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Fortschritt
Ungleichheit

Verena Altenberger: "Mein Feminismus ist für alle, die an eine gleichberechtigte Gesellschaft glauben"

Portrait einer Frau, sie bloíckt direkt in die Kamera. Sie trägt kurze, braune Haare und ist weiß gekleidet
Foto: Maximilian Baier
Verena Altenberger hat sich 2021 die Haare abrasiert - und dafür sexistische Post bekommen. Mit MOMENT spricht sie über veraltete Frauenbilder und Feminismus.

Verena Altenberger hat 2021 ihr persönliches Karrierehighlight erlebt: Die Schauspielerin wurde die neue Buhlschaft bei den Salzburger Festspielen. 

Im selben Jahr hat sie sich auch die Haare abrasieren lassen. Diese Nachricht wäre uns eigentlich keine Meldung wert. Doch die Schauspielerin ist dafür sexistisch angefeindet worden. Sogar einen Brief hat sie deswegen erhalten – der auf einer Schreibmaschine getippt wurde.

Im Gespräch mit MOMENT wiegelt sie jedoch ab: „Es gab eigentlich nur zwei richtig beschissene Reaktionen.“  Dennoch habe ihr die Episode etwas über vermeintliche Schönheitsbilder gezeigt – jedoch in einem anderen Kontext.

Mittlerweile ist Verena Altenberger Präsidentin der Österreichischen Filmakademie und wird auch dieses Jahr wieder als Buhlschaft auftreten. Dennoch ist sie eine der nahbarsten Schauspielerinnen des Landes geblieben. Das hat viel mit ihrer Aktivität in sozialen Medien zu tun, in denen sie sich immer wieder klar positioniert und sie als Werkzeug für ihr gesellschaftspolitisches Engagement nutzt. MOMENT hat Verena Altenberger im Zuge des HerStory-Monats zu einem Gespräch über ihren Feminismus und Aktivismus getroffen. Und sie erklärt, warum Frauen nicht immer zarte Hände haben müssen.

MOMENT: Wofür hast du eigentlich mehr Aufmerksamkeit bekommen: Für dein Schauspiel oder dafür, dass du dir die Haare hast abrasieren lassen?

Verena Altenberger: Gott sei Dank tatsächlich für Ersteres. Die Interviews zur Buhlschaft fingen lustigerweise oft mit “Warum geht es denn eigentlich ständig nur um deine Haare?” an. Dabei ging es nur in Interviews, und da nur ganz kurz am Anfang darum. Also eigentlich sehr, sehr wenig. Aber es war für die Journalist:innen wohl ein guter Aufhänger.

MOMENT: Es ist jetzt natürlich etwas peinlich, dass ich auch damit beginne. Allerdings wollte ich damit auf etwas hinaus: Was haben dir die negativen Reaktionen über das Bild gesagt, das von Frauen in der Öffentlichkeit herrscht?

Altenberger: Es gab eigentlich nur zwei richtig beschissene öffentliche Reaktionen darauf von Männern. Es war nicht so, als hätten mich Menschen auf der Straße negativ darauf angesprochen. Eher im Gegenteil. Es gab tatsächlich viel mehr positive Reaktionen.

Ich habe mir die Haare ja auch für einen Film – „Unter der Haut der Stadt“ – abrasiert, in dem es um Krebs geht. Meine Mama ist an Krebs gestorben und ich wollte die Rolle auch deswegen so ernst wie möglich nehmen. Von einer an Krebs erkrankten Bekannten habe ich erfahren, dass in ihrer Chemotherapie bei jeder Sitzung eine andere Frau darüber geredet hat, dass sich „die eine Schauspielerin jetzt eine Glatze rasiert hat“. Das war für mich das Allerschönste zu hören, dass Betroffene das offenbar als Akt des Empowerments gesehen haben.

Und das sagt tatsächlich viel über unsere Gesellschaft aus: Man kämpft gegen den Krebs und hat eh schon wirklich Scheiße genug damit. Und dann wird plötzlich das eigene Aussehen zu einem großen und anstrengenden Thema, weil man nicht mehr dem vermeintlichen heteronormativen Schönheitsbild entspricht.

MOMENT: Du gehst mit deinen Ansichten und deinem Aktivismus vor allem auf Social Media sehr offen um. Wie hat das für dich begonnen?

