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Klimakrise

Stadtstraße: Aktivistin Lena Schilling klagt über "einschüchternde" Polizei-Besuche – die streitet lange ab

Lena Schilling, Gesicht der Protestbewegung gegen den Bau der Stadtstraße Wien, erhob auf Twitter Vorwürfe gegen die Polizei. Diese bestreitet erst, räumt dann aber eine „Amtshandlung“ ein. Was ist passiert?

 
 

Lena Schilling war erschüttert. Das Gesicht der Protestbewegung gegen den Bau der Stadtstraße in Wien veröffentlichte auf Twitter schwerwiegende Vorwürfe gegen die Polizei. Diese bestreitet erst, räumt dann aber doch ein, dass Beamte in Zivil eine 16-Jährige aufsuchten – offenbar wegen eines Fotos, das sie mit Schilling zeigt. Was ist passiert?

Sind es „Einschüchterungsversuche“ der Polizei gegen Klima-Aktivist:innen oder war da gar nichts? Am vergangenen Donnerstag sollen Polizeibeamte in Zivil an der Tür der elterlichen Wohnung einer 16-jährigen Klima-Aktivistin geklingelt haben. Die Mutter des Mädchens habe geöffnet. Die Beamten hätten daraufhin erklärt, sie ermittelten gegen eine Person wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt.

Besuch von der Polizei wegen Foto mit Aktivistin

Die Amtshandlung hängt zusammen mit der Räumung des Protestcamps gegen die Stadtstraße Aspern vergangene Woche. 48 Personen wurden dabei vorübergehend festgenommen. Warum sie ausgerechnet ihre Tochter aufsuchen, habe die Familie wissen wollen und ein Beamter geantwortet: weil das Mädchen „an einer Demonstration gemeinsam mit Lena Schilling teilgenommen hat“. Es gebe ein Foto, das sie gemeinsam zeigt.

 

Der Eindruck, den Lena Schilling gewonnen hat: „Anscheinend werden jetzt Aktivist*innen wahllos unter Verdacht gestellt Straftaten begangen zu haben.“ Das schrieb sie auf Twitter, nachdem sie von dem mutmaßlichen Besuch der Polizei bei der Jugendlichen erfahren hatte.

Schilling ist die inzwischen wohl bekannteste Aktivistin gegen den Bau der Stadtstraße Aspern. Fünf Monate war die Baustelle besetzt. Reicht es aus, mit Schilling gesehen worden zu sein, um von der Polizei besucht zu werden? Die Polizei sagte zunächst, ein solcher Besuch habe gar nicht stattgefunden. Erst am Montag räumt sie ein: Da war doch was.

Am Donnerstag las sich das auf dem Twitter-Account der Polizei noch anders. Als Antwort auf Schilling twitterte die Landespolizeidirektion (LPD) Wien: Sie hätten bei „sämtlichen relevanten Abteilungen recherchiert, eine solche Amtshandlung wurde durch unsere Kolleg*innen nicht geführt“. Eine klare Aussage, möchte man meinen.

Polizei bestreitet – Aktivist:innen wird vorgeworfen, zu lügen

Was folgte, waren Häme und Kritik an den Aktivist:innen. Und, was wohl schwerer wiegt: Der Vorwurf, gelogen und sich ein Geschichterl ausgedacht zu haben. Das würde der Glaubwürdigkeit und Akzeptanz der Protestbewegung gegen Stadtstraße und Lobau-Tunnel zweifellos schaden. Doch Schilling und die Familie bleiben dabei: Der Besuch der Beamten in Zivil hat stattgefunden. MOMENT liegt die von der Familie gemeinsam mit Schilling bei der Polizei abgegebene Sachverhaltsdarstellung vor.

Am Freitag vergangener Woche fragt MOMENT bei der LPD Wien, ob sie ausschließen könne, dass Polizisten die Wohnung der 16-Jährigen besuchten. Die Polizei geht zunächst gar nicht, später nur ausweichend auf die Frage ein. Es sei „durchaus denkbar, dass weitere Erhebungen nach der Räumung des Protestcamps stattfinden bzw. stattfanden“, schreibt Polizeisprecher Markus Dittrich an MOMENT. Aber was heißt „durchaus denkbar“?

