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Demokratie

Wenn Worte die Demokratie gefährden: Über das mediale Versagen im Umgang mit Trumps Willkür

Wenn Worte die Demokratie gefährden: Über das mediale Versagen im Umgang mit Trumps Willkür
Gerade jetzt, wo Trump Schritt für Schritt das demokratische System der USA aushöhlt, um einen autoritären Staat nach seinen Wünschen zu erschaffen, ist es die Aufgabe von Journalist:innen das auch klar zu benennen.

„Harter Kurs“, „strenge Migrationspolitik“ – Begriffe wie diese prägen die mediale Berichterstattung über Trumps jüngste Eskalation in Los Angeles. Der ORF etwa beschreibt die Ereignisse, als wären sie bloß ein weiterer Ausläufer politischer Härte. Als “Bühne für ein Politduell“ wird die Eskalation beschrieben. Das klingt fast sportlich – fast so, als stünden Trump und Gouverneur Newsom auf einer Debattenbühne gegenüber und ringen bloß um rhetorische Punkte. Tatsächlich stehen Soldat:innen der Nationalgarde in Tarnuniform auf kalifornischem Asphalt, während Einwanderungsbehörden nachts Wohnungen stürmen und ein demokratischer Senator in Handschellen abgeführt wird. Es ist staatliche Willkür, ein Angriff auf Rechtsstaatlichkeit und Demokratie – und der mediale Umgang damit gefährlich fahrlässig.

Ohne Rechtsgrundlage

Ein kurzer Blick auf die Fakten zeigt das wahre Ausmaß der Lage: ICE-Agent:innen durchkämmen in paramilitärischer Manier Wohnviertel, Kirchen und Notunterkünfte. Sie nehmen willkürlich Menschen fest – darunter eine schwangere US-Staatsbürgerin und über hunderte Personen ohne Vorstrafen. Ohne ausreichende Rechtsgrundlage werden Betroffene festgehalten. Was in Kalifornien passiert, ist kein strenger Kurs, sondern ein Verfassungsbruch: Trump setzt die Nationalgarde erstmals seit 1965 gegen den ausdrücklichen Willen des Gouverneurs ein und beruft sich dazu auf ein Notstandsgesetz. Dies hat nichts mit konsequenter Migrationspolitik zu tun. Es ist ein Exzess autoritärer Gewalt.

Der Tabubruch erreicht seinen dramatischen Höhepunkt, als Alex Padilla, ein demokratischer US-Senator, bei einer Pressekonferenz von Sicherheitsbeamten des Heimatschutzministeriums auf den Boden gedrückt und in Handschellen gelegt wird – seine Frage nach der Rechtmäßigkeit der Razzien bleibt unbeantwortet. Doch auch diesen Skandal stilisiert der ORF lediglich als Teil eines „politischen Duells“. Demokratische Gewaltenteilung beruht darauf, dass gewählte Mandatar*innen das Handeln der Regierung kontrollieren dürfen – notfalls laut, unbequem, öffentlich. Wird ein Senator verhaftet, ist das kein Nebenschauplatz, sondern eine massive Erosion parlamentarischer Aufsicht. Medien, die diesen Tabubruch nicht klar benennen, laufen Gefahr, das Fenster des Sag‑ und Machbaren noch weiter nach rechts zu verschieben.

Ein neues Normal 

Solche Einordnungen sind kein Zufall und keine nebensächliche Ungenauigkeit. Sie sind Ausdruck einer gefährlichen sprachlichen Normalisierung. Wer autoritäre Maßnahmen als „Razzia“ beschreibt, evoziert Kriminalitätsbekämpfung, nicht Menschenjagd. Wer Soldat:innen als „Sicherheitskräfte“ anführt, lässt vergessen, dass hier Militär gegen Zivilisten eingesetzt wird. Und wer Massenfestnahmen einordnet als „hartes Durchgreifen“, statt sie als Massenfestnahmen zu benennen, verschiebt die moralische Referenzlinie.

Worte wie „strenger Kurs“ legitimieren indirekt die Gewalt, die dahinter steht. Sie täuschen politische Legitimität vor, wo nur Willkür herrscht. Medien, die so berichten, erfüllen eine zentrale Funktion für jene politischen Kräfte, die autoritäre Maßnahmen salonfähig machen wollen. Wobei “autoritäre Maßnahmen” sogar noch zu kurz greift für Handeln einer Regierung, das sich kaum noch auf gesetzliche Grundlagen berufen kann. Faschistisch oder diktatorisch wären hier die korrekteren Bezeichnungen.

Journalistische Einordnung nötig

Dabei müsste gerade der öffentlich-rechtliche Journalismus präzise benennen, was geschieht: Verfassungsbruch, Militarisierung des Alltags, Zerstörung demokratischer Grundnormen. In jeder Bezeichnung steckt nämlich immer auch eine journalistische Einordnung. Doch statt sich dieser Verantwortung bewusst zu sein, übernimmt man vielfach kritiklos die Sprache autoritärer Akteure.

Auch in Österreich hören wir seit Jahren, man müsse „die Grenzen schützen“, „streng kontrollieren“, „durchgreifen“ – Worte, die längst Entfremdung von Rechtsstaatlichkeit kaschieren. Wer Trumps Kalifornien als legitime „migrationspolitische Option“ rahmt, liefert Blaupausen für kommende Debatten in Wien oder Eisenstadt.

Journalist:innen sind nicht dazu verpflichtet, vermeintlich neutrale Mittelpunkte zwischen Extrempositionen zu finden. Journalistische Glaubwürdigkeit gewinnt man nicht durch scheinbare Ausgewogenheit, sondern durch Klarheit im Benennen. Sie ist der Wahrheit verpflichtet – und die Wahrheit ist, dass Trump hier mit aller Gewalt demokratische Grundprinzipien demontiert. 

Bekannte Taktik

Historisch ist dies ein bekannter Mechanismus: autoritäre Regime versuchen stets zuerst, ihr Handeln sprachlich zu normalisieren. Was heute noch ungeheuerlich wirkt – die Festnahme eines Senators, die paramilitärische Übernahme einer Großstadt –, könnte morgen bereits zum gewöhnlichen Teil der politischen Landschaft erklärt werden, solange die mediale Berichterstattung diese Vorgänge nicht eindeutig und kritisch benennt.

Worte schaffen Realität

Die aktuelle Entwicklung in Los Angeles muss daher auch hierzulande als Warnsignal verstanden werden. Sie zeigt, wie schnell demokratische Standards erodieren, wenn wir sprachlich nachlässig werden. Die Medien tragen eine enorme Verantwortung: Jede Verharmlosung, jede beschönigende Phrase hilft autoritären Akteuren dabei, demokratische Normen weiter auszuhöhlen.

Die Berichterstattung über die Ereignisse in Kalifornien ist deshalb keine Frage der Wortwahl oder des journalistischen Geschmacks – sie ist ein Lackmustest für demokratische Sensibilität. Versagen Medien hier, droht der Dammbruch: Worte legitimieren Gewalt, Gewalt wird Alltag, der Alltag wird autoritär.

Genau jetzt ist Präzision daher keine journalistische Kür, sondern demokratische Pflicht. Denn Sprache entscheidet, welche Realität wir zulassen wollen. Und welche wir niemals zulassen dürfen.

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