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Demokratie
Klimakrise

Wie österreichische Qualitätsmedien über eine Schrottstudie zu Europas Bahnhöfen berichten – und wem das nützt

Der Wiener Hauptbahnhof
Der Wiener Hauptbahnhof
Deutsche Bahnhöfe sind schlecht. Wiener Bahnhöfe sind top. Darüber berichten Medien in Deutschland und Österreich derzeit. Hintergrund ist ein schwachsinniges Ranking einer neoliberalen US-amerikanischen Lobbygruppe. Warum macht die das? Was steckt hinter dem European Railway Station Index?

„Journalismus“ könnte so einfach sein. Jeden Tag schicken schwindlige PR-Agenturen aus aller Welt provokante Rankings an Redaktionen, die das Land des Mediums entweder besonders gut oder besonders schlecht dastehen lassen. Oft werden diese Listen als „Studien“ bezeichnet. Brauchbare Wissenschaft oder seriöse Methoden stecken natürlich in den seltensten Fällen dahinter. Kurze Google-Recherchen und Auswertungen von eingeschränkten Datensätzen sind schon das Höchste der Gefühle.

Berichtet man als Journalist:in darüber, kann einem das im Alltagsstress schon einmal nicht auffallen. Und wenn doch, könnte man das aber schön unter den Tisch fallen lassen. Und zack: ein schneller Artikel ist geschrieben, der die Aufmerksamkeit der Leser:innen und dazugehörigen Webseitenaufrufe für Werbeschaltungen garantiert. Das Problem daran ist natürlich, dass das kein Journalismus ist, der Relevantes von Irrelevantem trennt, Fakten prüft und einordnet. Für das Leben der Leser:innen des eigenen Mediums haben die Berichte demnach auch keinen Nutzen. 

Wie gut sind Europas Bahnhöfe und Toiletten?

Passieren tut es trotzdem. Ständig. Vor einigen Wochen geisterte eine Rangliste der „schmutzigsten Toiletten Europas“ durch die Medien-Landschaft. Wiener Toiletten seien besonders schrecklich, hieß es. Was führte zu diesem Urteil? Eine schnelle Auswertung von Google-Bewertungen – und das ausschließlich, wenn sie in englischer Sprache verfasst wurden. Eine seriöse Methode? Gar nicht. Neuigkeitswert? Null. Aufregungs-Potential? Groß. Berichterstattung? Natürlich flächendeckend.

In den vergangenen Tagen lieferten Medien quer durch den deutschen Sprachraum neues Anschauungsmaterial. Diesmal ging es um den „European Railway Station Index 2023“ – ein Ranking über die besten und schlechtesten Bahnhöfe Europas. Besonders schlecht darin: Deutsche Bahnhöfe. Besonders gut: zum Beispiel der Wiener Hauptbahnhof.

Was ist das Consumer Choice Center?

Erstellt hat die „Studie“ (wer sie sehen muss, findet sie hier) keine Organisation, die sich mit dem Verkehr oder Bahnen in Europa beschäftigt. Davon gäbe es viele. Aber sie kam vom Consumer Choice Center. Das ist „eine US-amerikanische Lobby-Organisation, die auch in der EU tätig ist“, wie es in der „Lobbypedia“ von LobbyControl heißt. Dahinter stecken „Geldgeber vor allem aus der Tabakwirtschaft, Unternehmen mit Verbindungen zur Öl- und Gasindustrie, sowie anderen libertären Organisationen“. Die Arbeit der Organisation ziele folgerichtig vor allem darauf ab, Regulierungen und staatliches Wirtschaften zu untergraben. Diese Einordnung leisten Medien in ihren Berichten fast nie.

European Railway Station Index: Scheinbar viele Daten, dabei viel Unsinn

Das medienkritische Magazin „Übermedien“ aus Deutschland hat sich angesehen, was hinter dem Ranking steckt. Im Detail, findest du das hier. In aller Kürze zusammengefasst: Das Ranking basiert vor allem auf oberflächlichen Internet-Recherchen. Die Autor:innen haben keine Ahnung von den tatsächlichen Zuständen vor Ort, ob man sich im Bahnhof gut zurechtfindet und ob das dortige Angebot dem Passagieraufkommen genügt.

Etwa die Hälfte aller 50 untersuchten Bahnhöfe sind zudem aus Deutschland – Spanien hat zum Vergleich offenbar nur einen relevanten Bahnhof in Madrid. Ins Ranking fließen Dinge ein, die mit der Qualität von Bahnhöfen einfach wenig bis nichts zu tun hat. Etwa: Kann man mit einem Uber zum Bahnhof fahren? Oder Daten zu Zugverspätungen. Dafür kann ein einzelner Bahnhof zwar meist nichts, aber dafür sind die Daten dazu in der Erhebung eh auch unzuverlässig und unvollständig und wurden zudem nur an einem einzigen Tag im Jahr 2023 gesammelt.