Altenberger: Was meine Einstellungen zu Antirassismus betrifft, war das ganz klar 2015. Ich war damals recht neu auf Instagram. Eines Tages wollte ich ein Urlaubsfoto mit einer besonders “kreativen” Bildunterschrift posten. Und gleichzeitig war da diese Situation in Wien als so viele geflüchtete Menschen aus Syrien angekommen sind und wo ich auch mitgeholfen habe.

Etwas in mir hat sich geweigert, das Bild zu posten. Das war der Zeitpunkt, an dem mein politisches Inneres nach außen geschwappt ist. Ab da habe ich mich dazu entschlossen, die Apps anders zu nutzen. Sie sind auch Werkzeuge, mit denen man sehr viel Positives bewirken kann. Ich kann jetzt etwa durch meine Reichweite innerhalb von 24 Stunden Dolmetscher:innen, Kindersitze oder Unterkünfte organisieren.

MOMENT: Du hast mal getwittert “Frau zu sein hat mich radikalisiert.” Aber gab es auch spezielle Ereignisse, die deinen Feminismus geprägt haben?

Altenberger: Ich wurde feministisch erzogen. Meine Mutter hätte sich auch als Feministin bezeichnet. Sie hat für mich geprägt, was ich “positiven Egoismus” nenne. Sie hat immer gesagt, dass sie nur geben kann, wenn sie selbst auf 100 Prozent ist. So hat sie ihr Leben gelebt. Sie hat ihre Karriere und Träume durchgezogen, ohne übertrieben groß auf uns Kinder, Partnerschaften oder Wohnorte Rücksicht zu nehmen. Das fand ich einen sehr inspirierenden Ansatz. Natürlich gab es auch bei uns zu Hause Themen, die nicht feministisch besetzt waren. Körperideale zum Beispiel. So stark meine Mutter in vielen Themen war, so oft war sie trotzdem auf Diät. So wurde ich auch erzogen.

Ich kann mich aber noch genau an den Moment erinnern, an dem sich das für mich geändert hat. Ich war mit einem Freund in einem Lokal etwas trinken, als ich ein Pärchen gesehen habe. Die Frau war dick, hatte kurze Shorts an und trug ein bauchfreies Top. Ich erinnere mich noch, wie ich rüberschaute und dachte: “Krass, was hat die denn an?”

Im selben Moment hat sich eine weitere Stimme dazugeschaltet, die mich hinterfragt hat: “Warum denkst du das gerade? Bist du das? Oder denkst du das gerade, weil du das aus den Medien, oder woher auch immer so mitnimmst?” Zum ersten Mal hat sich neben meiner Sozialisierung eine andere Stimme hörbar gemacht.

Ich habe mir in dem Moment vorgenommen, nie wieder eine Frau zu verurteilen. Sondern immer mit einem offenen, liebevollen Blick auf Frauen zu schauen, ihnen einen Vertrauensvorschuss zu geben. Und in dem Ausmaß, wie ich positiv mit anderen Frauen umging, wurde ich auch zu mir selbst viel freundlicher. Und dadurch, dass ich nicht urteilte, wurde ich selbst viel mutiger – weil ich mich selbst viel weniger verurteilt fühle.

MOMENT: Warum ist es dir so wichtig, über deine Arbeit hinaus gesellschaftspolitisch engagiert zu sein?

Altenberger: Fast alles, was man darauf sagen kann, klingt leider sehr platt. Aber ich finde es halt einfach wirklich nicht geil, wenn Menschen unfair behandelt werden. Ich möchte das nicht. Im Kleinen heißt das Zivilcourage: Im Bus etwas zu sagen, wenn jemand rassistisch beleidigt wird.

Und es hat auch etwas damit zu tun, dass ich mittlerweile ein wirklich sehr privilegiertes Leben führen darf. Ich kann es nicht verantworten, das einfach nur für mich zu nutzen. Es wäre einfach unerhört frech zu sagen, dass das nur für mich ist. Und mit einer großen Bühne kommt auch eine große Verantwortung und die trägt man, ob man will, oder nicht. Ich verstehe Kolleg:innen, die das nicht wollen und dann lieber gar nichts sagen. Es gehen schließlich auch negative Dinge damit einher. Für mich bleibt es trotzdem eine Unbedingtheit.

MOMENT: Du hast mir meine Folgefrage vorweggenommen, ob du nicht auch bei deinen Kolleg:innen Verantwortung siehst, wenn sie so eine große Bühne haben.

Altenberger: Nichts sagen ist das eine. Ok. Aber etwas zu sagen und sich der Verantwortung über das Gesagte verwehren – das geht nun mal nicht.

