Wie Nazi-Sprache im Alltag unser Denken beeinflussen kann, in 4 Punkten
Welche Strategien haben die Nazis mit ihrer Ausdrucksweise verfolgt? Wie wirken sie sich noch heute auf uns aus und wie leben ihre Inhalte in unserer Sprache weiter? Wir versuchen einen Überblick.
#1 Menschen entmenschlichen
Parasiten, Ratten, Maden. Soziale und asoziale, artige und abartige Menschen. Wir sollten die Ohren spitzen, wenn jemand Worte und Sätze verwendet, die Menschen in die Kategorien „wertvoll“ und „weniger wertvoll“ aufteilen. Tierbezeichnungen und Werturteile würden die schlechte Behandlung bestimmter Gruppen vorgeblich legitimieren.
Das haben schon die Nazis gemacht. Und laut dem deutschen Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch könnte es schnell wieder Teil unserer Wirklichkeit werden. Es ist wohl kein Zufall, dass Belarus‘ Diktator Alexander Lukaschenko die Protestierenden in seinem Land derzeit ebenso als “Ratten” bezeichnet wie das einst auch der libysche Diktator Muammar Gaddafi mit seinen Gegner:innen getan hat.
#2 „Fremde“ und „Andersdenkende“ zu Feinden machen
Mithilfe der Sprache haben die Nazis alle, die nicht zu ihrer Vorstellung des Volkes passten, zur Bedrohung und zu Feinden erklärt. Wörter wie “Volksverräter” oder “Lügenpresse” sollten Andersdenkende brandmarken und ihre Kritik untergraben. Sie wurden nicht nur verunglimpft, sondern auch verfolgt. Mit Begriffen wie “Umvolkung” oder “Überfremdung” stellten die Nazis jene Menschen als Bedrohung dar, die in ihrem Bild von “außen” kamen und nicht dazugehören konnten.
Heute formulieren Rechtsextreme die alten Ausdrücke etwas um, setzen eine ähnliche Strategie aber wieder gezielt ein, sagt Reisigl. Als Beispiel nennt er die kodierte Bezeichnung „Bevölkerungsaustausch“.
Wer Sprachbilder wie diese nicht hinterfragt, verinnerlicht automatisch die Vorstellung, dass “andere” Menschen aggressive Absichten hätten und sich ominöse Eliten gegen die „Wir-Gruppe“ verschwören würden. Der Hass gegen „die anderen“ wird damit zum “Abwehrkampf” umgedeutet. Niemand will schließlich “ausgetauscht” oder “ersetzt” werden. Die Menschen, denen diese bösen Absichten unterstellt werden, haben sie aber gar nicht.
#3 Mit Witzen gesellschaftliche Tabus brechen
„Es ist ja nur ein Witz.“ Für Karl Fallend, Psychologe und Lehrender, sind Witze keineswegs harmlos. Er empfiehlt, nicht gedankenlos über Witze zu lachen, sondern die aggressive Tendenz zu hinterfragen. Vor allem dann, wenn sie antisemitische Inhalte transportieren.
Antisemitismus sei gesellschaftlich verpönt, sagt Fallend. Aber: “Ein Witz darf ein Tabu aussprechen.” Unter dem Deckmantel des “harmlosen Witzes” lassen sich deshalb bestehende Aggressionen ausdrücken. Die Grundaussage bleibe in den Köpfen hängen.
Auch Politiker:innen würden Witze und scherzhafte Wortspiele einsetzen, um auf unbewusster Ebene Feindbilder zu schaffen. Als Beispiel nennt Fallend den ehemaligen FPÖ- und BZÖ-Politiker Jörg Haider, der mit kodierten antisemitischen Äußerungen aufgefallen ist.
#4 „Unschuldige“ Sätze neu prägen
Auch wenn die Nazis folgende Sätze nicht „erfunden“ haben, so haben ihre Verbrechen deren Bedeutung verändert. Ein paar Floskeln, die wir nicht mehr bedenkenlos sagen sollten.
- „Jedem das seine“: Dieser ursprünglich philosophische Spruch stand am Eingang zum Konzentrationslager Buchenwald. Etwa 56.000 Menschen sind in dem Lager getötet worden.
- „Meine Ehre heißt Treue“: So lautete der Wahlspruch der SS. Die nationalsozialistische „Schutzstaffel“ war unter anderem für den Betrieb von Konzentrations- und Vernichtungslagern verantwortlich.
- „Durch den Rost fallen“: Im Nationalsozialismus wurden Millionen Menschen ermordet und verbrannt. Ihre Asche ist durch den Rost gefallen.
- „Bis zur Vergasung“: Die Nazis haben viele ihrer Opfer mit Gas ermordet.
- „Geh dich brausen“: Das tödliche Gas kam auch aus Duschköpfen. Ein alter Spruch lautet sogar: „Geh dich brausen nach Mauthausen“. Im Konzentrationslager Mauthausen sind mehr als 100.000 Menschen ermordet worden.
Die Redewendungen waren einst vielleicht harmlos. Durch ihre Rolle in der Geschichte ist unsere Sprache hier aber nicht mehr unschuldig, sagt Karl Fallend.