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Ungleichheit

Rassismus in der Schule – damals und heute

Rassismus gegen Kinder mit Migrationshintergrund in der Schule ist allgegenwärtig und strukturell, erzählt eine LehrerIn einer Mittelschule in Wien. Sie stellt Erfahrungen ihrer Eltern und ihrer SchülerInnen gegenüber.

Rassismus in der Schule damals

Meine Großeltern kommen aus dem damaligen Jugoslawien. In den 1960er Jahren kamen sie, wie viele andere, auf der Suche nach Arbeit und einem besseren Leben nach Österreich. Dort lernten sie sich kennen. Meine Mutter wurde dann schon in Wien geboren.

Obwohl beide in Wien geboren wurden, erzählt meine Mutter ganz anders über ihre Schulzeit als mein Vater. Auch ihr Bildungsweg verlief sehr anders, obwohl die beiden Leben sich schon sehr früh kreuzten. Mit 10 Jahren waren beide am vermeintlich selben Punkt angekommen: eine erste Klasse in einem Gymnasium in Wien.

Der Weg trennt sich

Nach der 2. Klasse wechselte meine Mutter allerdings in die Hauptschule, mit einem Nicht genügend in Mathematik. Ein einziges Nicht genügend. Mit ein bisschen Nachhilfe wäre es vielleicht nicht so weit gekommen, aber Nachhilfe war in ihrer Familie kein Thema. Dazu war einerseits das Geld nicht da, andererseits sah man darin auch keinen Sinn. Auch die Lehrer*innen waren keine Hilfe: „Tschuschnkinder haben hier nichts verloren.“ 

Meine Mutter beendete schließlich die Hauptschule und machte eine Lehre. Sie hat ihren Weg gefunden. Dass sie nicht am Gymnasium bleiben konnte, die Matura gemacht hat und vielleicht sogar studieren war, das ist bis heute ein wunder Punkt.

Rassismus in der Schule heute

Dreißig Jahre später. Durch Zufälle bin ich Lehrerin geworden. Meine eigene Schullaufbahn verlief unspektakulär. Auch wenn ich selbst keinen Migrationshintergrund habe (beide Eltern in Österreich geboren) – die Geschichte meiner Mutter ist ein Teil von mir.

Seit einigen Jahren unterrichte ich nun an einer Mittelschule. Die Hauptschule, nur mit neuem Namen. Und immer wieder frage ich mich – erging es meiner Mutter genauso wie einigen meiner Schüler*innen?

Sabina*, 14 Jahre

Sabina war auch ein Jahr am Gymnasium, bevor sie mit einem Fünfer in Mathematik an die Mittelschule wechselte. Ich unterrichtete Sabina in meinem ersten Lehrjahr. Sie war damals in einer 3. Klasse. Sie war eine der besten Schüler*innen der Klasse, eigentlich wirkte sie die meiste Zeit unterfordert. 

Als ich sie nach ihren Erfahrungen am Gymnasium fragte, meinte sie, sie hatte nicht das Gefühl, das man sie dort haben wollte. Die Lehrer*innen hätten sie kaum unterstützt, und immer wieder Kommentare über ihren Migrationshintergrund gemacht. Ihre Texte wurden anders benotet. Dabei spricht Sabina perfektes Deutsch.

Marina*, 16 Jahre

Als ich Marina das erste Mal traf, war sie erst seit wenigen Wochen in Österreich. Sie saß in einer ersten Klasse Mittelschule, obwohl sie eigentlich schon 12 Jahre alt war und in ihrem Herkunftsland schon sechs Jahre Schulbildung hinter sich hatte. So kann sie sich zumindest vorerst auf das Deutschlernen konzentrieren, dachten wir uns. Nach einigen Wochen war klar: Marina lernt schnell. Zwei Jahre später war sie Klassenbeste. Und sie hatte einen Traum: Ärztin werden. Also entschieden wir gemeinsam mit ihr und ihrer Familie, dass ein Wechsel ins Gymnasium das beste für sie wäre. 

Am Ende ihres ersten Schuljahres im Gymnasium telefonierten wir. Sie erzählte davon, wie schwierig es war dort anzukommen. Die Deutschlehrerin fragte sie, warum sie denn überhaupt gewechselt hätte, wenn sie doch nicht perfekt Deutsch kann. Der Mathematiklehrer meinte, sie wäre selbst schuld, wenn sie Themen, die sie an der Mittelschule noch nicht gelernt hatte, nicht beherrschen würde. Sogar die Sportlehrerin fragte sie, ob sie denn an der Mittelschule nichts gelernt hätte. Ich wusste nicht, was ich Marina sagen sollte. Sie meinte, wenigstens die Mitschüler*innen hatten gesehen, wie sehr sie sich anstrengte und wie gut sie in kurzer Zeit Deutsch gelernt hatte.

Alen*, 10 Jahre

Alen ist der Sohn einer Verwandten mütterlicherseits. Er schloss die Volksschule mit einem ausgezeichneten Erfolg ab, nur Einser und ein paar Zweier. Ich fragte meine Verwandte, ob er nun ins Gymnasium gehen würde. Sie verneinte. Die Volksschullehrerin meinte, dass die Mittelschule der bessere Weg für ihn sei. Und sie weiß auch nicht, wie sie ihn im Gymnasium gut unterstützen kann. Also kommt er eben in die Mittelschule.

Man könnte sagen, diese Geschichten sind Einzelfälle. Wer einen tieferen Einblick in dieses System bekommen hat, der weiß: Das sind keine Einzelfälle. Das ist struktureller Rassismus. „Tschuschnkind“ sagt zwar niemand mehr, aber sonst hat sich seit dreißig Jahren kaum etwas verändert: wer Migrationshintergrund hat, dem werden in unserem Bildungssystem viele Steine in den Weg gelegt.

*Namen von der Redaktion geändert.

 
Schwarzer Hintergrund, "Schulgschichtn" Schriftzug in Kreidenästhetik - Der Artikel behandelt die Frage: Wie kann Schule besser werden?

Über Schulgschichtn: Schulgschichtn ist ein Projekt von drei jungen NMS-LehrerInnen, Verena, Simone und Felix. Sie sagen: „Der gesellschaftliche und politische Diskurs über die Neue Mittelschule (NMS) ist uns zu einseitig, zu negativ, zu destruktiv. Deswegen sammeln wir auf unserem Blog schulgschichtn.com konstruktive Schulgeschichten! Wir bieten einen realistischen Einblick in sogenannte ‚Brennpunktschulen‘ und schaffen eine Plattform, auf der echte ExpertInnen zum Thema Schule zu Wort kommen.‘ Auf dem Blog finden Erfolgs- und Alltagsgeschichten genauso Platz wie das Aufzeigen von Problemen und systemischen Veränderungsvorschlägen. Die besten Geschichten erscheinen monatlich auf MOMENT.

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