Reclaim TikTok: Wie junge Menschen Rechtsradikale ausbremsen
Unter dem Hashtag #ReclaimTikTok arbeiten sie dagegen an. Die Regisseurin Lisa-Marie Gotsche hat sich mit dem Trend und seinen Ursachen für eine neue Doku auseinandergesetzt, die am 27. Mai erscheint. Was sie dabei herausgefunden hat, erzählt sie dir in diesem Interview.
MOMENT.at: Rechtspopulist:innen sind sehr erfolgreich auf TikTok. Warum denn? Was machen die denn für Content?
Lisa-Marie Gotsche: Der große Unterschied ist wirklich: Sie machen überhaupt Content. Die bedienen sich keinem “Gen-Z-Slang” um anzukommen, die machen einfach dort ihre Sachen. Das haben uns Expert:innen gesagt, die sich schon seit Jahren mit dem Thema beschäftigen. Politiker:innen haben sich lange gedacht, sie sind ja schon auf Instagram, haben diesen und jenen Kanal, sie müssten TikTok nicht auch noch bespielen. “Tanzen müssen wir jetzt nicht auch noch”, denken sie sich, um es salopp auszudrücken.
MOMENT.at: Die rechten Parteien waren da schneller … ?
Gotsche: Währenddessen haben aber AfD und FPÖ die Plattform sehr gut bespielt – auch sämtliche Vorfeldorganisationen der Rechten, die Parteijugend und Initiativen aus dem rechten Spektrum. Man muss dieses Phänomen gemeinsam sehen. Rechte treten gemeinsam auf und vernetzen sich. Was die alle gut können ist, ihre Follower:innen seit Jahren ständig zu aktivieren. Sie sagen zu ihren Follower:innen: “Seit nicht nur Publikum, sondern liked, shared und retweeted, was wir sagen.” Das machen Rechte sehr erfolgreich.
Sie zeigen auch, dass ganz normale politische Kommunikation auf TikTok möglich ist.
Wir haben auch den AfD-Politiker mit dem drittgrößten TikTok-Account seiner Partei interviewt. An dem Interview hat uns überrascht, dass er eine ganz andere Sprache auf TikTok verwendet als sonst. Daran kann man auch erkennen, wie professionalisiert das alles ist.
MOMENT.at: Jetzt gibt es mit #ReclaimTikTok eine Gegenbewegung.
Gotsche: Junge Menschen sagen zum Erfolg der Rechtspopulist:innen: “Hey, wir wollen diesem Trend entgegentreten.” Gerade auch im Zuge der Europawahlen. Seit März gibt es den Hashtag #ReclaimTikTok, den Klima-Aktivist:innen geprägt haben. Unter dem werden die Leute aktiv und erheben ihre Stimme. Die haben gemerkt, dass sie sonst Rechtspopulist:innen das Feld überlassen.
Wenn die Leute in einer älteren Generation, hätten sie auf der Straße Flugblätter verteilt. Heute machen sie eben ihre eigenen Live-Streams. Einer der Protagonist:innen in der Doku heißt Tommy und der sagt, dass er seit der Großdemo gegen Rechts in Potsdam im Jänner jeden Tag einen Live-Stream schaltet. Und seit es den #ReclaimTikTok gibt, macht er das eben unter dem Hashtag.
MOMENT.at: Wenn man nicht auf TikTok ist, wie kann man sich das inhaltlich vorstellen?
Gotsche: In einem Interview für diese Doku haben wir mit Susanne Siegert gesprochen. Sie betreibt einen TikTok-Kanal, wo sie über Naziverbrechen aufklärt und Erinnerungskultur betreibt. Sie meint: Die Leute sind nicht dumm. Man kann ihnen viel zumuten.
Es gibt junge Leute, die derzeit jeden Tag eine Stunde lang auf TikTok live gehen, um darüber konstruktiv zu diskutieren, warum andere die AfD wählen – oder besser gesagt – warum sie sie nicht wählen sollten. Diese Diskussionen sind sehr sachlich, teilweise auch provokant, aber die Leute sind sehr dahinter. Das ist auch die Message: Das geht viel weiter als Schminktipps und Tanzen. Es geht darum, dass eine Generation es gewohnt ist, sich auf Instagram, TikTok und Youtube Shorts nicht nur zu unterhalten, sondern auch zu informieren.
MOMENT.at: Von wie vielen Menschen sprechen wir bei der Gegenbewegung #ReclaimTikTok?
Gotsche: Der Hashtag hat mittlerweile 100 Millionen Views geknackt laut Initiator:innen. Auf TikTok finden sich unter dem Hashtag über 30.000 Beiträge.
Wenn man sich eine bestimmte Initiative dieser Bewegung, nämlich die Klimaaktivist:innen, genau ansieht, dann merkt man: Die haben Know-how für Kampagnenmanagement und das an den Europawahlkampf und #ReclaimTikTok angepasst. In Deutschland ziehen die jetzt durchs Land und haben sogar einen Telegram-Kanal, um Menschen zu aktivieren.
Das wirklich schöne an diesem Doku-Projekt war, zu zeigen, wie politisch aktiv junge Menschen heute sind.
MOMENT.at: Warum passiert das alles ausgerechnet auf TikTok?
Gotsche: Letztendlich geht es darum, wie wir unseren Diskurs führen. Das Spezielle an TikTok ist, dass der Algorithmus so gestrickt ist, dass wenn du etwas magst, du mehr davon zu sehen bekommst. Wenn du etwas nicht magst, bekommst du weniger davon zu sehen.
Ein Gutteil der jungen Menschen, mit denen wir zunächst gesprochen haben, die haben gar nichts von rechten Parteien auf TikTok mitbekommen. Auf der anderen Seite sind die Inhalte, die man in diese rechte Bubble serviert bekommt, ganz schön heftig. Wenn man den Inhalten folgt, dann befindet man sich ganz schnell in einer in sich geschlossenen Welt, die dezidiert nichts mit der anderen medialen Welt zu tun hat. Und das ist etwas, worüber wir dringend reden müssen.
Das andere ist dann auch die Gesetzesmäßigkeit der Plattform. Alle, die im Medienbusiness arbeiten, kennen das zu gut: Punchlines und Emotionalität werden mit Aufmerksamkeit belohnt. Das ist natürlich bestens gestrickt dafür, wie Rechtspopulist:innen ihre Botschaften platzieren.
MOMENT.at: Sehen die Politiker:innen TikTok heute anders?
Gotsche: Ja. Wir haben im Rahmen einer Umfrage, deutschen und österreichischen EU-Spitzenkanditat:innen die Frage gestellt, wie wichtig ihnen TikTok im Wahlkampf mittlerweile sei. Viele haben teilgenommen. Alle haben gesagt, dass es ihnen sehr wichtig sei.