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Ungleichheit

Wie schwer eine Waffe in der Hand liegt

Ein paar Tage bevor ein Mann in Wien auf offener Straße Menschen ermordete, hatte ich zum ersten Mal eine Waffe in der Hand. Hinterher ist das Gefühl darüber noch mulmiger als damals.
Vor genau einer Woche hat ein Mann zu einer Schusswaffe gegriffen und sie auf Menschen gerichtet. Er tötete vier Menschen und verletzte noch viele mehr. Schließlich wurde er selbst durch einen Schuss getötet.

Nur drei Tage vorher hatte ich zum ersten Mal in meinem Leben eine geladene Waffe in der Hand. Hinterher ist das Gefühl darüber noch mulmiger als damals.

Ich betrete mit meinem Freund ein Waffengeschäft am Rande Wiens. Hinter einer telefonierenden Frau reihen sich Langwaffen. Gewehre wahrscheinlich, die Fachbezeichnungen kenne ich nicht. Noch wissen wir nicht sicher, woher der Attentäter seine Waffen und die Munition hatten. Aus einem Laden wie diesem in Österreich war es wahrscheinlich nicht.

Eigentlich verabscheue ich Waffen. Mir wäre es lieber, niemand würde mit Pistolen oder Gewehren herumlaufen, nicht einmal die Polizei oder JägerInnen. Aber ausprobieren wollte ich es trotzdem. Um zu wissen, wie es sich anfühlt.

Während wir darauf warten, dass unser Probeschießtraining beginnt, kaufen sich zwei ältere Herren Munition. 3.000 Stück für den einen. Die Kartons mit der Munition sind so schwer, dass die Frau hinter der Theke sie kaum heben kann. Wer braucht so viele Kugeln – und wozu? Er scherzt, ob das Schießen nicht zu den Grundbedürfnissen gehöre, die im zweiten Corona-Lockdown erlaubt bleiben. Wer weiß, ob er den Witz ein paar Tage später lieber sein lassen würde.

Im dunklen Schießkeller sind wir zu dritt. Mein Freund, ich und der Trainer, der früher selbst mal Journalist war, wie er erzählt. Jetzt bringt er Menschen das Schießen bei und arbeitet als Privatdetektiv. Er ist sehr nett und auf die Sicherheitsvorkehrungen bedacht: Brille, Gehörschutz. Und die wichtigste Lektion: Die Waffe nie auf einen Menschen richten. Auch nicht, wenn sie ungeladen ist.

Die Waffe nie auf einen Menschen richten

Als ich eine Pistole in der Hand halte, merke ich, dass meine Finger ein wenig zittern. Meine Handflächen sind feucht. Der Schuss reißt die Waffe nach oben, die Explosion fetzt die Hülle in die Luft. Das Schießen ist anstrengend. Emotional, weil ich mich bei jedem Knall erschrecke und trotz genauer Sicherheitsmaßnahmen Angst habe, mir doch selbst in den Fuß zu schießen. Oder noch schlimmer: jemand anderem. Aber auch körperlich. Meine Arme werden müde, mein Finger auch.

Ich habe in keiner Sekunde damit gerechnet, dass so ein Anschlag in Wien passieren könnte. Das ist naiv, ich weiß. Ich kann einfach nicht verstehen, wieso ein Mensch so etwas tun würde. Nachdem ich kurz davor selbst in einem sicheren und legalen Rahmen das Schießen ausprobiert habe, geht es mir noch weniger in den Kopf, wie jemand absichtlich auf Menschen zielen und abdrücken kann.

Am Ende bekommen wir unsere „Scheiben“, also die durchlöcherten Papierblätter und die Hülsen unserer ersten Schüsse. Falls wir beim Sportspießen mal was reißen, als Erinnerung an die Anfänge, sagt der Trainer.

Ich kann mit ziemlich großer Sicherheit sagen: Das wird nie passieren.

 

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