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Demokratie
Fortschritt

Wahlrecht für ganz Österreich? Sicher nicht.

Zeig mir deine Staatsbürgerschaft und ich sage dir, ob du mitbestimmen darfst. So ist das Wahlrecht in Österreich. 1,4 Millionen Menschen dürfen am Sonntag nicht den Bundespräsidenten wählen. Manche von ihnen in diesem Land geboren und jede:r Zweite bereits länger als 10 Jahre da. Das ist absurd und gehört geändert, findet Barbara Blaha.
 

Am Sonntag ist es wieder so weit, wir werden zu den Urnen gerufen. Das ist ein Feiertag der Demokratie: Das höchste Amt im Staat wird gewählt und alle dürfen mitmachen. Nein, alle natürlich nicht. Da braucht es schon klare Kriterien. Erstens: in Österreich geboren sein. Zweitens: Hier leben. Drittens: Hier arbeiten und Steuern zahlen. Nein, das reicht auch nicht. Das ist alles herzlich wurscht, wenn man keine Staatsbürgerschaft hat. 

Nur die Staatsbürgerschaft zählt

Am Ende entscheidet nicht, wo man lebt und was man tut, was man zur Gesellschaft beiträgt und wie man von dieser Wahl betroffen wäre. Es entscheidet ein Fetzerl Papier. Und das ist übrigens nicht normal. Kaum ein Land verweigert den Menschen so lange das Recht, mitzureden; kaum ein Land ist so hart zu den Menschen, die hier leben. 

Österreich hat eines der gnadenlosesten Staatsbürgerschaftsgesetze überhaupt. Was also braucht man, um mitreden zu dürfen bei einer Wahl zum obersten Amt im Staat?

Erstens: Man muss 10 Jahre ununterbrochen in Österreich gelebt haben.

Zweitens: Man braucht einen guten Job: und zwar zumindest 882 Euro verfügbares Einkommen – verfügbar heißt, das, was übrig bleibt, wenn Miete und Unterhalt für Kinder und Co. abgezogen wurden. Das ist ziemlich viel – so viel, dass mit den Jobs, die unsere Gesellschaft zusammenhalten, kaum genug verdienen kann.  Kindergarten, Altenpflege? Nicht toll genug, um bei der Hofburg mitreden zu dürfen. 

Drittens muss man saugut Deutsch sprechen und den Einbürgerungstest schaffen, also Fragen wie die beantworten.  

Und viertens muss, wer das alles schafft, sich die Mitbestimmung auch leisten können: Je nach Bundesland kostet so ein Antrag bis zu 2.000 Euro.

1,4 Millionen Menschen dürfen nicht mitbestimmen

Die Regeln sind so gnadenlos, dass am Sonntag 1,4 Millionen Menschen in Österreich nicht mitreden können, wer in die Hofburg einziehen soll. Allein in Wien hat jeder Dritte, der hier lebt, arbeitet, Steuern zahlt, kein Wahlrecht. Jeder Zweite von ihnen ist bereits länger als 10 Jahre da. Es scheitert also hauptsächlich am Geld und am Test.

In Wien wohnen immer mehr Menschen, die Stadt wächst und wächst. Aber der Anteil der Wahlberechtigten ist im freien Fall. Im 15. Bezirk zum Beispiel wohnen seit 50 Jahren ziemlich konstant und unverändert knapp 80.000 Leute, in der gleichen Zeit hat sich die Zahl der Leute die wählen dürfen, von 67.000 auf 39.000 (!) reduziert.

Viele von denen, die nicht wählen dürfen, sind hier geboren. Sie nennen Österreich ihre Heimat, sind hier in die Schule gegangen, arbeiten hier und tragen das Ihre für die Gemeinschaft bei. Aber ihre Staatsbürgerschaft, die ist stur an den Reisepass ihrer Eltern gekoppelt. Das führt nicht nur zu der absurden Situation, dass zehntausende Menschen von der Mitsprache ausgeschlossen sind, die für das Amt in jeder Hinsicht besser geeignet wären als das bizarre Kandidatenfeld der 2022er-Edition der Bundespräsidentenwahl. Das führt auch zu der absurden Situation, dass zwischen gut ein Viertel der in Österreich geborenen und aufgewachsenen Kinder, ihrer Stimme beraubt werden.

Demokratie ist in Österreich eine Preisfrage

Mitreden dürfen von Jahr zu Jahr weniger. Und: Der wichtigste Faktor dafür ist das Einkommen. Ja genau, Demokratie ist in Österreich eine Preisfrage, noch genauer: Eine Frage des Lohnzettels! Besonders betroffen sind Jüngere, Städter:innen, Menschen mit niedrigeren Einkommen, Arbeitnehmer:innen in bestimmten Branchen und Berufen – oder generell Arbeiter:innen.

Allein in Wien dürfen 60 Prozent der Arbeiterinnen und Arbeiter nicht wählen. In Graz schaut es nicht viel anders aus. 

Nennen wir die Dinge ruhig beim Namen: Wenn wir dieses Wahlrecht nicht ändern, dann wird es schleichend und wieder zum Zensuswahlrecht wie zu Kaisers Zeiten im 19. Jahrhundert.  Wählen dürfen nur die reichen, wer nix hat, hat keine Stimme.

Was müssten wir tun, damit das Wahlsystem wieder fair und gerecht wird?

Wo man lebt, da soll man mitbestimmen. Knüpfen wir das Wahlrecht endlich an den Wohnsitz, nicht an den Pass: In Neuseeland darf seit 1975 jeder mitreden und wählen, der ein Aufenthaltsrecht hat. Und die Demokratie in Neuseeland hat das bekanntlich ganz gut überlebt. 
Auch in Belgien, Dänemark, Estland oder Schweden darf man – nach einer bestimmten Dauer des Aufenthalts – zumindest bei regionalen Wahlen mitbestimmen.

Wahlen sind aber nur der erste Schritt: Wer hier geboren wurde und aufwächst, kurz: wer hier hergehört, der soll auch das Recht auf die Staatsbürgerschaft haben, unabhängig vom Einkommen oder irgendwelchen Einbürgerungstests.

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