Transparenz? Das wäre ja noch schöner!
Der Ibiza-Untersuchungsausschuss beschäftigt sich mit der Käuflichkeit der Politik. Der Vorsitzende, Wolfgang Sobotka (ÖVP) will nun die Wahrheitspflicht abschaffen. Kanzler Kurz weigert sich seine E-Mails vorzulegen. Ein Transparenzgesetz würde Abhilfe schaffen.
Ibiza ist ein bisschen her, bald feiert die Affäre ihren zweiten Geburtstag. Und das Parlament ist immer noch damit beschäftigt, zu klären, was da eigentlich passiert ist. Was zur Hölle die Red Bull Brothers from Austria dort eigentlich für eine Nummer abgezogen haben. Und wer jetzt eigentlich wen zahlt. Nur: Warum dauert das so lange?
20 Stunden Videomaterial soll es aus der HC-Finca insgesamt geben. Ich beneide niemanden, der sich das Zeug komplett hat ansehen müssen. Aber das einzige, das sich noch mehr zieht als die 20 Stunden lange Naturdoku zum Thema “Toxische Männlichkeit” ist die Aufarbeitung … der Untersuchungs-Ausschuss “betreffend mutmaßliche Käuflichkeit der türkis-blauen Bundesregierung”. Wir kennen ihn unter seinem Künstlernamen, als: “Ibiza-Ausschuss”: Untersuchungsgegenstand ist die mutmaßliche politische Absprache über das Gewähren ungebührlicher Vorteile im Bereich der Vollziehung des Bundes durch Mitglieder der Bundesregierung oder Staatssekretäre und diesen jeweils unterstellte leitende Bedienstete.
Auf Deutsch: Hat sich da irgendwer Vorteile verschafft oder sogar Gesetze gekauft? Um das herauszufinden, wurden bislang x Zeuginnen und Zeugen geladen. Diverse Promis, Parteispender und natürlich MitarbeiterInnen aus den Ministerien, oder auch ein Minister selbst.
86 Mal konnte sich Finanzminister Blümel bei seinem Besuch im U-Ausschuss einfach nicht erinnern. Ob er einen Laptop hat zum Beispiel. Blümel hatte mehr Gedächtnislücken als HC Wodka Red Bull auf der Finca intus hatte.
Auf die Frage der Nationalratsabgeordneten Stefanie Krisper (NEOS): „Gab es einen zeitlichen oder sachlichen Konnex zwischen Anbahnung einer möglichen Spende und dem Ausdruck eines Anliegens oder Wunschs – können Sie sich daran vielleicht erinnern?“sagte Minister Blümel: Ich kann für mich ausschließen, davon etwas zu wissen.
Dann tauchten dummerweise SMS auf, die das Gegenteil vermuten lassen: Harald Neumann, der Chef des Pechspiel-Konzerns Novomatic, hatte sich an Blümel gewandt: „Guten Morgen, hätte eine Bitte: Bräuchte einen kurzen Termin bei Kurz…. (erstens wegen Spende und zweitens bezüglich einen Problemes, das wir in Italien haben!“ Also gab es da vielleicht doch einen Zusammenhang zwischen “Anbahnung einer möglichen Spende und dem Ausdruck eines Anliegens”?
Das macht jetzt auch den Vorsitzenden des Ausschusses, Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka, nachdenklich. Er kennt sich mit Gegengeschäften der Novomatic aus, schließlich wurde sein Alois-Mock-Institut, ein von ihm gegründeter „Sink Denk“ mit über 100.000 Euro von Novomatic unterstützt. Parteienfinanzierung ist das natürlich nicht.
Blümel wurde jedenfalls nach seinem Auftritt wegen Falschaussage im U-Ausschuss angezeigt, das Verfahren läuft. Denn lügen darf man vor dem Untersuchungs-Ausschuss nicht – es gilt die Wahrheitspflicht. Wer flunkert, macht sich strafbar.
Das würde Sobotka jetzt gern ändern, weil ein Zeuge im Untersuchungsausschuss unter “ungeheurem Druck, weil er unter Wahrheitspflicht steht.“ Na genau, dass ein Minister im Parlament die Wahrheit sagen muss: So weit kommt es noch. Und dann als nächstes? Verlangen sie von Sobotka noch, dass er im U-Ausschuss unparteiisch sein muss? Dass die ÖVP die Wahlkampfkosten-Obergrenze einhalten muss? Nein, natürlich nicht, Wolfgang will die Wahrheitspflicht weg haben, denn “in Deutschland gibt es das auch nicht.“ In Deutschland darf gelogen werden, dass sich die Balken bieten? Tatsächlich gibt es in deutschen Untersuchungsausschüssen aber sehr wohl eine Wahrheitspflicht. Nationalratspräsident Sobotka argumentiert die Abschaffung der Wahrheitspflicht also mit einer Lüge.
Was es übrigens noch gibt in Deutschland, aber auch in Großbritannien und USA: Fernseh-Übertragungen aus Untersuchungsausschüssen. Alle sollen sich selbst anschauen können, wer sich erinnern kann – und wer sich lieber nicht erinnert. Auftritte wie diese sorgen für landesweite Diskussionen und stärken die Demokratie. Bei uns sind die Befragungen nur „medienöffentlich“. Das bedeutet, JournalistInnen dürfen zuhören und darüber berichten, aber Aufnahmen in Ton und Bild sind verboten. Dabei sprechen sich alle Parteien für eine Direktübertragung von Zeugenbefragungen aus. Bevor wir das zulassen, schaffen wir eher noch die Wahrheitspflicht ab. Sonst müssen die am Ende die Wahrheit sagen … und das öffentlich!
Angefordert hat der Ausschuss auch persönliche E-Mails, Kalendereinträge und Chatnachrichten von Kanzler Kurz. Der weigert sich aber, irgendetwas herauszurücken – logisch, da steht dann was schwarz auf weiß, keine Chance mehr, sich nicht zu erinnern.
Jetzt muss der Verfassungsgerichtshof entscheiden, welche Unterlagen der Untersuchungs-Ausschuss erhalten soll. Kurz sagt, er kann nicht liefern, was es nicht gibt: Kalender, Mails – alles gelöscht. Geschickt haben 692 Mitarbeiter des Kanzleramts eine Mail mit der Stellungnahme, dass 692 Mal „nichts Relevantes“ gefunden werden konnte.
Auch das läuft in anderen Ländern ganz anders. Seit 1766 steht Transparenz in Schweden in der Verfassung. Das Gesetz heißt ”Öffentlichkeitsprinzip”: Alle Bürgerinnen dürfen Ermittlungsakten einsehen. SMS, Chats, Gesprächsnotizen, Briefe, E-Mails oder Sprachnachrichten. Das Recht auf Einsicht gilt im gesamten staatsnahen Bereich, für Unis, ja sogar für die schwedische Kirche. Nicht auszudenken, gäbe es sowas auch in Österreich.