MOMENT: Du schreibst auch immer wieder über erschreckend schlecht geschriebene Frauenrollen in Drehbüchern, die dir in den letzten Jahren angeboten wurden. Wie fortschrittlich erlebst du das Frauenbild in deinem Beruf?

Altenberger: Für mich hat Kunst viel damit zu tun, genau zu beobachten und zuzuhören. Gute Kunst nimmt Strömungen und gesellschaftliche Gegebenheiten wahr. Ganz viele dieser Menschen, die das gut können, schreiben gerade fantastische Frauenrollen. Nicht, weil sie sagen, wir brauchen eine Quote. Sondern, weil sie zuhören und verstehen, in welcher Zeit wir leben. Wer dem Zeitgeist zuhört, kommt aktuell nicht umhin, komplexe Frauenrollen zu schreiben.

Und trotzdem übersehen auch progressiv denkende Menschen Dinge in Bezug auf Frauenrollen, die oft wie Kleinigkeiten wirken. Mir wurde ein Drehbuch mit einer fantastischen Frauenrolle angeboten. Aber immer, wenn über Körperteile oder körperliche Handlungen geschrieben wurde, war der Mann neutral beschrieben. Er hat zum Beispiel mit seiner Hand nach der Fernbedienung gegriffen. Die Frau hat immer ein Adjektiv bekommen. Die hat dann mit der zarten Hand danach gegriffen. Warum kann ich als Frau nicht auch einfach nur eine Hand haben?

Was auch ganz oft vorkommt: Wenn die Frau ein problematisches Leben führt – sie ist unzufrieden in der Partnerschaft, kriegt ihr Leben nicht auf die Reihe, was auch immer – dann kriegt sie nur Antrieb das zu ändern dadurch, dass sie schwanger wird. Kann denn die Frau diesen Antrieb nicht in sich selbst finden? Kann sie nicht entdecken, dass sie selbst es wert ist, ihr Leben in den Griff zu kriegen? Muss sie dafür unbedingt schwanger werden?

Und es gibt natürlich immer noch die platt sexistischen Drehbücher, die dann finanziert werden. Wo ich mich frage, wie so viele Menschen heutzutage noch auf die Idee kommen, diesem Film zwei Millionen Euro zu geben. Aber das sind die letzten Ausläufer eines sterbenden Systems, hoffe ich.

MOMENT: Wir haben viel über “Frau sein” gesprochen. Aber was bedeutet das für dich? Wer ist eine Frau?

Altenberger: Eine Frau ist, wer sich als Frau identifiziert.

MOMENT: Eine große Frage steht noch aus: Was bedeutet Feminismus für dich?

Altenberger: Das ist keine Frage, die man vollständig beantworten kann. Schon gar nicht, wenn man so wie ich Künstlerin ist und keine Feminismusforscherin.

Mein Feminismus bindet alle Menschen mit ein. Und er richtet sich gegen das Patriarchat als System: Eine Welt, in der weit mehr als die Hälfte aller Menschen schlechter gestellt sind, als weiße, heterosexuelle cis Männer. Und in der gleichzeitig auch Männer unter diesem System leiden. Deswegen richtet sich mein Feminismus nicht gegen Männer. Er ist auch nicht für Frauen. Er ist für alle Menschen, die daran glauben, dass eine gleichberechtigte Gesellschaft die Bestmögliche ist.

Einen der schönsten Sätze dazu habe ich in der letzten Ausgabe der feministischen Zeitschrift an.schläge gelesen. Es gibt so viele Gruppen von Menschen, die unter dem Patriarchat leiden. Ob das jetzt Menschen mit Behinderung, queere Menschen oder Frauen allgemein sind. Wir müssen einander wie in einem Seifenkistenrennen, in dem wir in unseren eigenen Wägen sitzen, pushen. Wer immer gerade Schwung hat, zieht den anderen nach vorne. Bis alle an der Ziellinie Gleichberechtigung angekommen sind.

MOMENT: Du hast mit deiner Antwort auf meine Eingangsfrage leider meine Schlussfrage etwas zerstört.

Altenberger: Was wäre die gewesen?

MOMENT: Letzte Woche hast du ein Selfie gepostet mit der Beschriftung: “Wollen wir wieder mal über Haare reden?” Ich wollte wissen, wie die Reaktionen darauf waren.

Altenberger: Den Sarkasmus haben die meisten zum Glück verstanden.
 

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