print print
favorites-circle favorites-circle
favorites-circle-full favorites-circle-full
Arbeitswelt

Zumutbarkeit beim Jobwechsel: Was erlaubt ist und wo die Probleme liegen

Ein Mann trägt einen Umzugskarton.
Wenn sie zumutbar sind, muss man für Jobs zusammenpacken - oder einige Wochen ohne Geld auskommen.
Immer wieder wird das Thema neu aufgekocht: In Österreich gebe es zu viele Arbeitslose in einer Region, dafür zu viele Jobs in einer anderen. Arbeitslose Menschen sollen ihren Wohnsitz ändern, wenn die Wirtschaft ruft. Die Zumutbarkeit bei Arbeitslosen lässt dabei schon einiges zu. Arbeitsminister Kocher will noch eins drauflegen. Wir erklären, was bereits erlaubt ist, und warum Sanktionen der falsche Weg sind.

Wann muss ich für einen Job meinen Wohnort wechseln?

Dass arbeitslose Menschen etwa von Wien nach Tirol geschickt werden, ist jetzt schon unter dem Stichwort “überregionale Vermittlung” möglich. Dazu müssen gewisse Bedingungen – die “Zumutbarkeitsbestimmungen” – erfüllt werden. “Der Arbeitgeber muss eine ortsübliche Unterkunft zur Verfügung stellen. Außerdem gelten Berufsschutz und Entgeltschutz”, sagt Simon Theurl, Arbeitsmarktexperte der Arbeiterkammer Wien. 

Das heißt: In den ersten 100 Tagen der Arbeitslosigkeit darf man nicht in ein anderes Berufsfeld vermittelt werden – sofern es einem dadurch erschwert wird, in Zukunft wieder in seinem alten Feld tätig zu sein. Zusätzlich muss die Bezahlung mindestens 80 Prozent der letzten Bemessungsgrundlage des Arbeitslosengeldes betragen.

Auf das soziale Umfeld wird nicht geachtet. Einzige Ausnahme: Betreuungspflichten gegenüber Kindern und Partner:innen dürfen nicht beeinträchtigt werden. “Wir hatten aber auch schon den Fall, dass ein Mann vermittelt wurde, dessen Frau schwanger war”, so Theurl.

Wird die neue Arbeit als zumutbar angesehen, musst du deine Koffer packen.
 

Kann mich das AMS zwingen, einen zumutbaren Job anzunehmen?

Zwingen kann einen das AMS nicht – sehr wohl aber bestrafen. Wer einen zumutbaren Job nicht annimmt, bekommt für sechs Wochen kein Arbeitslosengeld. Bei Wiederholung sind es acht Wochen. Dieser Zeitraum wird außerdem von der Gesamtzeit abgezogen, für die man das Arbeitslosengeld erhalten könnte.
 

Wie lang darf mein Arbeitsweg sein, damit er noch zumutbar sind?

Überregionale Vermittlung heißt nicht immer, dass Arbeitslose ihren Wohnsitz verlegen müssen. Auch Pendeln fällt darunter. Ein Arbeitsweg, der nicht mehr als 2 Stunden für den Hin- und Rückweg beträgt, ist bei einer Vollzeitstelle zumutbar. Ein Job in St. Pölten, wenn man in Wien am Gürtel wohnt, könnte also als “zumutbar” gelten. Bei Teilzeit verringert sich das auf 1,5 Stunden. 
 

Wie will Arbeitsminister Kocher (ÖVP) Arbeitslose zum Umzug bewegen?

Martin Kocher hat Ende Juni neue Zielvorgaben für das AMS präsentiert. Ein zentraler Punkt: Arbeitslose sollen schärfer sanktioniert werden, damit ihre Mobilitätsbereitschaft erhöht wird. Das AMS soll in der Beratung mehr Druck machen. Sprich: Die Daumenschrauben werden weiter angezogen. Arbeitslose sollen also häufiger vor die Wahl gestellt werden, entweder ihren Lebensmittelpunkt zu wechseln oder den Verlust ihres Einkommens zu riskieren.

Mehr Sanktionen hält Theurl nicht für den richtigen Weg: “Es kommt danach vielleicht zu einer leicht erhöhten Arbeitsaufnahme. Das geht aber auch mit weniger stabilen und schlechter bezahlten Jobs einher.” Am Ende würden die Menschen erst recht wieder beim AMS landen und langfristig im Niedriglohnsektor bleiben.
 

Warum sind Menschen in anderen Ländern so viel mobiler?

In den USA packen Menschen regelmäßig ihr Hab und Gut und ziehen um. Warum also nicht auch in Österreich?

Was den Arbeitsmarkt und vor allem Arbeitsrechte betrifft, sollte man mit USA-Vergleichen grundsätzlich vorsichtig sein. Jobmobilität in den USA ist seit 2000 relativ stabil und liege leicht über jener Österreich, so Theurl. Aber dort herrsche auch eine andere Kultur der Mobilitätsbereitschaft. Es ist vielleicht auch ein Unterschied bei der Attraktivität einer Arbeit, ob man dafür von New York nach San Francisco für einen Job umziehen kann, oder ob man von Wien in eine Tiroler Kleingemeinde wechseln müsste (oder umgekehrt).

Und so unbeweglich sind die Menschen in Österreich nicht. Laut Berechnungen von Theurl fänden 13 Prozent aller Beschäftigungswechsel in Österreich überregional statt. 
 

Warum sollte man Arbeitslose nicht einfach auf freie Jobs in ganz Österreich aufteilen?

Die Rechnung klingt verlockend einfach. Auf der einen Seite zu viele Arbeitslose, auf der anderen Betriebe, die händeringend nach Personal suchen.

Doch man müsse diese Unterschiede genauer betrachten, so Theurl. Bei der überregionalen Vermittlung würden nämlich vor allem die Wünsche der Unternehmen erfüllt. Dass im Westen Österreichs viele Arbeitskräfte fehlen, hat vor allem einen Grund: Gastronomie und Tourismus. Ein Viertel aller offenen Stellen in Tirol stammten im Juni 2023 aus diesem Bereich.

Diese Jobs sind vielfach niedrig bezahlt und haben schlechte Arbeitsbedingungen. “Es muss nicht sein, dass sich Saisontourismusbetriebe auf Kosten schlechter Arbeitsbedingungen und Löhne gegenseitig unterbieten. Viel wichtiger wäre es doch, den Arbeitskräftebedarf in entscheidenden Bereichen wie der Pflege zu erfüllen”, so Theurl.

Es solle nicht darum gehen, Unternehmen um jeden Preis zu unterstützen. Man müsse vielmehr Menschen ausrüsten, damit sie in qualitativ hochwertigere Jobs kommen. Um offene Stellen zu besetzen, dürfe man nicht nur einseitig bei Arbeitskräften ansetzen: “Politik und Unternehmen müssen sich überlegen, wie die Arbeitsplätze in der Region attraktiver gemacht und Rahmenbedingungen wie Kinderbetreuung geschaffen werden können”, sagt Theurl. 

    Kommentare 0 Kommentare
    Kommentar hinzufügen
    Es gibt noch keine Kommentare zu diesem Beitrag!