Steuern als Last? Die verzerrte Sprache der Wirtschaftsliberalen
Sprache schafft Wirklichkeit. Wie wir über Dinge reden, prägt unser Verständnis. Selbst vermeintlich einfache, für jeden selbstverständliche Fakten, sind es nur, wenn wir alle davon überzeugt sind.
Selbstverständlich klingt etwa die Aussage: „Der Himmel ist blau“ oder „Das Meer ist blau“. Wer genauer nachdenkt, dem fällt auf: Das Meer ist gar nicht immer blau. Je nach Licht, Untergrund, Seegang, oder Algen in der näheren Umgebung, ist es manchmal grün, braun, grau, schwarz oder weiß. Die Vorstellung, es wäre durchsichtig türkis-blau, hat die Tourismusindustrie in unsere Köpfe gehämmert, damit wir mehr Urlaub am Meer buchen.
Der Himmel aber freilich ist doch blau? Auch das ist nicht für alle so. In der Antike etwa gab es die Bezeichnung „blau“ gar nicht. Folglich war auch der Himmel nicht blau in der Wahrnehmung der Römer oder Griechen. Auch wenn sie physikalisch sicher das Gleiche sahen, interpretierten die Menschen der Antike den Himmel anders.
Stämme im Urwald etwa tun sich ebenfalls schwer, Blau von Grün zu unterscheiden. Für letzteres kennen sie hingegen viele verschiedene Worte. Im Urwald ist das auch nötig, die Umgebung besteht aus Grüntönen. Blau kommt selten vor.
Macht über Sprache ist Macht über Realität
Was hat das alles mit der Wirtschaft zu tun? Viel. Wer über Dinge spricht, definiert sie. Wer das im Fernsehen oder den sozialen Medien vor einem riesigen Publikum tut, hat die Macht über die Sprache, die viele andere hören. Und damit auch über die Gedanken, die viele der Zuhörer:innen anschließend haben.
Da ist es kaum verwunderlich, dass Sprecher:in mit einer bestimmten Weltanschauung ihre Worte bewusst auswählen. Ganz besonders beim Wort „Steuern“. Weil liberale Politiker:innen, Ökonom:innen, oder Interessenvertreter:innen Steuern ablehnen, sprechen sie nicht neutral über Steuern. Gabriel Felbermayr, Chef des größten Wirtschaftsforschungsinstituts Österreichs, sagt etwa: „Je mehr uns die Pensionsdynamik davonläuft, desto weniger haben wir die Chance, die Abgabenlast runterzubringen“.
Gemerkt? Da steckt sehr geschickt und fast unbemerkt eine klare Wertung drinnen. Er gibt uns mit: Steuern und Abgaben an den Staat seien eine „Last“. Eine Last ist schwer und unangenehm – sie muss weg. Durch dieses gewählte Wort schwingt mit: Die Steuern müssen runter, sonst kommt die Last nie weg.
Steuern sind keine Last, sondern Stütze
Doch Steuern sind gar keine Last. Zumindest für 63 Prozent der Bevölkerung sind sie das erwiesenermaßen nicht. Mit den Einnahmen aus Steuern und Abgaben finanziert der Staat nämlich Leistungen für seine Bürger:innen: Pensionen im Alter, Karenzgeld für Mütter und Väter, Spitäler und Arztpraxen für Kranke, Schutz vor Verbrecher:innen durch die Polizei. Österreich ist nicht nur ein Hochsteuerland, es bekommt dafür im Vergleich auch einen Spitzen-Sozialstaat.
Felbermayr schätzt das mit seinem Zitat nicht wert: Österreich zahlt gute und hohe Pensionen im internationalen Vergleich – wie es sich für einen Spitzen-Sozialstaat gehört – doch er spricht von einer vermeintlich gefährlichen „Pensionsdynamik“. Die zu brechen, heißt freilich, die Pensionen wie in Dänemark um ein Zehntel oder in Schweden um ein Fünftel zu kürzen.
Die Schweden…
Dazu kommt: Die Schweden werden künftig bis 70 arbeiten müssen, die Dänen bis 74 Jahre. Deshalb hatte auch Felbermayr kein Problem mit seinem Vorschlag, dass Arbeitnehmer länger arbeiten sollen. Das wäre eine echte Last für hunderttausende Arbeiter:innen und Angestellte im Land. Denn wie soll eine 74-jährige Pflegerin einen 80-Jährigen aus dem Bett heben? Wie soll ein 68-jähriger Paketbote eine 14-Stunden-Schicht schaffen mit „Stiegen runter, Stiegen rauf“ in jedem Haus?
Der Abbau unseres Sozialstaats – vor allem Pensionskürzungen – ist die echte Belastung für die arbeitenden Menschen. Es ist eine seltsame Ansicht, dass Steuern eine zu große Last seien, Arbeiten bis ins Alter hinein aber zumutbar.
Millionäre bitte sanft behandeln
Was ist mit dem Rest? Richtig egal können die Steuerzahlungen den Reichen sein. Die besitzen so viel oder bekommen größtenteils monatlich so viel Geld, dass ihnen die Höhe ihrer Steuerbeiträge grundsätzlich egal sein könnte. Sie können sich danach immer noch alles leisten, was sie für ein ausgezeichnetes Leben mit viel Wohlstand und frei von allen Finanz-Sorgen brauchen.
Anders sieht das Franz Schellhorn mit seiner Denkfabrik der Millionäre. Auch er posaunt im Dauerton von „Steuerbelastung“ und „Steuerlast“, unter der die Österreicher vermeintlich zusammenbrechen. Er meint damit aber nur selten die Steuern, die manchen Menschen tatsächlich finanzielle Schwierigkeiten bereiten. Dazu gehören Steuern auf Verbrauch wie die Umsatzsteuer. Die zahlen wir etwa an der Supermarkt-Kassa, um Essen zu kaufen. Arme Menschen müssen viel mehr von ihrem Einkommen abgeben, um diese Steuern zu bezahlen.
Die Steuer auf Einkommen ist Franz Schellhorn fast immer ein Dorn im Auge. Die ist für Niedrigverdiener keine Last, denn eine Million von ihnen zahlen gar keine Steuer auf ihre Löhne oder sonstigen Einkommen.
Eine Leistung ist keine Last
Vermögenssteuern sind hingegen die Ausgeburt des Bösen. Zumindest für Schellhorn. Dass es den Milliardären damit ernsthaft schlechter geht, ist jedoch absurd. Der Erbe Mark Mateschitz und andere Milliardär:innen würden eine Vermögensteuer kaum bemerken, wenn die Zahl auf den Kontoständen ihrer diversen Bankkonten und Geldanlagedepots etwas langsamer wachsen würde. Es bleibt immer noch zu viel Geld, um es in einer Lebenszeit auszugeben. Hotelzimmer für 20.000 Euro pro Nacht , oder Superjachten, die Millionen kosten, sind für sie Kleingeld. Eine Belastung wäre eine solche Steuer nicht.
Richtiger ist daher, von Steuerbeiträgen oder Steuerleistung zu sprechen. Denn das „Hochsteuerland“ Österreich ist genau dank solcher Beiträge unter den „Spitzen-Sozialstaaten“ weltweit. Doch der Himmel ist eben nicht für alle blau. Damit schließt sich der Kreis.