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Ungleichheit

Trauer und Tanz: Warum die Pride gerade jetzt nötig ist

Trauer und Tanz: Warum die Pride gerade jetzt nötig ist
Vor wenigen Tagen hat ein junger Mann in Graz zehn Menschen erschossen – die schwerste Schultragödie, die Österreich je erlebt hat. Drei Tage Staatstrauer, Kerzenmeere vor dem Schulportal, offene Fragen nach Motiv und Vermeidbarkeit: Der Schock sitzt tief.

Und doch nähert sich Wien seiner farbenprächtigsten Woche. Am Samstag drängt die Regenbogenparade über den Ring, flankiert von Konzerten, Panels und Partys. Die Organisator:innen haben reagiert, das Programm gestrafft, ein stilles Gedenken im Pride‑Village vorgesehen. Trotzdem steht die Frage im Raum: Darf man feiern, wenn man noch weint?

Der Schmerz ist real – und er braucht Raum

Trauer hält sich nicht an Terminkalender. Wer direkt betroffen ist – Angehörige, Lehrkräfte, Mitschüler:innen oder einfach erschütterte Bürger:innen –, kann nicht plötzlich in der Euphorie eines Straßenfestes aufgehen. Dass die Pride innehält, Schweigeminuten einplant, Trauerflor für Schildern verteilt und Spenden für die Hinterbliebenen sammelt, ist ein Gebot der Solidarität. Gemeinschaft entsteht nicht nur im lauten Partytrubel, sondern auch im gemeinsamen Schweigen.

Pride war immer schon Trauerarbeit

Die Stonewall-Unruhen von 1969 waren eine Reaktion auf die Polizeigewalt gegenüber der LGBTQIA+ Community; die Paraden der 1980er trotzten der Aids-Epidemie. Öffentlicher Schmerz wandelte sich in politischen Druck – und in die Erkenntnis, dass Lebensfreude selbst eine Form des Widerstands ist. Queere Geschichte beweist, dass Verlust und Aufbegehren sich nicht ausschließen, sondern bedingen. Wo Menschen um ihr Leben fürchten, wird Lebensfreude zur politischen Praxis. Pride „trotz allem“ heißt nicht, Leid zu übertönen, sondern es in kollektiven Widerstand zu verwandeln.

Mehrere Gefühle gleichzeitig halten 

Psychologinnen sprechen von “ambivalenter Resilienz”: Ein Mensch kann Trauer empfinden und im selben Moment Dankbarkeit, Wut und sogar Heiterkeit. Diese Gleichzeitigkeit anzuerkennen, verhindert Schuldgefühle („Ich darf doch gerade gar nicht lachen“) und lenkt Energie in produktive Bahnen: ein stilles Gedenken am Vormittag, Demonstrationszug am Nachmittag, Tanz am Abend – jeder im eigenen Rhythmus.

Konsequenz statt bloßem Beileid

Wer dieser Tage die Regenbogenfahne hebt, hebt damit auch Forderungen an die Politik: strengere Waffengesetze, flächendeckende psychosoziale Betreuung an Schulen, entschlossene Prävention von Hassgewalt. Das heurige Motto „Unite in Pride – Gemeinsam gegen Hass“ ist keine Dekoration, sondern ein Arbeitsauftrag weit über die Festwoche hinaus.

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