Was heißt eigentlich “gut für die Wirtschaft?”
„Geht’s der Wirtschaft gut, geht’s uns allen gut.“ So lautete vor einigen Jahren eine Kampagne der österreichischen Wirtschaftskammer. Aber was soll das eigentlich heißen, dass es „der Wirtschaft gut geht“? Was die Kampagne wohl gemeint hat ist: Wenn UnternehmerInnen und Vermögende reicher werden, wäre das gut für den Rest von uns.
VolkswirtInnen sehen das etwas anders. Um zu beschreiben, ob es der Wirtschaft gut geht, sprechen sie oft von der „sozialen Wohlfahrt“. Je höher die soziale Wohlfahrt, umso besser. Gute Politik-Maßnahmen erhöhen die soziale Wohlfahrt – zum Beispiel in der Steuerpolitik. Optimale Politik-Maßnahmen führen zur größtmöglichen sozialen Wohlfahrt.
Was heißt „soziale Wohlfahrt“?
Soziale Wohlfahrt nimmt als Grundlage, wie gut es den einzelnen Menschen geht. Je besser es jemandem geht, umso höher die soziale Wohlfahrt. Und sie hängt davon ab, wie das Wohlergehen verteilt ist. Ein zusätzlicher Euro für eine Obdachlose ist besser für die soziale Wohlfahrt als ein zusätzlicher Euro für einen Millionär.
Anders gesagt, der Wirtschaft gehts gut, wenn es uns allen gut geht. Aber es bleiben trotzdem noch viele Fragen offen um zu sagen was genau „soziale Wohlfahrt“ heißt. Diese Fragen haben keine „richtige“ oder „falsche“ Antwort. Aber wir sollten sie besprechen, wenn wir darüber reden, was „gut für die Wirtschaft“ ist.
Wer zählt überhaupt?
Oben habe ich gesagt, je besser es den einzelnen Menschen geht, desto höher die soziale Wohlfahrt. Aber von welchen einzelnen Menschen reden wir da eigentlich? Geht es da nur um die StaatsbürgerInnen, zum Beispiel in Österreich? Oder alle, die innerhalb der Landesgrenzen leben, auch wenn sie keine Staatsbürgerschaft haben? Warum eigentlich nicht Menschen im Rest der Welt? Es gibt ja nicht wirklich einen Grund, dass die nicht zählen sollen, nur weil sie die falschen Papiere haben. Und geht es nur um die Menschen, die jetzt leben? Oder auch um Menschen in der Zukunft – die zum Beispiel besonders vom Klimawandel betroffen sein werden? Und was ist eigentlich mit Tieren, soll deren Wohlergehen nichts zählen?
Wie messen wir das Wohlergehen von Menschen?
Die nächste Frage ist, was es eigentlich heißt, dass es einem Menschen „besser geht“? VolkswirtInnen bemessen das meistens daran, was die Menschen selber wählen würden. Wenn ich die Wahl habe zwischen A und B, und mich für B entscheide, dann heißt das, dass B besser für mich ist als A. VolkswirtInnen sagen dann, dass B einen höheren „Nutzen“ hat.
Aber dieser Zugang ist nicht unumstritten. Der Philosoph John Rawls, zum Beispiel, hat gesagt, dass es stattdessen um die Versorgung mit ein paar grundlegenden Ressourcen geht. Zum Beispiel um Einkommen, Bildung, Gesundheit und politische Rechte. Was die Menschen mit diesen Ressourcen machen, ist ihre Sache. Aber alle sollten diese Ressourcen haben. Wieder andere sagen, dass es um die Möglichkeiten gibt, die die Menschen tatsächlich haben, um das zu tun, was ihnen wichtig ist.
Und wer zählt wie viel?
Und die dritte große Frage ist: Wer zählt wie viel? Also: Wieviel Gewicht soll das Wohlergehen verschiedener Leute haben. Es macht zum Beispiel wenig Sinn, einfach die Euros an Einkommen verschiedener Leute zusammen zu zählen. Unter anderem deswegen hat auch das Bruttoinlandsprodukt (BIP) wenig mit sozialer Wohlfahrt zu tun.
Ein Euro für einen Millionär macht wahrscheinlich keinen Unterschied, den der Millionär überhaupt bemerken würde, während für eine andere ein Euro den Unterschied machen kann, ob sie heute eine warme Mahlzeit bekommt. Aber um wie viel mehr der Euro für sie statt für den Millionär zählen soll, ist eine politische Entscheidung. Und genau so müssen wir beantworten, um wie viel mehr ein Euro für eine Kranke als eine Gesunde zählen soll. Oder wie es mit Alten und Jungen steht – oder mit den Opfern historischer Ungerechtigkeiten und Verbrechen sowie deren Nachkommen.
Nur wenn wir diese politischen Fragen beantwortet haben, ergibt es Sinn von sozialer Wohlfahrt zu sprechen. Erst dann können wir sagen, ob zum Beispiel ein Steuersystem optimal ist, oder eine Krankenversicherung, ein Pensionssystem und so weiter.
Vorstellungen die nichts mit sozialer Wohlfahrt zu tun haben
Das Konzept der sozialen Wohlfahrt ist mit vielen verschiedenen politischen Vorstellungen vereinbar. Konservative zum Beispiel geben Reichen ein höheres Gewicht im Vergleich zu Armen, als das Linke tun. Menschen, die sich um den Klimawandel sorgen, legen wahrscheinlich ein höheres Gewicht auf künftige Generationen. NationalistInnen meinen, dass Menschen ohne Staatsbürgerschaft nicht zählen sollen.
Aber nicht alle Vorstellungen sind mit dem Konzept der sozialen Wohlfahrt vereinbar. Manche Konservative und Libertäre meinen, dass alles gut ist, solange die Wirtschaft auf Eigentumsrechten und freiwilligem Tausch beruht – egal was die Folgen für das Wohlergehen der Menschen sind. Und Faschisten meinen, dass es gar nicht um das Wohlergehen der Menschen geht, sondern nur um die angeblichen „Rassen“ – „du bist nichts, dein Volk ist alles“.
PS: Wer mehr wissen will, kann in diesem Online-Lehrbuch weiterlesen, das ich vor ein paar Jahren geschrieben habe.
Der österreichische Top-Wirtschaftsprofessor Max Kasy erklärt normalerweise StudentInnen in Oxford und Harvard die Wirtschaft. MOMENT fordert ihn in der neuen Serie „Erklärs mir doch ganz einfach“ heraus, komplizierte Konzepte und Begriffe in verständliche Sprache zu übersetzen.