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Arbeitswelt

Arbeitgeber:innen verweigern Verhandlungen um Handels-KV: Schlag ins Gesicht der Beschäftigten und Zeit für Streik

Arbeitgeber:innen verweigern Verhandlungen um Handels-KV: Schlag ins Gesicht der Beschäftigten und Zeit für Streik
Es ist ein Bruch der Sozialpartnerschaft: Einseitig verweigern die Arbeitgeber:innen Gespräche um den Handels-KV. Geht es nach ihnen, sollen die Beschäftigten nicht einmal die Inflation ausgeglichen bekommen. Das ist mehr als respektlos gegenüber den Beschäftigten, die jetzt im Weihnachtsgeschäft Extraschichten schieben. Es ist Zeit für drastische Maßnahmen. Dafür braucht es auch: gelebte Solidarität und Verständnis der Kund:innen.

Fix ist, dass nichts fix ist beim Handels-KV. Die Verhandlungen um den Kollektivvertrag für die Beschäftigten im österreichischen Handel liegen bis zum nächsten Jahr auf Eis. Die Seite der Arbeitgeber:innen war es, die vom Tisch aufstand und nicht mehr dorthin zurückkehren will. Wie soll man das nennen? Es ist mindestens ein Affront gegenüber den Verhandler:innen der Gewerkschaften. Und es ist ganz sicher eine Respektlosigkeit gegenüber den Mitarbeiter:innen im Handel, die in der Weihnachtszeit Extraschicht um Extraschicht schieben müssen.

Es sind Mitarbeiter:innen, die an Weihnachten immer noch nicht wissen, ob sie die zugrunde liegende Inflation von 9,2 Prozent zumindest halbwegs ausgeglichen bekommen. Sie drückt seit einem Jahr auf ihren Geldbeutel. Von tatsächlich steigenden Löhnen träumt schon niemand mehr: Zwischen 8,58 und 9,38 Prozent höhere Löhne fordert die Gewerkschaft, im Schnitt sollen die Beschäftigten 9 Prozent mehr erhalten. Also weniger als die längst verwirklichte Inflation.

Abbruch der Gespräche um Handels-KV ist Bruch der Sozialpartnerschaft

Im Handel arbeiten besonders viele Menschen jetzt besonders hart und bekommen dafür besonders wenig bezahlt – während sich die Vertreter:innen von Wirtschaftskammer und Co. mal eben eine Auszeit gönnen. Und das, obwohl ihnen die Arbeitnehmer:innen in den bereits sechs ergebnislosen Verhandlungsrunden seit Oktober ordentlich entgegengekommen sind. Man sollte es so benennen: Die als „Phase des Abkühlens“ beschönigte einseitige Verweigerung weiterer Gespräche bis Jahresende, kommt einem Bruch der Sozialpartnerschaft gleich.

So weit will Karl Dürtscher, Bundesgeschäftsführer der zuständigen Gewerkschaft der Privatangestellten (GPA), nicht gehen. „Aber es ist nicht unbedingt ein freundlicher Akt“, sagt er zu MOMENT.at. Er will offenbar nicht mit allzu forschen Aussagen Öl ins Verhandlungsfeuer gießen. Das ist verständlich, denn es geht um viel für die rund 430.000 Angestellten im Handel.

Jeder Prozentpunkt mehr oder weniger an Lohnerhöhung wirkt sich für sie enorm aus: Gibt es statt der geforderten 9 Prozent mehr etwa nur 8 Prozent, wie es die Seite der Arbeitgeber:innen zuletzt ins Spiel brachte, verlieren die Beschäftigten in den kommenden Jahren tausende Euro. Die 8 Prozent mehr sind übrigens kein echtes Angebot vonseiten der Arbeitgeber:innen. Sondern sie sind nur eine „Empfehlung“ an die Unternehmen, die Löhne um diesen Satz „freiwillig“ zu erhöhen. Ob Rewe, Spar, Hofer und Co. das auch machen, darauf kann zu Recht niemand vertrauen.

Ein Prozent Lohnverzicht heißt: tausende Euro Verlust in der Zukunft

Schon ein Lohnverzicht um nur ein Prozent in diesem Jahr bedeutet: In fünf Jahren haben die Beschäftigten mehr als 1.800 Euro weniger Jahresgehalt. In zehn Jahren sind es bereits fast 3.900 Euro. Und über eine gesamte Lebensarbeitszeit von 45 Jahren wären das bis zu 31.500 Euro weniger Verdienst. Heißt: Beschäftigte im Handel würden wegen dieses Prozentpunkts praktisch knapp ein Jahr ihres Lebens umsonst gearbeitet haben.

