nicht, heißt es von den Versorgern. Und das, obwohl Kund:innen immer mehr für Strom und Gas zahlen müssen. Bestandskund:innen werden jetzt noch mit Strom versorgt, der geordnet wurde, bevor die Preise am Energiemarkt durch die Decke gingen. Die Energie, die neu hinzugekommen Kund:innen geliefert werden, müssen die Versorger aber zu den derzeitig extrem hohen Tarifen beschaffen. 

Folge: „Jeder, der jetzt einen neuen Vertrag braucht, weil der alte Anbieter gekündigt hat, bekommt ein Problem“, sagt Johannes Mayer, Volkswirt bei der Regulierungsbehörde E-Control zu MOMENT. Die Versorger verrechneten jetzt neuen Kund:innen „1:1 die Tarife, die an den Börsen verlangt werden“, sagt der Vertreter eines großen Energieunternehmens. Mit dem Energieverkauf an Endkund:innen allein, machten manche der großen Versorger sogar Verluste, heißt es gegenüber MOMENT. Deshalb würden sie derzeit nicht aktiv ihre Produkte bewerben, sagt ein Unternehmensvertreter unter der Hand.

Private Stromhändler knallen die Türen gleich ganz zu: „Wir bieten derzeit keine Tarife an“, schreiben manche Unternehmen auf ihrer Website. Neukund:innen sind also unerwünscht. Verkehrte Welt. Im deutschsprachigen Raum haben seit Herbst vergangenen Jahres rund 70 Energieanbieter aufgegeben. Finanzielle Reserven hätten die meisten Unternehmen nicht, so ein Brancheninsider. Und die meisten produzieren keinen eigenen Strom. Damit könnten sie die Verluste zumindest ausgleichen, die sie jetzt im Einkauf machen.

Energieanbieter schweigen, wie sehr die Krise sie trifft

Wie viele Kund:innen deshalb einen neuen Energievertrag abschließen mussten, ist nicht bekannt. Die Unternehmen geben sich äußerst zugeknöpft. MOMENT fragte bei zahlreichen Energieanbietern an. Wir wollten wissen, ob und wie viele Verträge mit Kund:innen gekündigt, wie die wirtschaftliche Lage des Unternehmens ist und wie sie in die Zukunft blicken.

Namentlich die Unternehmen Awattar, Naturkraft, AAE, Montana-Energie und Alpenenergie reagierten überhaupt nicht auf unsere Anfragen. Nur ein Unternehmen antwortete konkret: die oekostrom AG aus Wien. „Wir haben keine Kund:innen gekündigt und werden das auch nicht tun“, sagt Unternehmenssprecherin Gudrun Stöger. Die Lage sei jedoch schwierig.

Die steigenden Energiepreise seien ein Problem, „weil große Unterschiede zwischen Bestandspreisen und aktuellen Einkaufspreisen bestehen“. Heuer seien die Kosten, um Strom am Markt zu beschaffen, um etwa die Hälfte gestiegen. Für das nächste Jahr erwartet oekostrom, dass sich die Ausgaben für sie noch einmal verdoppeln.

Heißt: „Wir müssen mittelfristig Preise für Bestandskunden erhöhen, was wir nicht gern tun.“ Langfristig gebe es aus Sicht von Stöger nur einen Weg, um die hohen Energiepreise einzufangen: „Wir müssen die Erneuerbaren konsequent ausbauen.“ Das hilft nicht nur, die Klimaziele zu erreichen. Je mehr Strom aus günstiger Wasserkraft, Wind und Sonne kommt, desto weniger abhängig sind die Branche und deren Kund:innen von Energie aus Gas – und damit dem hauptsächlichen Herkunftsland Russland nicht mehr ausgeliefert.

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