Zu erklären, dieser Besuch habe nicht stattgefunden, war etwas voreilig.
Sprecher LPD Wien

Die Frage danach, ob die Amtshandlung nun stattfand oder nicht, will Dittrich nicht beantworten: „Sie werden verstehen, dass wir nicht sämtliche Ermittlungsschritte medial darlegen.“ Ein anderer Beamter wird später deutlicher: „Auf Twitter zu erklären, dieser Besuch habe nicht stattgefunden, war etwas voreilig“, sagt er am Freitagnachmittag zu MOMENT.

Es werde noch immer geprüft, ob die 16-Jährige am Donnerstag Besuch von der Polizei bekam. „Viele Abteilungen sind da involviert“, sagt er und bittet um Verständnis, dass es noch etwas dauere. Am Montagmorgen fragt MOMENT ein weiteres Mal nach, ob inzwischen geklärt werden konnte, ob der Besuch bei der Jugendlichen stattgefunden habe.

Am Montag räumt die Polizei: Ja, es gab eine Amtshandlung

Wieder blockt die LPD Wien ab: „Das Anliegen wird zwischen den betroffenen Personen und der Sicherheitsbehörde geklärt“, antwortet Christopher Verhnjak, ein weiterer Polizeisprecher. Und: „Sollte es von unserer Seite ein allgemeines Kommentar dazu geben, wird dies über unseren Social Media Kanal geschehen, da diese Sache auch nur dort Thema war.“ Zumindest letzteres stimmt ab jetzt nicht mehr.

Am Montagnachmittag schließlich räumt die LPD via Twitter ein: „Nach Übermittlung der genauen Daten konnte eine Amtshandlung in Erfahrung gebracht werden.“ Weitere Auskünfte gibt sie „aus datenschutzrechtlichen Gründen“ öffentlich nicht ab. Allerdings verschickt sie den Tweet nur als Antwort auf einen verhältnismäßig wenig gelesenen Beitrag, den Schilling am Freitagabend twitterte.

Unter dem Tweet, in dem die Vorwürfe am Donnerstag erstmals erhoben worden waren und der tausendfach gelikt und Hunderte Male geteilt wurde, stellt die Polizei ihre eigene falsche Aussage jedoch nicht richtig. DIe Klarstellung erreicht somit nur ein Bruchteil der Personen, die sich an der Diskussion um den Einsatz beteiligte, den die Polizei zunächst abstritt. Ein Versehen?

 

Aber ist es überhaupt ein Problem und unverhältnismäßig, Menschen deshalb aufzusuchen, weil sie auf einem Foto bei einer Demo neben einer bekannten Klima-Aktivistin zu sehen sind? Reicht ein Brief und die Bitte mal auf der Dienststelle vorbeizukommen nicht aus, wenn es darum geht, eine andere Person zu identifizieren? Zumal bei einer 16-Jährigen?

„Ob es rechtmäßig ist, da jemanden zu besuchen, ist im Einzelfall zu prüfen“, sagt Teresa Exenberger, Juristin bei der Menschenrechtsorganisation Amnesty International. Und: „Ob so ein Besuch einschüchternd ausfällt, kommt auf die Art und Weise an“, sagt sie zu MOMENT.

Mehrere Fälle von Polizeibesuchen bei Aktivist:innen

Vorbei ist die Geschichte damit wohl nicht: Die Grünen bestätigen MOMENT am Montag, eine Anfrage im Gemeinderat an die Wiener Stadtregierung aus SPÖ und NEOS vorzubereiten. Darin soll es auch um die polizeiliche Ermittlungsarbeit im Zuge der Räumung des Protestcamps gehen soll. Schilling sagt zu MOMENT, mindestens eine weitere Person sei auf „einschüchternde Art“ von der Polizei besucht worden.

Aus unterrichteten Kreisen heißt es gegenüber MOMENT: Schon „in mehreren Fällen“ hätten Personen aus dem Umfeld der Aktivist:innen gegen die Stadtstraße Besuch von Beamt:innen in Zivil erhalten.

 

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