Das sollte allen klargemacht werden, die um des lieben Weihnachtsfriedens willen von den Arbeitnehmer:innen jetzt fordern, klein beizugeben. Und auch jenen sollte das klar sein, die in der Kassenschlange zu brodeln beginnen, weil es in der stärksten Einkaufszeit des Jahres nicht schnell genug geht. Weil manche Beschäftigte es sich herausnehmen, für mehr Gehalt und bessere Arbeitsbedingungen zumindest stundenweise zu protestieren.

Besser wäre: Ein aufmunternder Blick, ein nettes Wort für die Menschen, die hinter der Kassa sitzen und durch die Gänge flitzen, damit die Regale immer schön voll sind. Oder zumindest: keine Geringschätzung, Schimpfen oder gar Pöbelei. Denn das ist für viele Beschäftigte im Handel leider Alltag. „Ich werde von Kundinnen und Kunden schikaniert und beleidigt – muss ich mir das wirklich bieten lassen?“, fragt eine Angestellte im Einzelhandel in einem Beitrag bei MOMENT.at. Sie spricht von Unterbesetzung und Überlastung, von fehlender Wertschätzung der Arbeitgeber:innen und Resignation bei ihr und vielen Kolleg:innen. Aber ihr reicht es: „Wir sind keine Menschen zweiter Klasse“, sagt sie.

Wirtschaftskammer sieht offenbar erst ein Problem, wenn Menschen verarmen

Wer dem Chefverhandler der Arbeitgeber:innen Rainer Trefelik beim Reden zuhört, könnte den Eindruck bekommen: Die Beschäftigten seiner Branche jammern auf hohem Niveau. „In den Urlaub gefahren wird so viel wie lange nicht, in der Gastro mache ich interessante Beobachtungen zum Konsum“, sagte Obmann der Sparte Handel in der Wirtschaftskammer (WKO) im November zu MOMENT.at. Zum damaligen Zeitpunkt hatten es die Arbeitgeber:innen noch nicht einmal für nötig gehalten, trotz bereits laufender Lohnverhandlungen ein Gegenangebot abzugeben. Trefeliks Schluss im Gespräch: „Eine Verarmung der Gesellschaft sehe ich nicht.“ Das ist hochnäsig und gefährlich.

Denn was heißt das? Der Wirtschaftskammer-Mann sieht offenbar erst ein Problem und Handlungsbedarf, wenn eine breite Masse an Menschen angesichts explodierender Kosten für die Lebenshaltung verarmt. Das sollte in einem Land wie Österreich nicht der unterste Anspruch sein – auch nicht der von Arbeitgeber:innen in Lohnverhandlungen. Sie sollten ihrer sozialen Verantwortung gerecht werden und dabei nicht vergessen: Steigende Löhne fließen zu einem großen Teil in den Konsum und damit in die Kassen der Handelsunternehmen.

Die Zahlen zeigen: Was ihren Lohnzettel angeht, sind viele Beschäftige im Handel schon nah dran am zynischen Satz von Trefelik. Fast 38 Prozent von ihnen bekommen weniger als 2.500 Euro brutto Gehalt pro Monat, gerechnet auf eine Vollzeitstelle. Netto bleiben davon etwa 1.825 Euro. Wohlgemerkt: Das sind Löhne, die für viele nur Theorie sind. Denn sehr viele Handelsbeschäftigte arbeiten nur in Teilzeit, erhalten also noch weniger Gehalt.

Ist es so schlimm, wenn wegen Streiks an Weihnachten Geschenke fehlen?

Bei vielen ist das nicht freiwillig. Wer jetzt im Jobportal der Rewe Group nach einer Stelle als Kassierer:in bei Billa und Penny sucht, bekommt 473 offene Stellen ausgespuckt. Nur 58 davon sind Vollzeitstellen, darunter viele für höhere Positionen wie Abteilungsleiter:in. „Die meisten müssen Teilzeit arbeiten. Wer eine Vollzeitstelle bekommen will, muss sich das hart erkämpfen“, sagt die Handelsangestellte im Bericht von MOMENT.at. Sie wünscht sich Streiks.

Es wird nicht so kommen, aber: Ein großflächiger Streik am letzten Einkaufstag vor Weihnachten wäre verständlich. Die vergangenen Wochen und der einseitige Abbruch der Gespräche haben deutlich gemacht: Kurze Proteste und Warnstreiks reichen nicht. Um den Arbeitgeber:innen klarzumachen, dass es so nicht geht, müssen sie und ihre Kolleg:innen offenbar zu drastischen Maßnahmen greifen.

Wenn dann unter den Weihnachtsbäumen im Land das ein oder andere Geschenk fehlt, könnte man auch einfach mal sagen: Jo mei. Es gibt ein, zwei Sachen, die wichtiger sind. Gerechte Löhne zum Beispiel und bessere Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten im Handel.

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