„Wir werden alle einmal sterben“ – Zynismus als Prinzip der Politik

Joni Ernst ist Senatorin aus Iowa. Der Trump-Republikanerin ist jüngst etwas passiert – erfrischend und erschütternd zugleich. Sie war bei einem Bürgergespräch unverblümt ehrlich und zeigte offen, welcher Wert im Kern der faschistischen „Make America Great Again“-Bewegung (MAGA) steht: Zynismus.
Ernst wurde von Wähler:innen mit den bevorstehenden Kürzungen im US-Gesundheitswesen konfrontiert. Allen voran geht es um die Option auf eine staatliche Krankenversicherung, die Millionen Amerikaner:innen überhaupt erst eine Versicherung ermöglicht. Ernst hatte zuvor beteuert, keinen Kürzungen zuzustimmen. Als sie nun am Podium an diesem Tag herumeierte, rief eine Frau empört: „People are going to die!“ („Menschen werden sterben!“)
GOP Sen. Joni Ernst responds to voters saying that cutting Medicaid will kill them: “Well, we all are going to die.”
— Brian Tyler Cohen (@briantylercohen.bsky.social) May 30, 2025 at 4:27 PM
Ohne mit der Wimper zu zucken, antwortete Ernst: „We are all going to die“ (sinngemäße Übersetzung: „Wir werden alle einmal sterben“). Damit war das Thema für sie vom Tisch. Ja, meine Güte. Es ist nun mal so: Wir müssen alle einmal sterben. Die einen sterben halt an Altersschwäche, die anderen, weil die Regierung ihnen die Krankenversicherung nimmt und sie sich keinen Asthma-Inhalator mehr leisten können. Bei beiden kann man offenbar nichts machen.
Das ist blanker Zynismus. Dieser Zynismus zieht sich durch alle politischen Maßnahmen von Trumps Regierung. Angefangen bei der Gesundheitspolitik über die rechtswidrigen Abschiebungen durch ICE-Agenten bis hin zum Streichen der US-Entwicklungshilfe oder der Schulpolitik. Die Message dahinter ist klar: Manche haben eben Pech gehabt. Es reicht ganz einfach nicht für alle und man bemüht sich nicht einmal, einen halbwegs fairen Ausgleich zu schaffen.
Sozialdarwinismus als politische Leitidee
Die leitende Idee dahinter ist Sozialdarwinismus. Sie basiert auf den Ideen von Thomas Malthus, einem englischen Ökonom des 18. Jahrhunderts. Sein Vorschlag, dem zunehmenden Elend der armen Bevölkerung Londons zu begegnen, war, einfach nicht einzugreifen. Pandemien und Hungersnöte würden das nötige Bevölkerungsgleichgewicht herstellen, der Staat sollte da gar nichts machen oder verhindern.
Die Folgen dieses Vorschlags sind klar: Hohe Säuglings-, Kinder- und Müttersterblichkeit und ein nie endendes Elend. Auch Malthus Grundgedanke war, dass manche eben Pech gehabt haben. Da könne man nicht nur nichts machen, sondern man sollte es auch gar nicht. Dieser Malthusianismus hat seinen Eingang sowohl in den Kapitalismus, als auch ins völkische Denken des 19. und 20. Jahrhunderts gefunden.
Besonders im Zusammenhang mit Gesundheitspolitik führt er sehr schnell zu eugenischer Politik. Denn die Leidtragenden sind jene, die es sich nicht richten können – also jene, die kein Vermögen und kein hohes Einkommen haben. Ein Staat, der sterben lässt, lässt immer die Armen als Erstes sterben. Global, aber eben auch innerhalb der eigenen Gesellschaft.
Zynismus wird okay
Das funktioniert nur, wenn man Zynismus zum erstrebenswerten Wert ernennt. Zynismus bedeutet immer eine Gleichgültigkeit zum Leben an sich. Zynismus regiert etwa dann, wenn man es als unerheblich empfindet, ob Menschen sterben oder nicht. Diesen gemeinsamen Wert teilen Neoliberalismus und Faschismus – mit ihrer gemeinsamen Wurzel im Sozialdarwinismus. Auch in der Pandemie erlebten wir so ein Denken immer wieder, wenn Maßnahmen ausblieben, weil Erkrankungen und Todesfälle als Alternative ja eh vor allem Menschen mit Vorerkrankung betroffen hätten. Ist halt Pech.
Wer im Fall Ernst glaubt, einer Politikerin sei hier kurz unbeabsichtigt etwas Blödes entkommen. Sie selbst hat dann noch eins draufgelegt. Am nächsten Tag spazierte sie munter über einen Friedhof und nahm ein „Entschuldigungsvideo“ auf. Darin machte sie sich aber über die entsetzten Reaktionen lustig.
Am Schluss hatte sie dann noch einen Tipp: Um ewiges Leben zu erhalten, müsse man Jesus Christus akzeptieren. Auch das zeigt uns die Geschichte: Es gibt keine noch so zynische Haltung, die nicht religiös verbrämt werden könnte. Thomas Malthus war ja ebenfalls nicht nur Ökonom, sondern auch Pastor.