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Arbeitswelt
Ungleichheit

Selbstständige in der Armutsfalle: Freiheit ohne Netz

Wer sich selbstständig macht, bekommt Flexibilität, Freiheit und Freude, heißt es. Was dagegen fehlt, ist die  soziale Absicherung. Mindestens 30.000 Scheinselbstständige können davon ein Lied singen. 

Der eigene Chef sein. Selbst entscheiden, wann und wo für wen wie viel gearbeitet wird. Ein Traum, so denkt man. Tatsächlich meldet die Wirtschaftskammer für das Vorjahr 315.900 Ein-Personen-Unternehmen in Österreich. Rechnet man die Neuen Selbstständigen oder Freiberufler dazu (Anm.: Berufe ohne Gewerbeschein) kommt man gar auf über 350.000 Menschen. 

Doch es sind bei weitem nicht alle echte Unternehmer. So geht Arbeiterkammer-Forscher Norman Wagner von mehr als 30.000 Scheinselbstständigen hierzulande aus. Menschen also, die keine Mitarbeiter und häufig sogar nur einen einzigen Auftraggeber haben. Und die sehr oft sogar mitten unter den Angestellten des Auftraggebers sitzen und auch die gleiche Arbeit verrichten. Aber eben nicht angestellt sind.

Für den Auftraggeber ist dieses Arrangement vor allem eines: günstig. „Der Dienstgeber erspart sich  21,38 Prozent an Sozialversicherung, die er für einen Angestellten zahlen müsste“, sagt Monika Weißensteiner, Sozialversicherungsexpertin der AK Wien. Ebenso entfallen in jedem Beschäftigungsjahr zwei Monatsgehälter für Urlaubs- und Weihnachtsgeld, das Urlaubsgeld für durchschnittlich 25 Tage, die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall sowie die Arbeitgeberbeiträge für die Abfertigung neu. 

Geringere Pension 

Kein Wunder also, dass große Unternehmen gerne auf Werkvertragsnehmer zurückgreifen. Für die Selbstständigen selbst ist dieser Weg ein Risiko. So müssen Selbstständige die gesamten Versicherungsbeiträge allein bezahlen, haben keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld und Notstandshilfe und bekommen erst ab dem 43. Krankheitstag Geld von der Krankenkasse gezahlt. Das Gesetz sieht außerdem keinen Mutterschutz und keine Abfertigung vor. 

Häufig fällt auch die Pensionshöhe deutlich geringer aus, da das Nettoeinkommen im Schnitt unter dem von Unselbstständigen liegt – und so manchen Selbstständigen leicht in die Armutsfalle rutschen lässt. Ein Ein-Personen-Haushalt braucht laut Statistik Austria 1.259 Euro im Monat, um nicht unter die Armutsgefährdungsschwelle zu geraten. Und da sind es die Selbstständigen, die mit 16 Prozent die größte Gruppe der sogenannten Working Poor stellen.

„Die Zahl ist deutlich höher als bei unselbstständig Tätigen“, sagt Statistikexperte Richard Heuberger. Und: „Es ist außerdem die inhomogenste Gruppe, da viele Selbstständige gar keine Geldprobleme haben, andere hingegen sehr große.“ Das hänge primär von der Betriebsgröße ab – je größer der Betrieb, desto weniger Schwierigkeiten. Damit sind Ein-Personen-Unternehmen klar im Nachteil.

Kein Arbeitslosengeld

Noch schlimmer ist es, wenn einem der einzige Auftraggeber einmal wegbricht. Genau das ist Markus (Anm.: Name geändert) passiert. Er war nach der Matura zehn Jahre lang im Bildungsbereich angestellt und hat danach zu einem Verlag gewechselt. Dort haben sie ihm keinen Dienstvertrag, sondern einen Werkvertrag angeboten. Er nahm an, obwohl er Schreibtisch an Schreibtisch mit den angestellten Kolleginnen und Kollegen saß und auch in die Dienst- und Urlaubsplanung eingebunden war. „Die Bezahlung war in Ordnung“, sagt Markus noch heute. Auch, wenn er zugeben muss, dass sein Nettoeinkommen doch nicht so toll war und er nur wenig davon beiseitelegen konnte. 

Nach 17 Jahren kam zudem der große Schock. Der Verlag ging pleite und Markus musste plötzlich feststellen, dass alle Möglichkeiten, die das System für seine Kolleginnen und Kollegen bereitstellte, für ihn nicht galten: „Ich hatte keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld, auf Zahlungen aus dem Sozialplan oder den Eintritt in eine Arbeitsstiftung. Selbst um eine kurze Kündigungsfrist musste ich streiten.“ Nachsatz: „Tatsächlich stand ich von einem Tag auf dem anderen auf der Straße.“ Die weitere Jobsuche gestaltete sich zudem schwierig: „Vielen war ich einfach schon zu alt. Und zu teuer“, sagt der heute 51-Jährige.

Seit zwei Jahren ist er nun vor allem zu Hause und unterstützt seine Frau. Die hatte nämlich just zur selben Zeit beschlossen, sich im Dienstleistungsbereich mit einem Ein-Personen-Unternehmen selbstständig zu machen: „Ich bin derzeit Hausmann.“ An die Pension traut er sich freilich kaum zu denken: „Ich bekomme jedes Mal Panik, wenn ich einen Auszug des Pensionskontos in der Hand halte, von diesem Betrag werde ich kaum leben können.“

Kreative Lösungen

Auch Barbara (Anm.: Name geändert) hat sich echte Sorgen um ihre Pension gemacht. Und um die Zeit davor. Die 60-Jährige wurde vor einiger Zeit durch eine „vergleichsweise harmlose“ Krankheit regelrecht aufgerüttelt: „Damals ist mir klar geworden, dass ein längerfristiger Verdienstausfall meine ganze Existenz gefährden kann.“ Nachdem sie sich über ihre soziale Absicherung im Krankheitsfall schlau gemacht hat „und kapiert habe, dass diese so gut wie nicht vorhanden ist“, hat Barbara nach kreativen Lösungen gesucht.

Also haben sie und mehrere ihrer Freunde in ihren bisherigen Ein-Personen-Unternehmen Personal aufgenommen: „Wir haben uns einfach gegenseitig angestellt.“ Die entsprechenden Versicherungsbeiträge, Gehälter und Lohnnebenkosten werden ebenfalls wechselseitig gezahlt. Diese Variante, gibt Barbara zu, ist nicht ganz korrekt, aber effizient: „Damit nutzen wir das System, das Unselbstständigen eine bei weitem bessere Absicherung bietet als Selbstständigen.“

Möglich, ist das freilich nur, weil Barbara und ihre Freunde gut verdienen. Für viele andere Ein-Personen-Unternehmen, die vielleicht sogar an der Armutsgrenze entlang rutschen, bleibt die Angst ums nackte Überleben weiter bestehen. Eine Lösung ist allerdings nicht in Sicht.

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