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Demokratie

Rechtsterrorismus: Einzeltäter, die keine Einzeltäter sind.

Im deutschen Essen wurde ein Anschlag mit rechtsextremem Motiv gerade noch verhindert. In Buffalo tötete ein Weißer zehn Menschen - er ging gezielt auf Schwarze los. Dieser Rechtsterrorismus ist kein zufälliges Ereignis. Weltweit erstarkt der Terror von Rechts. Es handelt sich um keine Einzeltäter, sie sind international vernetzt. Politologin Natascha Strobl analysiert.
 
 

Einzeltäter, die keine Einzeltäter sind: Rechtsterrorismus ist keine psychische Erkrankung. Im deutschen Essen wurde ein Anschlag mit rechtsextremen Motiven auf eine Schule gerade noch verhindert. In den USA tötete ein Terrorist zehn Menschen und ging dabei offenbar gezielt auf Schwarze Menschen los. Die Formen des Rechtsterrorismus, die wir aktuell sehen, sind keine beliebig aneinander gereihten Ereignisse. Sie sind Ausdruck einer weltweit erstarkenden und über Grenzen vernetzten Szene, die ein gewohntes Schema des Handelns gefunden hat.

Rechtsterrorismus von Utøya

Letztes Jahr gedachten wir des zehnten Jahrestags von Utøya und Oslo. Der Täter damals, Anders Breivik, war eine Zäsur. Er ist für viele Täter seither das Vorbild. Sein Manifest sagt, grob zusammengefasst: ein (jüdischer) Kulturmarxismus, der für Migration verantwortlich ist, muss mit allen Mitteln gestoppt werden. Rassismus, Antisemitismus, Hass auf vermeintlich „linke“ Eliten und Antifeminismus sind hier in wenigen Worten aneinander verknüpft.

Ein paar Jahre später läuft das alles unter der „Große Austausch“: ein völkisches „Wir“ (Abendland, Kultur, Europa, weiße Rasse…) hat zu wenige Kinder. Schuld daran ist vor allem der Feminismus, der Frauen irgendwelche Flausen in den Kopf setzt. Oder eine queere Community, die nicht den völkischen Geschlechternormen entspricht. Geheime (implizit jüdische) Eliten nutzen die Chance, dieses „Wir“ gegen ein „die Anderen“ (muslimisch, schwarz…) auszutauschen.

Das ist nicht neu. Neu ist, dass die Bezüge global hergestellt werden und die Referenzen ebenso global gesucht und gefunden werden. In Wien kommt der Nikolaus nicht mehr in die Kindergärten, in den USA gibt es einen schwarzen Präsidenten – alles wird zum Beweis für die eigene Verschwörungsideologie.

Rechte Verschwörungsideologie

Diese Bezüge kann man sich (vermeintlich allein) über das Internet, Mailinglisten oder später die sozialen Medien zusammen suchen. Auch diese funktionieren transnational und über Sprachgrenzen hinweg. Radikalisierungsprozesse sind so viel schneller. Weil sie eben nicht „alleine“ funktionieren. Die „Einzeltäter“ sind Ausdruck einer mehr oder minder losen globalen, transnationalen Community, die sich gegenseitig anstachelt. Ein Dauerfeuer an Rassismus, Antisemitismus, Antifeminismus.

Es sind begleitend auch bekannte Personen, die diese Narrative in große Öffentlichkeiten bringen. Irgendwann irgendwo setzt irgendwer das, was dort jeden Tag untereinander mit höchstem Emotionspegel ausgetauscht wird, in die Tat um. Das ist stochastischer Terrorismus. Terror entsteht quasi per Wahrscheinlichkeit heraus aus gesellschaftlichem Druck.

Weder das „Wer“ noch das „Wo“ noch das „Wann“ ist vorherzusagen, aber umso mehr Zeit vergeht, umso mehr steigt die Wahrscheinlichkeit in Richtung Sicherheit, dass ein Terroranschlag ausgeübt wird. Es kann überall geschehen, wo es Mitglieder dieser Communities gibt: Christchurch oder Essen oder Buffalo, New York.

Großer Austausch“ als Grundlage für Terror

Getrieben sind die Täter von der Vorstellung, dass ihre Tat „Notwehr“ gegen einen Austausch ist. Und bei Notwehr sind alle Mittel erlaubt. Das ist ein verschwörungsideologisches, ein faschistisches Weltbild. Wir sehen es viel zu oft und dieser Terror läuft sehr ähnlich ab:

Täter: Junger Mann, der schon auffällig wurde. Radikalisierung über Online-Communities und damit fälschlicherweise als „Einzeltäter“ gesehen. Livestream und Gamification der Tat. Manifest mit Verweis auf „Großen Austausch“ und die Hoffnung auf Nachruhm als Märtyrer. Das ist der moderne Rechtsterrorismus.

Es gibt viele Ansätze, dagegen vorzugehen. Einzeltätertheorien helfen nicht weiter. Alles monokausal unter „psychische Erkrankung“ zu verbuchen, ebenso wenig. Wichtiger wäre es, Systematiken zu erkennen und die Gefahr eines diffusen, dezentralen Faschismus, getragen durch Online-Communities, ernst zu nehmen.

Und vor allem die Multiplikator:innen zu benennen, die diese Verschwörungserzählungen in den breiten, demokratischen Diskurs tragen. Der „Große Austausch“ ist eine Idee des französischen Faschisten Renaud Camus. Es waren die Identitären, die diese Verschwörungserzählung rund um die Fluchtbewegungen 2015/16 popularisierten. Seitdem ist sie die ideologische Grundlage für Terror. Die Idee, dass man sich gegen einen „Austausch“ wehren muss, geht aber weit über das rechtsextreme Lager hinaus. Mittlerweile wird der „Große Austausch“ auch in konservativen Kreisen diskutiert – und das gibt Legitimation.

Und genau das ist es: Am Ende hat selbstverständlich niemand außer dem Täter direkte Schuld. Aber jenes Klima, in dem es ernsthaft plausibel erscheint, dass es einen Plan gibt, eine dekadente europäische/weiße Bevölkerung auszutauschen, das haben viele geschaffen.

 

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