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Demokratie

Wie politische Veränderung undenkbar gemacht wird

Die SPD will ihren Kurs korrigieren. Die Parteibasis hat das demokratisch entschieden. Nun wird medial Stimmung dagegen gemacht.

Wie wird in der öffentlichen Debatte vorgeschrieben, was als „politisch vernünftig“ gilt, und was nicht? Wie werden unsere politischen Handlungsspielräume eingeschränkt durch das, was als unrealistisch oder lächerlich dargestellt wird? Manchmal wird das mit sehr harmlos scheinenden Werkzeugen gemacht. Ein aktuelles Beispiel liefert ein Meinungsforschungs-Institut aus Deutschland: „Forsa“ fragt in einer Umfrage den Kurs der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) ab. 

Die SPD hat ja kürzlich eine neue Parteispitze gewählt, die etwas klarer linke Positionen einnehmen will. Für viele Parteimitglieder ist das eine überfällige Kurskorrektur. Die Partei ließ sich über Jahrzehnte immer mehr von neoliberalen Ideen beeinflussen und treiben. Nun will sie mehr Investitionen gegen die Klimakrise, eine etwas höhere Besteuerung von Spitzeneinkommen und Vermögen, höhere Mindestlöhne und Reformen bei der in Deutschland umstritten niedrigen Arbeitslosenversicherung. „Das sollte als normale wirtschaftspolitische Option ohne Herzkasper und Schnappatmung diskutiert werden können!“, schreibt darüber der deutsche Wirtschaftsweise Armin Truger.

„Forsa“ jedoch fragt das so ab (siehe der Screenshot von Jan Beyer): Solle die SPD, um Wahlen zu gewinnen, nun diesen neuen „ideologischen Linkskurs“ oder lieber einen „pragmatisch-rationalen Mitte-Kurs“ nehmen?

Was unterstellt die Fragestellung?

Erstens leugnet sie die einfache Tatsache, dass jede Politik ideologisch ist. Weil es Politik ohne dahinterstehende Annahmen, Werte und Theorien nicht gibt und auch Dinge, die als „normal“, als „alternativlos“ oder als „vernünftig“ gelten, aus ideologischem Denken stammen. Das ist deshalb auch gar nicht böse, auch wenn die „Ideologie“ einen schlechten Ruf in der Alltagssprache genießt. Weil das Wort genau durch solche Zuschreibungen eben nicht für „Weltanschauung“ steht, sondern mit „unvernünftig“, „uneinsichtig“ und „verbohrt“ in Verbindung gebracht wird.

Und zweitens, dass diese Kurskorrektur der SPD gerade deshalb vorgenommen wird, weil dadurch eben pragmatischere und vernünftigere Antworten auf gesellschaftliche Probleme gegeben werden können. Weil viele Probleme mit dem aktuellen Kurs der Politik und dem bisherigen Kurs der SPD vielleicht einfach nicht gelöst werden, also zwar genauso „ideologisch“ aber eben nicht wirklich „pragmatisch-rational“ sind.

 
Screenshot von n-tv vergisst in seinem Bericht die Hälfte der Frage

Screenshot des Berichts auf n-tv

Und Medien lassen die tendenziöse Fragestellung bei ihren Berichten über die Umfrage dann auch noch unter den Tisch fallen – zum Beispiel n-tv, das mit RTL auch Auftraggeber der Umfrage war.

Eine Partei, die seit Jahrzehnten im Sturzflug ist, ändert ihren Kurs. Sie setzt auf Themen, die man sich von ihr eigentlich schon immer erwarten würde. Und noch bevor irgendetwas davon wirklich angegangen wurde – praktisch Stunden, bestenfalls Tage nach der angekündigten Veränderung – soll mit einer einzigen Umfrage und einem Medienbericht darüber übrig bleiben, dass der neue Kurs nicht nur unvernünftig und verbohrt ist, sondern auch noch unpopulär.

Unter anderem so wird vorgegeben, was wir politisch für vernünftig und realistisch halten sollen.

P.S.: Unter dem Hashtag #ForsaFragen machen sich Twitter-NutzerInnen über die unsinnige Fragestellung der Forsa-Umfrage lustig. Das passiert übrigens nicht zum ersten Mal. 2015 ging der Hashtag das erste Mal durch die Decke, nachdem die deutsche Griechenland-Politik ähnlich handwerklich fragwürdig abgefragt wurde.

 

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