Auch gut für das Ranking: Wenn man möglichst viele Ticketoptionen anbietet. Ein einziges günstiges Ticket für alle? Das wäre demnach schlecht. Und möglichst viele Restaurants gut. Falls ein lokaler Kleinbahnhof nächstes Jahr gut aussehen möchte, einfach 30 verschiedene Restaurants eröffnen. Außerdem: irgendeine Privatbahn gründen. Wenn mehr als ein Anbieter den Bahnhof ansteuert, ist der Bahnhof nämlich auch besser.

Köder: Schande für Deutschland, Lob für Österreich

Die Schuld für die angeblich schlechten Zustände an deutschen Bahnhöfen gibt die „Studie“ dann auch dem deutschen 9-Euro-Ticket. Zu viele Menschen nutzen deshalb den Zug. Nicht wichtig für diese Analyse ist, dass als einige Daten erhoben wurde, es das 9-Euro-Ticket teilweise noch gar nicht oder nicht mehr gab. Für Medien sind solche Sager ein gefundenes Fressen – vor allem, wenn sie sowieso schon ein ideologisches Problem mit günstigem oder allgemein öffentlichem Verkehr haben oder schlicht von Kontroverse leben. 

Österreichische Medien und ihr Publikum werden mit einer Prise Patriotismus gelockt. Die Bahnhöfe hier sind ganz toll! Dass es den Wiener Hauptbahnhof gibt, bemerkten die Autor:innen immerhin schon in der vierten Ausgabe ihres Rankings. Hätten sie ihn wirklich besucht, hätte er ihnen anscheinend gefallen. Er ist der zweitbeste Europas! Und während etwa Barcelona gar keinen wichtigen Bahnhof hat, der es ins Ranking geschafft hat, ist Wien-Meidling nun dabei und angeblich gleich der zehntbeste Bahnhof Europas. Wer in den Datensatz schaut, wird bemerken: die Autor:innen wissen bisher nicht einmal, dass beide Wiener Bahnhöfe eine U-Bahn-Anbindung haben. Platz 1 ist im nächsten Index also greifbar.

Darauf warten heimische Medien aber nicht.

 

 

Viele springen schon jetzt an. Und das ist ja das eigentliche Ziel.

 

 

Bedauerlicherweise halten insbesondere Qualitätsmedien in Österreich die Geschichte für erzählenswert.

 

 

Die zugehörigen Artikel zu diesen Schlagzeilen sind übrigens keine bloß kopierten Agenturmeldungen, die zu wenig nachgeprüft wurden. Sie sind als redaktionelle Arbeit gekennzeichnet – bei „Presse“ und „Standard“ sogar namentlich. 

Die Rankings sind schlecht

Wohlgemerkt: Das soll alles nicht heißen, dass die Wiener Bahnhöfe in Wahrheit schlecht und die deutschen Bahnhöfe toll sind (obwohl der angeblich „schlechteste“ Bahnhof in Bremen bei einem Ranking deutscher Bahnallianzen lustigerweise 2012 noch der „beste“ war). Nur, dass jedenfalls dieses Ranking ein mieses Argument ist, etwas darüber zu sagen. 

Das „Consumer Choice Center“ weiß das bestimmt, dass ihre Studie Mist ist. Genauso wie es die PR-Agentur wusste, die für einen Sanitäranbieter Europas Toiletten bewertet hat. Oder das Reisebüro, das jüngst per Aussendung verriet, wohin die „Gen Z“ am liebsten reist (Spoiler: Unter 100 geführten Städten aus aller Welt sind Innsbruck, Graz und Salzburg gar nicht die beliebtesten).

Medien verschenken Glaubwürdigkeit

Um gute Informationen geht es hier schließlich nicht. PR-Agenturen hoffen auf billige Werbung und Links auf die Webseiten für ihre Kund:innen. Für politische Organisationen wie das „CCC“ geht es wohl auch um etwas anders. Es ist auch nicht wirklich wichtig, wie der Index sein Ergebnis erklärt. Er soll nur Aufmerksamkeit und Medienerwähnungen erzeugen.

Wenn es das nächste Mal Lobbyarbeit gegen Regulierungen und Klimaschutz oder für Privatisierungen betreibt – wie es seine Financiers gerne haben – dann will es ernst genommen werden. Auf der Webseite rühmt es sich damit, mit seiner Arbeit schon über 4.000 mal in Medien zitiert worden zu sein. Dazu listet es die Logos der New York Times, des Guardian und anderer großer Medienhäuser. Und das verleiht den Anschein von Seriosität.

Und so liefern auch Medien, die meist ordentlich arbeiten, mit gelegentlich schlampiger Arbeit in scheinbar harmlosen Bereichen nicht nur ihren Leser:innen ein mitunter falsches und ziemlich nutzloses Bild von der Welt. Sie geben einer libertären Lobby-Organisation auch den Anschein von Glaubwürdigkeit. 

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