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Gesundheit

Eine Tochter erinnert sich: Wie es ist, als Jugendliche den Vater zu pflegen

Illustration mit dem Titel Was ich wirklich denke in der Mitte
Als Natalie 17 Jahre alt ist, wird ihr Papa schwer krank. Sie kümmert sich um ihn. Für die Serie “Was ich wirklich denke”, erzählt sie, wie es ist, als Teenager den Vater zu pflegen und was es bedeutet, so früh soviel Verantwortung zu tragen.

Kurz vor den Sommerferien, ich war 17 Jahre alt, hat mein Vater eine kleine Beule an seinem Hals entdeckt. Es waren Metastasen. Der Krebs hat sich in die Wirbelsäule und in den Kopf ausgebreitet. Plötzlich konnte mein Vater nicht mehr gehen, das waren die ersten Lähmungserscheinungen.

Zwei Jahre zuvor hatte er Lungenkrebs. Er wurde früh gefunden und gut behandelt. Mein Vater war eine Zeit lang im Krankenhaus, aber dann ging es ihm wieder gut. Diesmal war alles anders.

Ein paar Mal wurde mein Vater bestrahlt, aber es war klar, das ist unheilbar. Es ist dann nur noch darum gegangen, ihm die Schmerzen halbwegs erträglich zu machen. Ich war 17 Jahre alt und die Diagnose kam kurz vor den Sommerferien. In den Ferien habe ich mich um meinen Vater gekümmert, meine Mutter musste ja arbeiten.

Sauerstoff und Medikamente

In der Früh ist jeden Tag eine Pflegerin gekommen. Sie hat meinen Vater gewaschen, der hat sich dagegen gewehrt. Ihm war es unangenehm, dass eine fremde Frau seine Körperpflege macht. Das Rasieren hat mein damaliger Freund übernommen.

Von Montag bis Freitag von 8:00 bis 17:00 Uhr habe ich mich um meinen Vater gekümmert und war für ihn verantwortlich. Ich habe in der Früh die Medikamente vorbereitet, ihn versorgt, den Verband gewechselt. Mein Vater hat schlecht Luft bekommen, ich habe mich um seinen Sauerstoff gekümmert. Für die Schmerzen habe ich ihm Morphiumpflaster gegeben. Wie das alles geht, hat mir eine Krankenschwester von der Caritas Socialis beigebracht, die konnte aber nur zwei Mal in der Woche kommen.

„Mit 17 habe ich mich schon so erwachsen gefühlt“

Essen wollte mein Vater gar nicht. Er hat Astronautennahrung bekommen, flüssig und nährstoffreich, die hat er aber abgelehnt. Mein Vater ist sehr schnell sehr dünn geworden.

Zusätzlich hatten wir noch einen Hund, mit dem ich Gassi gegangen bin. Bevor ich losgegangen bin, hat mein Vater mich immer drei Mal an den Schlüssel erinnert. Er hat gewusst, wenn ich den Schlüssel vergesse, kann er mir nicht aufmachen, weil er nicht aufstehen kann.

Ich habe damals gar nicht darüber nachgedacht, dass ich als Jugendliche meinen Vater pflege. Mit 17 habe ich mich schon so erwachsen gefühlt, obwohl ich es natürlich nicht war. Ich habe erst vor ein paar Jahren erfahren, dass es den Begriff “Young Carer” überhaupt gibt.

„Mein Papa stirbt nicht, habe ich gedacht“

Ich finde es wichtig, dass sich alle Menschen in der Medizin bei den PatientInnen überlegen, wie es zu Hause aussieht und wie sie die Angehörigen unterstützen können. Gibt es Kinder? Ist die Patientin vielleicht alleinerziehend? Wer kümmert sich, wenn sie krank ist? Die Kinder und Jugendlichen haben so viel Verantwortung und wissen oft nicht, an wen sie sich wenden können. Was machen sie, wenn die Mama stürzt? Wann sollen sie die Rettung rufen? Für solche Fälle gibt es das Projekt Superhands, bei dem ich mich engagiere. Dort finden pflegende Kinder und Jugendliche Rat und Hilfe.

Mein Papa stirbt nicht, habe ich gedacht. Als es doch passierte, am Ende der Sommerferien, war ich nicht zu Hause, sondern bei einer Freundin ein paar Busstationen entfernt. Meine Mutter hat mich komplett aufgelöst angerufen. Ich habe die Welt nicht mehr verstanden. Was soll das heißen, Papa ist tot? Ich war doch eben noch bei ihm und es war alles wie immer.

„Ich habe Krankenhäuser gehasst“

Als ich endlich zu Hause war, habe ich nur noch gesehen, wie sie meinen Vater in den Sarg legen. Das Bild bin ich lange nicht losgeworden, das war so schlimm für mich. Im Nachhinein glaube ich, dass mein Vater sich ausgesucht hat, dass ich nicht da bin, wenn er stirbt. Er hat gewusst, dass ich mit dem Tod nicht umgehen konnte.

Jetzt bin ich Krankenpflegerin, zuerst in der Notaufnahme, jetzt in der Schönheitschirurgie, und habe meine Diplomarbeit über Young Carer geschrieben. Wenn mir damals jemand gesagt hätte, dass ich diesen Beruf ergreifen werde, hätte ich gelacht.

Damals habe ich Krankenhäuser gehasst, sie haben mir Angst gemacht. Heute freue ich mich, wenn ich weiß, die PatientInnen sind bei mir in guten Händen. Ich behandle sie so, wie ich will, dass meine Oma behandelt wird. Die Zeit damals hat mich zu dem Menschen gemacht, der ich heute bin.

 

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