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Demokratie

Stermann will wählen: "Ich will die Österreicher ja nicht ärgern"

Dirk Stermann im Interview. Er fordert das Wahlrecht an den Wohnort zu koppeln.

Der Kabarettist und TV-Star Dirk Stermann lebt seit 30 Jahren in Österreich und fordert, das Wahlrecht nicht länger an die Staatsbürgerschaft zu knüpfen.

1,2 Millionen Menschen, die fürs Wählen im richtigen Alter wären, dürfen am Sonntag nicht wählen. Sie sind einer davon – wie geht es Ihnen damit?

Wählen darf ich nicht, alles andere darf ich: Steuern zahlen zum Beispiel. Oder Kinder haben in einem Land, in dem alle anderen darüber bestimmen dürfen, was gut sein soll für diese Kinder. Ich darf da nicht mitreden, dafür darf ich bestimmen was für die Kinder in Nordrhein-Westfalen gut ist. Dabei kenne ich gar kein Kind in Nordrhein-Westfalen.

Ihr Geburtsort.

Ja, aber das ist doch demokratiepolitisch grotesk. Das ist so als gäbe es eine Hausversammlung in deinem Haus und du hast da nichts mitzureden. Du bestimmt dafür mit was in einem völlig anderen Haus acht Bezirke weiter passiert. Nur weil du irgendwann früher mal dort warst in dem Haus. Du kennst in dem Haus aber überhaupt niemanden mehr, du weißt nicht mal, wer dort Hausbesorger ist. Musst du auch nicht, weil du lebst nicht dort. Demokratiepolitisch ist es doch immer am sinnvollsten, dass die Menschen, die wirklich  zusammen wohnen, gemeinsam bestimmen, wie es in ihrer Gemeinschaft abläuft. Welchen Pass du hast, ist dafür doch völlig egal.

Fast alle Parteien, die sich diesen Sonntag zur Wahl stellen, sind der Meinung, das Wahlrecht muss den Leuten mit der österreichischen Staatsbürgerschaft vorbehalten sein?

Das ist schlicht der falsche Ansatz. Wenn ich in Wien eine Reifenpanne hab, und dann kommt jemand und hilft mir mit dem Auto, dann ist mir doch egal, welchen Pass der Mensch hat. Das ist wahrscheinlich ein Wiener, genauso wie ich. Niemand fragt im Alltag nach dem Pass eines Menschen. Aber alle erhoffen sich, dass die Gemeinschaft in der sie leben, solidarisch ist. Das wir miteinander und gemeinsam schauen, dass das Land, in dem wir leben, so gut als möglich funktioniert. Da ist der Pass so egal.

Das ist keine Demokratie. Tut mir leid.

Nun, bei der Stimmabgabe fragt eben doch jemand nach dem Pass.

Wenn jeder 4. Mensch, der in Österreich wohnt, nicht mitmachen darf, dann kannst du nicht sagen, dass das Demokratie ist. Tut mir leid. Das ist doch wie ganz früher als nur die Reichen wählen durften oder die Adligen. Früher durften auch die Frauen nicht wählen. Da konnte man auch nicht von einer Demokratie sprechen. Wahlrecht für eine ausgewählte Gruppe allein, kann nie Demokratie sein.

Ihnen ist die Kopplung des Wahlrechts an die Staatsbürgerschaft zu strikt?

Es ist eine merkwürdige Situation: du gehst aus dem Haus, und siehst Wahlplakate, die du mitfinanzierst, mit deinen Steuern – wählen darfst du aber nicht. Gern verzichte ich darauf in Deutschland mitzubestimmen. Das müsste doch zu organisieren sein: Dass ich in Deutschland mein Stimmrecht verliere und dafür hier wählen darf. Weil ich hier lebe und mein Lebensmittelpunkt in Österreich ist, seit über 30 Jahren. Das funktioniert ja in die eine Richtung  jetzt schon: Ist man zu lang von seinem ursprüngliche Heimatland weg, verliert man das Wahlrecht dort. Ich treffe immer wieder alte Menschen, die nirgendwo mehr wählen dürfen. Wir reden die ganze Zeit über ein vereintes Europa, da ist es doch unerheblich, welchen Pass du hast. Du hast einen Pass der europäischen Gemeinschaft. Wir sind alle aus dem gleichen Land: Das Land der europäischen Gemeinschaft.

Ich bin deutscher Wiener.

Wie würden Sie ihre Nationalität denn benennen?

Ich bin natürlich Österreicher, auch wenn ich einen anderen Pass habe. Genauer: Ich bin ein deutscher Wiener. Das ist am ehesten meine Nationalität. Hier bekomme ich alles mit, was Politik betrifft. Hier weiß ich genau, wer wofür steht. In Deutschland muss ich mir das mühsam erarbeiten und kriege das doch nie zur Gänze hin. Darum macht es Sinn, dort wählen gehen zu dürfen, wo man auch lebt. Das ist so, wie wenn du in einer Schulklasse den Klassensprecher wählst. Klar sollen das die aus der Klasse machen – und nicht die aus der Nebenschule. Ich möchte nicht in der Nebenschule den Klassensprecher wählen. Ich kenn den nicht.

Die Überlegung, selbst österreichischer Staatsbürger zu werden, haben Sie nie angestellt?

Ich werde nicht weniger Deutscher, wenn ich mir einen österreichischen Pass holen würde. Meine deutschen Pass habe ich mir ja auch nicht ausgesucht. Ich habe mir aber ausgesucht in einem demokratischen Staat leben zu wollen, wo die Leute, die hier mit mit leben, gemeinsam beschließen was passiert mit dem Land. Wenn es soweit ist, dass ich auch in Deutschland nicht mehr wählen darf, dann werde ich mich um eine österreichische Staatsbürgerschaft bemühen.

Ich beschreibe nur den normalen Wunsch, hier wählen zu wollen.

Was wäre da ihr Vorschlag?

Einige Länder machen es uns schon vor. In Neuseeland etwa, hat jeder der bereits ein Jahr oder länger dort lebt, das Recht zu wählen. Wer für ein Gastsemester nach Österreich kommt, soll klarerweise nicht wählen dürfen, das wäre ja Quatsch. Wer aber zum Beispiel 10 Jahre hier lebt, zeigt doch, dass hier sein Lebensmittelpunkt ist.

Von der Umsetzung einer solchen Idee sind wir weit weg.

Ich wundere mich darüber, dass das so ein Wespennest ist. Ich will die Österreicher gar nicht ärgern. Ich beschreibe doch nur den normalen Wunsch, hier mitbestimmen zu dürfen. Die Idee allein löst ziemlichen Ärger aus, quer durch das Land, das habe ich bemerkt. Die Idee ist aber trotzdem richtig. Ein Blick in die Geschichte zeigt uns das ja. Frauen mussten wahnsinnig lange dafür kämpfen müssen, mitbestimmen zu dürfen. Die allermeisten Leute haben die Idee vor hundert Jahren für vollkommen falsch gehalten. Heute wäre unsere Demokratie ohne Wahlrecht der Frauen nicht denkmöglich.

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