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Arbeitswelt
Ungleichheit

Sozialer Aufstieg: “Es ist oft nur Zufall und reines Glück”

Wenn du hart genug arbeitest, kannst du alles erreichen, heißt es gerne. Doch sozialer Aufstieg ist oft nur Glück und Zufall. Im Buch “Klassenreise” erzählen Kinder von ArbeiterInnen und MigrantInnen, wie sie es trotz allen statistischen Unwahrscheinlichkeit doch ans Gymnasium oder die Uni geschafft haben. Wir haben mit Brigitte Theißl, einer der beiden Autorinnen gesprochen - und ihre eigene Klassenreise.

MOMENT: Wie kamst du dann auf die Idee, gemeinsam mit Betina Aumair das Buch “Klassenreise” zu schreiben?

Brigitte Theißl: Wir haben beide Gender-Studies studiert und waren gemeinsam in einem Verein aktiv. Wir haben auch immer wieder Lesekreise und Projekte zum Thema Klassismus gemacht. Und da haben wir schnell bemerkt, dass viel Bedarf herrscht, über die eigenen Erfahrungen zu sprechen. Und so kamen wir auf die Idee, ein Buch mit solchen Geschichten zu schreiben. Anhand solcher Biografien ist strukturelle Ungerechtigkeit leichter zu thematisieren, als über Zahlen und Statistiken zu sprechen.

MOMENT: Welche Erzählungen haben dich besonders beeindruckt?

Theißl: Jede für sich war spannend, wir haben mit so vielen Menschen gesprochen, das wir gar nicht alle Geschichten im Buch untergebracht haben. Aber einen Eindruck hinterlassen hat bestimmt Julischka Stengele. Ihre Mutter war Alleinerzieherin, die finanzielle Situation war sehr prekär. Stengele hat später in Einrichtungen wie Jugendheimen gelebt, für sogenannte Care Leaver ist der Bildungsweg besonders hürdenreich. Es ist extrem unwahrscheinlich, dass jemand mit so einer Biografie studiert und sogar Künstlerin wird. Das war nur unter viel Entbehrung möglich und sie hat einen hohen Preis bezahlt. Sie sieht deshalb ihre Klassenreise nicht nur positiv. Solche Geschichten haben wir oft gehört: Dass sozialer Aufstieg auch ambivalent ist, weil sich die Menschen dann nirgendwo richtig zugehörig fühlen.

Alle sagen eigentlich, dass es viel Glück war und sie zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort waren.

MOMENT: Gibt es ein Muster in all den Biografien? 

Theißl: Eine Erkenntnis war, dass man eben nicht sagen kann, dass sozialer Aufstieg davon abhängig ist, ob jemand sehr engagiert oder besonders intelligent ist. Alle sagen eigentlich, dass es viel Glück war und sie zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort waren. Etwa, weil eine Lehrerin eine Schulempfehlung abgegeben hat, oder sie vom Freundeskreis mitgezogen wurden. Alle meinen auch, dass es ganz anders kommen hätte können. Viele haben Geschwister, denen es ganz anders ergangen ist.

MOMENT: Was wollt ihr mit dem Buch bewirken?

Theißl: Wir wollen neoliberale Mythen entzaubern. Es soll allen klar werden, dass sozialer Aufstieg nicht gelingt, nur weil jemand fleißig und ehrgeizig ist. Wir wollen keine Aufstiegsgeschichten erzählen oder gar eine Art Anleitung geben: “So gelingt ArbeiterInnenkinder der Sprung aufs Gymnasium.” Wir wünschen uns einen Dialog über soziale Herkunft, strukturelle Ungleichheit und Umverteilung und diese persönlichen Geschichten sind eben ein guter Anknüpfungspunkt.

Es braucht endlich eine Gesamt- und Ganztagsschule.

MOMENT: Was müsste sich ändern, damit eben diese strukturelle Ungerechtigkeit endlich durchbrochen wird?

