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Kapitalismus
Demokratie

Wie wir von der Finanzkrise zur neoliberalen Schuldenbremse kamen

Die Schuldenbremse ist die neoliberale Fortsetzung der neoliberalen Finanzkrise. Die VerursacherInnern betrifft sie nicht.

Du kennst das sicher. Es ist ein Wochentag, zehn Uhr in Früh. Du sitzt wie gebannt vor dem Fernseher und siehst dir die Live-Übertragung der Sitzung des Nationalrates an. Thema: Die Investitionspolitik und der Budgetpfad der Republik Österreich. Gleich geht dir das Popcorn aus. aber … ja hast du da etwa richtig gehört? Da hat doch jemand ein neues Wort verwendet!?

Ganz genau so ging das vermutlich zigtausenden ÖsterreicherInnen irgendwann im Jahr 2004, als das Wort „Schuldenbremse“ zum ersten Mal im Parlament gesprochen wurde. Das ist eines jener Worte, die einem politischen Konzept einen PR-Spin mitgeben sollen. Die Schuldenbremse beschränkt, wie viel der Staat strukturell ausgeben darf. Schulden mag niemand, sie einzubremsen klingt deshalb also wie etwas Gutes. Was das Wort  absichtlich nicht so sehr betont: damit können auch wichtige Investitionen in die Zukunft verboten werden  – etwa in den Klimaschutz (das haben wir hier schon einmal genauer erklärt).

Erfunden wurde die Schuldenbremse nicht im österreichischen Parlament. Die Schweiz führte das Prinzip schon 2001 ein und in obskuren Sachbüchern kam das Wort in den 1980er-Jahren erstmals vor. Aber das wussten in Österreich auch 2004 nur wenige. Heute hat von der „Schuldenbremse“ wohl jeder schon einmal gehört. 2011 wurde sie in Österreich zum Gesetz. Und gerade erst vor der Wahl 2019 ist ein Anlauf gescheitert, sie sogar in den Verfassungsrang zu heben. Dann hätte sie nur mit einer Zweidrittelmehrheit wieder abgeschafft werden können.

Bevor die „Schuldenbremse“ so richtig zum österreichischen Modewort wurde, dauerte es ein wenig. Zwischen diesem großen Tag im Jahr 2004 und 2009 fiel es nur neunmal im Nationalrat. Dann aber war seine Zeit offensichtlich gekommen. Zwischen 2010 und 2012 sagte 817 Mal jemand im Plenum unseres Parlament „Schuldenbremse„.

Was war da passiert?

Vor diesem Schuldenbremsen-Boom tobte ab 2007 in der Weltwirschaft das genaue Gegenteil: Eine Krise, die auch Europa erfasste. Es war eine „Finanzkrise“, die aus der Finanzindustrie hervorging, die die Kontrolle über seltsame Kreditprodukte verloren hatte. Banken standen am Rande des Kollapses und wurden von Regierungen und mit öffentlichen Geldern um viele Milliarden gerettet.

Das kostete die Staaten viel Geld und die öffentlichen Schulden wuchsen in vielen Ländern der Welt dadurch stark an. Und was eigentlich als Versagen der Märkte und Rücksichtslosigkeit von SpekulantInnen und Banken begonnen hatte, wurde damit zum Problem der Staaten gemacht. Der Euro begann zu wackeln. 

Konservative und neoliberale PolitikerInnen und WissenschafterInnen schafften es, das Problem ganz neu zu erzählen. Das Wort der „Staatsschuldenkrise“ fand Einzug in unser Parlament.

Und was ist in ihrer neoliberalen Ideologie die passende Antwort auf die neoliberal verursachten Staatsschulden und die konsequente Fortsetzung der neoliberalen Projekts? Eine Schuldenbremse.

Die wurde dann auch prompt nur wenige Jahre nach der ersten Nennung beschlossen. Übrigens trotzdem mit Verspätung, denn in Deutschland war man zwei Jahre schneller. Dort wurde die Schuldenbremse von einer Großen Koalition beschlossen, die kurz danach von einer Regierung aus der konservativen Union und der neoliberalen FDP abgelöst wurde. Und diese machte dann Druck, um „Schuldenbremsen“ in Europa zu verbreiten.

Auf eine andere politische Maßnahme, die als Reaktion auf die Finanzkrise zur Sprache kam, warten wir übrigens bis heute: Die Finanztransaktionssteuer. Die würde nicht öffentliche Investionen in die Allgemeinheit gefährden, sondern müsste von SpekulantInnen und Banken bezahlt werden. Darüber wird aber auch erst seit der Weltwirtschaftskrise in den 1930er-Jahren immer wieder gesprochen.

Man will ja schließlich nicht überhastet agieren.

Parlagram: Ab heute kannst du selbst sehr einfach nachsehen, worüber das Parlament so spricht. Mit dem Parlagram, unserem vom Momentum Institut entwickelten, neuesten Lieblings-Datenwerkzeug lassen sich alle Reden im Nationalrat auf die Häufigkeit von Wörtern und Namen durchsuchen. Derzeit sind alle Reden seit 1996 bis zur neuesten verfügbaren Transkription verfügbar. Das Angebot wird laufend erweitert. Aber immer Ehre dem, dem Ehre gebührt: Die große deutsche Wochenzeitung „Die Zeit“ hat das für den deutschen Bundestag vorgemacht.

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