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Gesundheit

Psychische Erkrankung: Mitten unter uns und ein Tabu

Psychische Erkrankung: Mitten unter uns und ein Tabu

Direkt oder indirekt ist jeder in Österreich von psychischen Erkrankungen betroffen. Doch aus Scham und Angst ausgegrenzt zu werden, verheimlichen viele Menschen ihr Leiden. Das kann fatale Folgen haben.

Direkt oder indirekt ist jeder in Österreich von psychischen Erkrankungen betroffen. Doch aus Scham und Angst ausgegrenzt zu werden, verheimlichen viele Menschen ihr Leiden. Das kann fatale Folgen haben.

von Bettina Mühleder

Es ist eine Volkskrankheit: Jede sechste Person in Österreich erleidet im Laufe ihres Lebens mindestens einmal eine psychische Erkrankung. Indirekt wird sogar jede einzelne Person damit konfrontiert, weil ein Familienmitglied erkrankt ist. Bis zum Jahr 2030 wird die Diagnose Depression die häufigste Ursache für gesundheitliche Probleme sein, die das Leben beeinträchtigen. „Wir alle sind vom Thema betroffen“, sagt Ewald Lochner, Koordinator für Psychiatrie-, Sucht- und Drogenfragen der Stadt Wien. „Entweder, weil wir selbst mit einer psychischen Erkrankung leben oder jemanden kennen.“ Offen darüber zu sprechen, ist aber immer noch ein Tabu. Weniger als die Hälfte aller an Depression erkrankten Menschen ist in professioneller Behandlung.

Männer weinen nicht

Psychische Probleme betreffen alle Menschen gleichermaßen. Das Risiko zu erkranken, der Krankheitsverlauf und wie sie damit umgehen, unterschieden sich allerdings deutlich zwischen Frauen und Männern. Betroffene Männer werden besonders häufig diskriminiert und, nicht zu unterschätzen, geißeln sich selbst besonders stark dafür. Das Klischee des starken Mannes, der keine Gefühle zeigen darf, ist noch immer präsent. Vor allem junge Männer leiden darunter, ihm vorgeblich nicht zu entsprechen.

Frauen erleiden nur wenig häufiger eine psychische Erkrankung als Männer. Bei ihnen treten Depression, Angst- und Essstörungen, die innerlich verarbeitet werden, doppelt so häufig auf wie bei Männern. Zu den nach Außen wirkenden Störungen zählen Alkohol- und Drogenabhängigkeit. Männer sind davon mehr als doppelt so häufig betroffen wie Frauen.

Auffällig ist auch: Zwei Drittel aller Versuche, sich selbst zu töten, werden von Frauen durchgeführt. Ihr Anteil an den Suizidversuchen, die tödlich ausgehen, ist wesentlich geringer. Er beträgt ein Viertel bis ein Drittel. Bis zu 75 Prozent aller Suizide werden also von Männern begangen – insbesondere im hohen Alter. Die hohe Suizidrate von Männern bei verhältnismäßig niedriger Zahl an diagnostizierten Depressionen, liegt auch an einer sehr hohen Dunkelziffer. Weniger als ein Drittel aller Männer mit Behandlungsbedarf, suchen sich professionelle Hilfe.

Die Furcht ausgegrenzt zu werden

Die Angst negativ abgestempelt zu werden sowie privat und beruflich Nachteile zu erleiden, ist enorm. Bilder vom „Verrückten“ oder vom „Irrenhaus am Stadtrand“ werden von Medien und der Film- und Fernsehindustrie aufrechterhalten und verstärken Vorurteile. Ein Beispiel dafür ist der aktuelle Kinohit „Joker“, an dessem Ende der Hauptdarsteller in ein solches „Madhouse“ eingewiesen wird.

Verbreitet ist auch das Klischee, psychisch Kranke würden zu Gewalttaten neigen. Das ist schlicht und einfach falsch. Studien belegen: Psychisch beeinträchtigte Menschen werden vielmehr eher Opfer von Gewalttaten als gesunde Menschen. Sie erkennen eine solche Tat schlechter und schaffen es weniger gut, sich dagegen zu wehren. Dazu kommen weitere Barrieren: Wenn das Umfeld nicht weiß, wie es mit einem erkrankten Menschen umgehen soll, wird dieser eher ausgegrenzt und isoliert. Das kann Symptome verstärken und verhindern, dass psychisch Erkrankte behandelt werden.

Anlaufstellen für psychisch Erkrankte wie die Psychosozialen Dienste wollen das aufbrechen. Unter dem Hashtag #darüberredenwir informieren sie, klären auf und sammeln Erfahrungen von Betroffenen. „Unser Ziel ist es, Wissen zur Verfügung zu stellen und Gespräche anzustoßen“, sagt Lochner.

Nicht zuletzt wirken psychische Erkrankungen auf die gesamte Gesellschaft: So ist der Kostenaufwand im Gesundheitssystem wesentlich höher, wenn diese erst spät behandelt werden. Betroffene fallen am Arbeitsplatz aus oder sind sogar langfristig komplett arbeitsunfähig. Experte Lochner fordert daher: „Wenn wir darüber reden, verbreitet sich das Wissen und wir können falschen Vorstellungen entgegenwirken.“ So könnten psychische Erkrankungen endlich aus der Tabuzone geholt und Betroffenen schneller geholfen werden.

 

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