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Gesundheit

Psyche und Corona: Versorgung soll besser werden

Mit der Corona-Krise steigen die psychischen Erkrankungen enorm. Gesundheitsminister Rudolf Anschober betont, dass die Versorgung von psychischen Erkrankungen jener der körperlichen Leiden in nichts nachstehen darf. Es soll einen massiven Ausbau geben. Warum der Weg richtig ist - aber steinig werden wird.

 
Rund jeder oder jede zweite ÖsterreicherIn leidet oder litt unter einer psychischen Erkrankung. Das ergibt eine neue Studie, die jedoch noch vor Corona durchgeführt wurde. Alle ExpertInnen sind sich einig: Durch die Krise gibt es ebenso eine Pandemie der psychischen Erkrankungen. Gesundheitsminister Rudolf Anschober will die Versorgung deutlich verbessern – der Weg ist richtig, wird aber steinig werden.

 

Die Bloggerin und Influencerin Leonie-Rachel Soyel hat eine Borderline-Erkrankung. Die 30-Jährige beschreibt die psychische Störung so: „Es gibt Phasen, in denen ich aus heiteren Himmel sehr depressiv werde und mich umgibt ein ständiges Gefühl der innerlichen Leere.“ Borderline bedeutet immer am Rand zu stehen, überwältigende Gefühle, die sich binnen Sekunden ändern: Vom absolutem Glückstaumel nahtlos zu tiefster Traurigkeit.

Leonie kann gut mit ihrer Krankheit umgehen. Sie ist in Therapie und besucht eine klinische Psychologin, macht therapeutisches Yoga. Privat gibt sie im Monat rund 800 Euro aus. „Das ist viel Geld und ich weiß, dass sich das viele nicht leisten könnten,“ erklärt sie.

Eine psychische Krankheit ist mit enormen Kosten verbunden

Eine private Psychotherapie kostet im Schnitt laut Berufsverband Österreichischer PsychologInnen 1.280 Euro. Zwei von drei Menschen können sich das nicht leisten. 

Erstmals umfassende Befragung über psychische Gesundheit der ÖsterreicherInnen

Das Ergebnis stammt aus einer aktuellen Befragung mit etwa 1000 Personen, die erstmals in dieser Form in Österreich stattgefunden hat. Mehr als ein Drittel der Menschen erkrankt mindestens einmal in ihrem Leben psychisch – wobei Frauen häufiger betroffen sind. 

Versorgung ist lückenhaft und muss oft privat getragen werden

Weitere Ergebnisse der Studie: Nur rund drei Viertel der psychisch Erkrankten haben auch wirklich Hilfe in Anspruch genommen. Und davon erhielten nur 37% eine kassenfinanzierte Therapie oder Behandlung. Bei jenen, die diese privat bezahlen mussten, strauchelten 65% finanziell.

Und: Nur für jede vierte Person war eine Behandlung auch gleich verfügbar. Auf einen Kassentherapieplatz warten manche mitunter sogar Jahre. Und etwa die Hälfte weiß nicht einmal, wohin sie sich im Krisenfall wenden soll. Insgesamt sind nur 10% der Meinung, dass Menschen mit psychischen Erkrankungen ausreichend geholfen wird.

Psychisch Kranke kämpfen noch immer mit vielen Vorurteilen

Auch sind psychische Krankheiten noch immer ein Stigma: 63% würden zwar der Familie oder FreundInnen von einer psychischen Krankheit berichten, aber nur 21% den ArbeitskollegInnen. Junge Menschen sind sogar noch verschwiegener.

Leonie musste erleben, dass ihr viele Kooperationspartner absprangen und Anfragen einbrachen, als sie erstmals 2018 in einem Blog über ihre Borderline-Diagnose schrieb. Nun möchte sie sich erst recht dafür einsetzen, dass psychische Krankheiten endlich als selbstverständlich angesehen werden.

