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Demokratie

Wie Weikendorf über einen Helden von Wien denkt, den es nicht bei sich wollte

Ganz Österreich feiert Osama Joda. Er hat beim Anschlag in Wien einen angeschossenen Polizisten gerettet. Ganz Österreich? Nein, in Weikendorf in Niederösterreich sind sich nicht alle sicher,  "was man davon halten soll".
Langgezogene Häuser ducken sich aneinander, in den Vorgärten fahren Mähroboter ihre Runden. An Eingangstüren sind Schilder angebracht mit Sprüchen wie „Fürchte dich nicht vor dem Hund, sondern vor dem Herrchen.“ Seit Jahrzehnten wird Weikendorf von der ÖVP regiert, 2019 ernannte die Gemeinde Wolfgang Sobotka zum Ehrenbürger. Die 2000-Einwohner-Gemeinde unterscheidet wenig von anderen niederösterreichischen Ortschaften. Auch einen modernen Kreisverkehr mit Solaranlage kann Weikendorf vorweisen.

Im Sommer 2019 schafft es die Marktgemeinde bei Gänserndorf aber ungewollt in die österreichischen Medien. Denn die palästinensische Familie Abu El Hosna will sich dort ein Haus kaufen und ansiedeln. Der Bürgermeister Johann Zimmermann lehnt das jedoch ab. In einer Stellungnahme an die Grundverkehrsbehörde begründet er das unter anderem damit, dass „die unterschiedlichen Kulturkreise der islamischen sowie der westlichen Welt in ihren Wertvorstellungen, Sitten und Gebräuchen weit auseinander liegen.“ Khalid Abu El Hosna (auch Khalid Joda), der 44-jährige Vater der Familie, geht daraufhin gerichtlich dagegen vor und darf schließlich das Haus kaufen.

„Dieses Land ist auch mein Land“

Heute muss er sich um die Medienauftritte seine Sohnes Osama Joda kümmern. Denn der 23-Jährige gilt seit Montag als Held. Während im Hintergrund Menschen an der Gedenkstätte am Wiener Schwedenplatz Kerzen anzünden und PolizistInnen mit gezogener Waffe patrouillieren, führt Osama Kamerateams herum.

Er zeigt ihnen wo er am Abend des 2. Novembers einem Polizisten das Leben gerettet hat und wo die Kugeln eingeschlagen sind. Er erklärt geduldig, dass er mitbekam, wie der Terrorist den Polizisten anschoss und er versuchte, dessen Blutung zu stoppen. Dass er ihn beruhigte und immer wieder erklärte, dass das gar nicht das Blut des Polizisten, sondern auch sein eigenes sei. 

„Ich will nicht berühmt werden durch das, was ich mache. Ich will den Leuten zeigen, dass ich hier hingehöre. Dieses Land ist auch mein Land“, sagt Osama. Er und sein Vater betonen immer wieder, dass sie froh sind, hier leben zu können. „Die Tat meines Sohnes ist auch eine Art von Dank an Österreich“, sagt Khalid, während er seinem Sohn zusieht, wie er mit drei älteren Damen ein Selfie macht.

„Weikendorf steht nicht für ganz Österreich“

Wenn er jetzt an Weikendorf zurückdenkt, wird er immer noch etwas wütend. „Entweder wir respektieren einander und lernen miteinander zu leben, oder wir erleben Konflikte und Gewalt. Aber Weikendorf steht nicht für ganz Österreich. Wir haben auch viel Solidarität erlebt“, sagt er. 

In Weikendorf winken die meisten Menschen ab, wenn sie auf die Vorfälle vor einem Jahr angesprochen werden. Sie sind immer noch genervt von der medialen Aufmerksamkeit, die sie bekommen haben. Eigentlich wollen sie nicht mehr darüber reden. Auch die Gemeinde lehnt einen Interviewtermin ab. Zu viel sei schon gesagt und geschrieben worden über den Vorfall, sagt ein Vertreter.

