Warum große Unternehmen kaum noch Steuern zahlen, und was sich dagegen machen lässt
Der österreichische Top-Wirtschaftsprofessor Max Kasy erklärt normalerweise StudentInnen in Oxford und Harvard die Wirtschaft. MOMENT fordert ihn in der Serie „Erklärs mir doch ganz einfach“ heraus, komplizierte Konzepte und Begriffe in verständliche Sprache zu übersetzen.
Immer wieder hören wir in den Medien, dass große Konzerne viel weniger Steuern zahlen als einzelne Menschen. Das stimmt insbesondere für die großen Technologie-Unternehmen. Damit entgehen den Staaten riesige Summen an Steuern, die wichtige Dinge, wie Schulen, Krankenhäuser oder ein besseres Verkehrsnetz finanzieren könnten. Deswegen wird es auch immer schwieriger, von den wirklich Reichen mit Steuern umzuverteilen. Aber brauchen wir überhaupt Unternehmenssteuern? Warum ist es so, dass große Unternehmen keine Steuern mehr zahlen? Warum tut niemand etwas dagegen? Wie schauen mögliche Lösungen aus? Und was hat es mit dem neuen internationalen Abkommen zu globalen Mindeststeuern auf sich?
Warum brauchen wir Unternehmenssteuern?
Das wichtigste Mittel, mit dem der Staat dafür sorgt, dass die Schere zwischen Arm und Reich nicht weiter aufgeht, sind Einkommenssteuern. Das sind Steuern, die einzelne Menschen (oder Haushalte zahlen). Besteuert werden Einkommen aus Arbeit oder aus Zinsen und Profiten.
Warum sollten wir Unternehmen noch extra besteuern, statt einfach die Gewinne zu besteuern, die reiche Einzelmenschen durch sie bekommen?
Weil es sonst sehr leicht passieren könnte, dass reiche Leute gar keine Einkommenssteuern mehr zahlen. Das funktioniert so, dass sie Unternehmen besitzen, und die Unternehmen sich die Gewinne behalten, statt sie auszuzahlen. Dann gibt es kein Einkommen, und deswegen zahlen viele reiche Leute sehr wenig Steuern. Aber in Wirklichkeit sind sie reicher geworden, weil die Unternehmen, die ihnen gehören, mehr wert sind und mehr Geld haben.
Wenn aber Unternehmen Steuern auf ihre Profite zahlen müssen, dann lohnt sich dieser Trick viel weniger. Alles, was sich die reichen Leute durch diesen Trick an Einkommenssteuern sparen, müssten sie dann an Unternehmenssteuern mehr zahlen.
Warum zahlen große Unternehmen kaum noch Steuern?
Große Unternehmen sind in vielen Ländern aktiv. Bei solchen Multis stellt sich die Frage in welchem Land sie Steuern zahlen müssen. Dafür gibt es internationale Regeln, die in den 1920er Jahren eingeführt wurden. Diese Regeln basieren darauf, dass fiktive Preise zwischen verschiedenen Filialen verrechnet werden. Für Unternehmen wird es in den letzten Jahren immer leichter die Profite dorthin zu verschieben, wo die Steuern am niedrigsten sind. Dadurch müssen sie am Ende fast keine Steuern zahlen. Das liegt unter anderem daran, dass Patente und Markenrechte immer wichtiger werden, für die es gar keine Preise gibt. Es gibt sehr viele Steuerberater, die nur daran arbeiten, Profite rechnerisch zwischen Ländern zu verschieben.
Wenn ein Land, sagen wir Irland (nur als Beispiel), die Steuern für Unternehmen senkt, dann zahlen Unternehmen lieber in Irland Steuern als in einem anderen Land. Deswegen verlagern sie ihre Profite durch Buchhaltungstricks nach Irland, sodass Irland am Ende sogar mehr Steuern einnimmt als vorher. Das Problem ist, dass dadurch anderen Ländern Steuereinnahmen verloren gehen, und am Ende die Multis immer weniger Steuern zahlen.
Aber es ist schwer für ein einzelnes Land etwas daran zu ändern.
Was kann man gegen den Steuerwettbewerb tun?
Es gibt alle möglichen politischen Versuche, das alte System zu retten, in dem ein paar Schlupflöcher gestopft werden. Das ändert aber nichts an den grundlegenden Problemen, und wird längerfristig nicht viel bringen.
Das Hauptproblem des jetzigen Systems ist, dass sich Multis praktisch aussuchen können, wo sie Steuern zahlen, und deswegen alle Länder ihre Steuersätze gesenkt haben.
Es gibt aber zwei vielversprechende Ansätze, dieses Problem zu lösen
Ein erster Ansatz wäre ein System, in dem die Aufteilung der Profite durch eine Formel vorgegeben ist. Man könnte zum Beispiel Profite zwischen Ländern aufteilen, je nachdem wie viel sie dort verkaufen. Das ließe sich sehr schwer durch Buchhaltungstricks manipulieren – man kann die KonsumentInnen ja nicht einfach in einen Steuersumpf verschiffen. Dann hätten andere Länder auch viel weniger davon, Unternehmenssteuern zu senken. Man könnte die Profite auch nach anderen Gesichtspunkten aufteilen, etwa danach wie viele Angestellte das Unternehmen in einem Land hat.
Ein zweiter Ansatz wäre eine globale Mindeststeuer. Der US-Präsident Joe Biden hat vorgeschlagen, dass Multis sagen müssen wie viel Steuern sie in anderen Ländern schon gezahlt haben. Wenn die Zahl unter einem bestimmten Mindeststeuersatz liegt, müssen sie die Differenz in den USA zahlen. Einige andere reiche Länder unterstützen diese Idee jetzt, und vielleicht passiert das bald wirklich.
Beide dieser Ansätze sind sehr attraktiv. Sie würden beide das Problem des Steuerwettbewerbs lösen. Weil Unternehmen ihre Profite nicht mehr einfach durch Buchhaltungstricks verschieben können, können sie dadurch nicht mehr ihre Steuern senken. Und weil die Profite nicht einfach verschwinden, wenn ein Land die Steuern erhöht, hätten alle Länder auf einmal wieder die Möglichkeit, ihre Unternehmenssteuern zu erhöhen.
Und dann könnten auch reiche Menschen nicht mehr ihr Einkommen vor der Steuer verstecken, indem sie Profite in den Unternehmen belassen. Das wäre ein wichtiger Schritt, um die stark wachsende Einkommensungleichheit auszugleichen.
Damit es so weit kommt, müssen sich diese Lösungen noch politisch durchsetzen.
Große Konzerne üben sehr viel Druck aus, um das zu verhindern. Ihre Lobbyisten in Washington und Brüssel setzen alles daran, das alte System zu erhalten.
Aber es gibt Grund zur Hoffnung: Am 5. Juni haben sich einige reiche Länder (die sogenannten G7) darauf geeinigt, Joe Bidens Vorschlag zu unterstützen, und eine globale Mindeststeuer von 15% einzuführen. Das ist nicht sehr hoch, aber wäre ein großer Fortschritt.