Theißl: Unter anderem muss eine radikale Änderung des Bildungssystems her. Es braucht endlich eine Gesamt- und Ganztagsschule. So hätten endlich die Kinder eine bessere Chance, deren Eltern sie nicht so gut beim Lernen unterstützen oder ihnen keine Freizeitaktivitäten bieten können. Weiteres muss endlich der Spracherwerb im Unterricht integriert werden. Deutschförderklassen grenzen ja oft noch mehr aus. Wir haben auch in unserem Buch Geschichten von MigrantInnen gesammelt, etwa von Zeynep Arslan: Ihre Eltern kommen aus der Türkei, am Anfang war es schwierig aufgrund der sprachlichen Hürden schwierig für sie, mittlerweile  hat sie einen Doktortitel – und erlebt oft, dass Menschen irritiert sind, weil für sie nicht zusammen geht, dass jemand wie Zeynep – mit diesem Aussehen und diesem Namen – einen Doktortitel hat. 

MOMENT: Sie und ihrer Co-Autorin gelang selbst sozialer Aufstieg. Wie hat das geklappt?

Theißl: Ich und meine Schwester sind die ersten, die in der Familie studiert haben. Meine Mutter hat als einzige in ihrer Familie die Matura gemacht. Wir waren jedoch nicht armutsgefährdet, nach der Trennung war meine Mutter alleinerziehend und da war das Geld schon knapp. Aber in der Schule konnte ich zum Beispiel immer auf Schulschikurs mitfahren. Ich habe schon mitbekommen, dass das für andere Familie wirklich ein finanzielles Problem darstellt.

Mir ist schon früh aufgefallen, dass der Arzt im Dorf ein ganz anderes Ansehen genießt, als etwa meine Großeltern.

MOMENT: Wann hast du das erste Mal begriffen, dass es so etwas wie soziale Schichten gibt?

Theißl: Ich bin am Land in der Südsteiermark aufgewachsen, die Klassenunterschiede waren da eher gering. Aber mir ist schon früh aufgefallen, dass der Arzt im Dorf ein ganz anderes Ansehen genießt, als etwa meine Großeltern, die bäuerliche Hilfsarbeiter waren. Natürlich bekommt man schnell mit, wie manche leben und was sie sich leisten können, wenn du als Kind bei anderen eingeladen bist. Klar wurde mir auch, dass ich sogar privilegiert bin, im Gegensatz zu anderen.

MOMENT: Wie wurde dir das bewusst?

Theißl: Bei uns in der Volksschule gab es eine Familie, die armutsbetroffen war. Die Kinder trugen offensichtlich abgetragene und unmoderne Kleidung. Diese Kinder haben sich jedenfalls von KlassenkameradInnen viele abfällige Bemerkungen gefallen lassen müssen. Und da habe ich früh einen Sinn für Ungerechtigkeit entwickelt. Ich war zwar eher zurückhaltend und introvertiert und habe nicht die große Revolution gestartet, ich war aber zumindest im Kleinen solidarisch.

MOMENT: Und wie kam es dann, dass du studiert hast?

Theißl: Das war eher Zufall. Ich bin gerne in die Schule gegangen und zum Glück haben meine Eltern nicht gesagt, dass das Unsinn ist. Viele bekommen ja zu hören, dass sie möglichst schnell Geld verdienen sollen. Ich hab einmal die Klasse gewechselt und hatte dann ein paar Fünfer. Da hab ich dann überlegt, ob ich nicht eine Lehre in einer Apotheke beginnen soll. Doch zum Glück haben sich meine Noten gebessert und ich hab das Jahr geschafft. Der Weg an die Uni war eine weitere Hürde.

Für andere ist es selbstverständlich, dass ihnen die Eltern die Wohnung bezahlen.

MOMENT: Wieso?

Theißl: Ich kannte bis 18 eigentlich niemanden, der studiert hat. Und so gab es niemanden, den ich fragen könnte, wie das auf der Uni überhaupt abläuft. Das beginnt bei Banalitäten, wie Förderungen – wie beantrage ich das? Das geht dann weiter bei der Unterkunft. Für andere ist es selbstverständlich, dass ihnen die Eltern die Wohnung, oder die Kaution bezahlen. Wer so etwas nicht hat, ist hier sehr gefordert. Das kostet im Alltag sehr viel Energie.

 
Buchcover von "Klassenreise - wie die soziale Herkunft unser Leben prägt" von Betina Aumair und Brigitte Theißl.

Betina Aumair und Brigitte Theißl: Klassenreise: Wie die soziale Herkunft unser Leben prägt, ÖGB Verlag, 19,90 Euro

 
 

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