Queer am Land: Warum queere Menschen es am Land so schwer haben
Als 16-Jährige quälte sich Marianne, weil sie keinen Freund finden konnte und irgendwie eigentlich nichts von Männern wollte. Mit Männern Händchen halten oder sie zu küssen hat sie einfach nicht interessiert. „Meine Schwester hat da gesagt: Warte, bis du nach Wien ziehst. Am Land sind alle Männer schirch. In der Stadt gibt’s viele fesche Männer, da findest schon einen.“
Als Marianne mit 17 nach Wien zog und auf ihre erste Pride ging, wurde ihr klar, dass ihr Desinteresse doch nicht an den „schirchen Männern am Land“ lag. Erst mit 20 wusste sie klar: Ich bin lesbisch.
queer am Land: Eine Frage des Angebots
Auch Jakob aus Imst war lange Zeit orientierungslos, was seine Sexualität anging: „Homosexualität wurde bei uns einfach nicht thematisiert.“ Anders als Marianne hat sich Jakob noch in seiner Heimatstadt geoutet. Dennoch bot der Umzug in die Stadt neue Erfahrungen: „Also man hat gewusst, dass jemand schwul ist, aber sowas wie Händchen haltend durch Imst spazieren hat es nicht gegeben“, erzählt er.
Es ist kein Geheimnis, dass es LGBTIQ-Personen häufig in die Stadt zieht. Die Obfrau der Homosexuellen-Initiative (HOSI) Wien Ann-Sophie Otte weiß das auch aus ihrer Arbeit: „Zu uns kommen viele Leute, die nach der Schulzeit direkt nach Wien zum Studieren kommen und hier frei queer sein können.” Als Wiener Verein werde man auch mit den Problemen am Land konfrontiert: “Es gibt Leute, die aus den umliegenden Bundesländern 1-2 Stunden mit dem Zug fahren, nur um bei unserem Jugendabend teilzunehmen. Weil es bei ihnen in der Form einfach kein Angebot gibt. Die Menschen leiden darunter, dass sie keine Möglichkeit für einen queeren Austausch in einem sicheren Umfeld haben und nehmen dafür wirklich weite Wege auf sich.”
queer am Land: Auch ein queeres Landleben muss möglich sein
Am anderen Ende Österreichs lebt Michael von der Organisation „Go West“ in Vorarlberg. Der Verein wurde vor 15 Jahren gegründet, um auch im ländlichen Westen Österreichs Perspektiven für ein queeres Leben aufzuzeigen.
Michael versteht junge Menschen, die es nach der Schule in die Stadt verschlägt. Er will aber auch eine Lanze für ein queeres Leben im ländlichen Westen brechen: „Klar ist ein offeneres und einfacheres Leben mit vielleicht weniger Diskriminierung etc. in der Großstadt möglich. Aber auch Vorarlberg und andere ländliche Regionen haben sich weiterentwickelt.“
Die Frage, ob das Land bei LGBTIQ-Themen konservativer ist als die Stadt, verneint er.
Ann-Sophie Otte von der HOSI meint: “Es kann durchaus sein, dass es in der Stadt verhältnismäßig genauso viele Konservative gibt, aber deren Stimmen sind dafür nicht so laut. In einem Dorf sind die sozialen Strukturen teilweise sehr eng. Was wir auch gerade viel von jungen Personen hören, ist, dass dort andere Werte und andere Organisationen einen viel größeren Einfluss haben.” Landjugend, Schießverein oder auch religiöse Organisationen seien in der Regel nicht sehr progressiv. LGBTIQ-Personen stoßen da auf wenig Akzeptanz. ”Das macht das Outing und das queere Leben am Land nicht gerade einfacher.“
queer am Land: Die Gemeinschaft kann auch ein Schutzraum sein
Jakob konnte allerdings in seiner ländlichen Gemeinschaft auch Schutz finden: „Wenn ich in Imst fortgehe, dann kennt sich der Großteil der Leute. Wenn da ein homophober Kommentar käme, wüsste man: Ok, das war gegen den Jakob gerichtet, den kennt man – das ist nicht in Ordnung. Das käme nicht so gut an. Ich glaube in Wien ist da die Hemmschwelle durch die Anonymität niedriger, den Leuten beim Fortgehen homophobe Sachen nachzurufen.“
Mariannes Erfahrungen als lesbische Frau am Land waren anders. Viel öfter als ausgrenzend oder tolerant reagierten Menschen auf homosexuelle Frauen verwirrt: „Bei zwei Männern finden die das eher grauslich. Bei zwei Frauen verstehen die das einfach nicht. Was mir am meisten begegnet ist nicht Aggression, sondern Überforderung.“
Ob Land oder Stadt, leicht ist es für Menschen aus LGBTIQ-Gruppen da wie dort nicht immer. Sowohl Jakob als auch Marianne wünschen sich auch deshalb eine bessere Verankerung von LGBTIQ-Themen im Unterricht. Als sozialer Mittelpunkt von Jugendlichen müsse es auch in der Schule Platz geben, um „Normen zu hinterfragen“.
Michael und Ann-Sophie sind sich auch einig, dass man queere Jugendliche mit simplen Gesten wie einer Regenbogenfahne im Fenster das Gefühl geben kann, willkommen zu sein: „Ja es ist nur Symbolpolitik, aber diese Symbole ändern etwas am Lebensgefühl dieser Menschen.“