Und viele denken, dass ein falsches Bild von ihnen gezeichnet wurde. „Es ist völlig absurd uns als ausländerfeindlich zu bezeichnen. Schau dich um, würden sonst so viele Jugos, Türken und – das darf man ja fast nicht mehr sagen – N**** bei uns leben?“, sagt ein Mann, der sich später als Gemeinderat zu erkennen gibt. Er sagt die Partei nicht dazu, aber es stellt sich heraus, dass er von der SPÖ ist.

Er sitzt trotz der Kälte vor dem Stand einer Bäckerei – von Einheimischen nur „der Container“ genannt – bei Zigarette und Kaffee. Hier spielt sich seit Corona das öffentliche Leben im Ort ab. Die Geschichte der Familie Abu El Hosna habe man damals nur aus den Medien mitbekommen. Aber denen, da sind sich die Umstehenden einig, glauben sie sowieso nichts mehr.

Weikendorf hat kein Problem mit Ausländern

„Schauen Sie, wir haben ja keine Probleme mit den Ausländern, die hier sind“, sagt der Gemeinderat. Fast ein Fünftel der WeikendorferInnen haben laut ihm Migrationshintergrund. Die Aussagen des Bürgermeisters wurden damals eben aufgebauscht, so die einhellige Meinung. Und dann sprangen die Medien auf. „Mich wollte damals ein Fernsehteam interviewen. Während ich meine Meinung geäußert habe, hat der Interviewer zu seinem Kameramann gesagt, er soll aufhören zu filmen, das ist nicht das, was er braucht“, sagt der Gemeinderat.

Die Nachricht von Osamas Tat hat noch nicht wirklich die Runden gemacht. „Wenn das so stimmt: Hut ab. Das hätten sich nicht viele getraut“, sagt der Gemeinderat. Eine ältere Frau zuckt darauf angesprochen mit den Schultern. „Ich hab es heute von meiner Nichte erfahren. Was ich davon halten soll, weiß ich nicht“, sagt sie.

Grundsätzlich hätte sie kein Problem, wenn die Familie hergezogen wäre. „Aber, seien sie mir nicht böse, wir haben eh schon genug Schmarotzer in Österreich. Wir brauchen sicher nicht noch mehr davon“, sagt sie. Sie hätte damals irgendwo gelesen, dass der Vater kriminell sei. Beweise habe sie dafür aber keine. Und dass die Familie das Haus zwar gekauft aber dann weitervermietet hat, werfe auch kein gutes Licht auf sie. 

Osama Joda hofft, die Meinungen zu verändern

„Ich habe kleine Kinder und ich hatte Angst, dass die Leute ihnen vielleicht etwas antun könnten. Meine Töchter tragen Kopftuch und erleben ohnehin schon Anfeindungen“, sagt Khalid. Er glaubt nicht, dass die WeikendorferInnen schlechte Menschen seien. Aber radikales Denken wurde die letzten Jahre eben mehr. „ISIS vertritt den Islam aber genausowenig, wie die radikalen Parteien hier die westliche Welt“, sagt er. 

Sein Sohn Osama ist nicht wütend, wenn er an Weikendorf denkt. „Ich verstehe es, wie sie denken und wenn sie mich ablehnen. Sie haben eben Angst vor dem, was ihnen fremd ist“, sagt er. Aber er ist sich ganz sicher, dass die Menschen in Weikendorf jetzt, wo sie von dem lesen, was er getan hat, ihre Meinung ändern werden. 

KORREKTUR: Ein besorgter Leser hat uns auf einen faktischen Fehler hingewiesen, den wir am 6.11. um 15:00 korrigiert haben. Ursprünglich hat in der Geschichte gestanden, Weikendorf habe keinen Kreisverkehr. In Wahrheit hat die Gemeinde einen „sehr schönen“, wie der Leser meinte. Tatsächlich ist etwa einen Kilometer südlich des Ortskerns zwischen weiten Wiesen und einer Firma für Insektengitter ein Kreisverkehr mit einer Solaranlage in seiner Mitte. Wir bedauern den Fehler.“

 

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