Das wäre auch das Ziel von Gesundheitsminister Rudolf Anschober, zumindest in der Versorgung. Er will das Level diesbezüglich bei psychischen Erkrankungen so anheben, dass eine Depression so rasch und kassenfinanziert behandelt wird wie ein gebrochener Fuß: „Wir haben nach wie vor Lücken in unserer Versorgung, vor allem, was den Zugang und die Finanzierung betrifft. Wir werden Ernst damit machen, diese Lücken zu schließen.“ Im Herbst soll es erste Gespräche mit ExpertInnen und Arbeitsgruppen geben, um endlich eine adäquate Versorgung sicherzustellen.

Corona-Krise ist Turbo für psychische Erkrankungen

Die aktuelle Studie zeigt deutlich auf, wie schlecht die medizinische Versorgung psychisch Kranker in Österreich ist. Dabei wurde sie sogar noch vor Corona durchgeführt. Alle ExpertInnen sind sich jedoch darin einig, dass es nun in der Krise zu einer deutlichen Zunahme psychischer Erkrankungen kommen wird. Viele Menschen sind vereinsamt und haben finanzielle und existenzielle Problemen, die rasch zu einem Zusammenbruch führen können.

Ein selbstständiger Caterer hat MOMENT bereits vor einigen Wochen erzählt, wie ihn die Corona-Krise nicht nur wirtschaftlich ruinierte, sondern psychisch so belastete, dass er suizidal war und wochenlang in der Psychiatrie behandelt werden musste.

Kinder leiden enorm unter Corona

Viele Kinder und Jugendliche haben unter dem Lockdown gelitten: Sie konnten ihre Freunde nicht treffen, haben im Homeschooling den Bildungsanschluss verloren, mussten gar Gewalt erleben oder zusehen, wie ein Elternteil arbeitslos wurde und in einen psychischen Ausnahmezustand glitt. Vor allem Kinder von sozial benachteiligten Familien litten hier besonders.

Auch Christian Kienbacher, ärztlicher Leiter des Ambulatoriums für Kinder- und Jugendpsychiatrie des SOS-Kinderdorfs, betont den Ernst der Lage: Bereits jetzt würden Studien zeigen, dass ein Drittel der Kinder als Folge der Pandemie und der Selbstisolation Zeichen einer posttraumatischen Belastungsstörung aufweist. Vor allem die Versorgung psychisch kranker Kinder und Jugendlicher wurde bereits vor Corona als „skandalös schlecht“ bezeichnet. Es fehlen rund 80.000 kassenfinanzierte Therapieplätze für Kinder und Jugendliche. Im Burgenland gibt es nicht einmal einen Kinder- und Jugendpsychiater mit Kassenvertrag.

Rund 300.000 Kinder in Österreich leben in Armut oder sind von Armut bedroht. Ihre Eltern können sich keinesfalls private Hilfe bei seelischen Leiden leisten. Hier braucht es niederschwellige Angebote, Informationen und eine gute, kassenfinanzierte Versorgung.

Es ist also höchste Zeit, die Versorgung von psychisch kranken Erwachsenen, Kindern und Jugendlichen endlich zu verbessern. Gesundheitsminister Rudolf Anschober muss nicht nur die seelischen Leiden abfedern, die durch die Corona-Krise entstanden sind, sondern auch die enormen Versäumnisse der Vergangenheit aufholen. 

Leidest du unter Depressionen oder hast Suizidgedanken? Bitte wende dich an die Telefonseelsorge, kostenlos stehen dir Berater rund um die Uhr unter 142 zur Verfügung. Es gibt auch Beratungen über Chat und Mail.

Auch die Experten des Kriseninterventionszentrums stehen für eine Beratung und therapeutische Gespräche von Montag bis Freitag unter +43 1/ 406 95 95 zur Verfügung. Auch hier ist eine anonyme E-Mail Beratung möglich.

Die psychologischen Helpline des Berufsverbandes Österreichischer PsychologInnen ist Montag bis Sonntag, 10 bis 20 Uhr unter +43 1 /504 8000 erreichbar

 

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