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Gesundheit

Warum du möglicherweise weniger Therapiesprache verwenden solltest

Warum du möglicherweise weniger Therapiesprache verwenden solltest
Redest du gern über deine “narzisstische” Ex oder hat dich kürzlich ein Film “traumatisiert”? Dann gehörst du zu den Vielen, die Begriffe aus der Psychotherapie im Alltag verwenden. Therapiesprache (oder “Therapy Speak”) liegt im Trend. Dank wachsendem Bewusstsein über psychischen Erkrankungen - aber es hat auch negative Auswirkungen.

Was ist Therapiesprache?

Therapiesprache (oder Therapiesprech/Therapy Speak) bezeichnet den Gebrauch von psychotherapeutischen Fachbegriffen in der alltäglichen, “unwissenschaftlichen” Sprache. Ursprünglich dafür entwickelt, komplexe psychologische und emotionale Zustände zu beschreiben, sind Begriffe wie „Trigger“,  „Narzisst“ oder „Gaslighting“ inzwischen Schlagwörter am Mittagstisch mit Kolleg:innen oder mit dem Gspusi auf Dating-Apps geworden. 

Warum lieben wir Therapiesprache?

In einer Zeit wachsender psychischer Belastungen durch globale Krisen ist es nachvollziehbar, negative Gefühle und Zustände einordnen zu wollen. “Wir versuchen mit diesen Begriffen zu verstehen und zu benennen, was eigentlich in uns los ist”, sagt Gisela Hajek vom psychotherapeutischen Bereitschaftsdienst Wien. Diagnosen und Symptome schaffen bei schwer auszuhaltenden Leidenszuständen Orientierung, Klarheit und Abgrenzung. 

Therapiesprache ist laut Hajek aber auch eine Folge der zunehmenden Auseinandersetzung mit psychischer Gesundheit. Psychologische Inhalte sind gerade über soziale Medien und Podcasts enorm populär geworden. Influencer:innen und Therapeut:innen mit großer Gefolgschaft auf Instagram und Co. verbreiten vereinfachte psychologische Erkenntnisse. Mittlerweile glauben wir dadurch alle, Expert:innen der Psyche zu sein und besitzen das Vokabular, um darüber zu reden.

Therapy Speak: warum Begriffe wie Trauma, Trigger oder toxisch mit Vorsicht zu verwenden sind

Dass wir unsere eigene Psyche besser verstehen, klingt zunächst nach einer positiven Entwicklung. Doch wenn Laien mit wissenschaftlichen Fachbegriffen um sich werfen, birgt das naturgemäß ein Risiko. Die Soziologin Laura Wiesböck schreibt in ihrem Buch “Digitale Diagnosen – Psychische Gesundheit als Social Media Trend”, dass sich “immer mehr Social-Media-Nutzer:innen selbst eine Diagnose stellen, ohne medizinisches Fachpersonal zu konsultieren.” Auf Tiktok habe der Hashtag #selfdiagnosis bereits über 20 Millionen Views. 

Leichtfertige Verwendung von Therapiesprache führt dazu, dass Diagnose-Begriffe immer mehr an Bedeutung verlieren. Für Gisela Hajek zeigt diese Tendenz zunächst etwas Menschliches: „Wenn wir unser Leid als echte Erkrankung einordnen, fühlen wir uns weniger schuldig und verantwortlich dafür.“ In einer kapitalistischen Gesellschaft, in der psychisches Leid immer noch als Schwäche gedeutet wird, wirkt das entlastend. 

Laura Wiesböck schreibt, dass “die selbstdiagnostische Online-Kultur psychische Krankheiten zu einem identitätsstiftenden Lebensgefühl mit Zugehörigkeitseffekt” mache. Dieser Trend nach dem Motto “geteiltes Leid ist halbes Leid” verharmlost allerdings das Leid derer, die tatsächlich an diagnostizierten psychischen Erkrankungen und deren schwerwiegenden Symptomen leiden. 

Außerdem haben wir uns die durchaus toxische Marotte angewöhnt, uns nicht nur uns selbst, sondern auch unseren Mitmenschen gern den Diagnose-Stempel aufzudrücken. Laura Wiesböck schreibt, dass wir alltägliche Konflikte zunehmend “pathologisieren”. Das bedeutet, dass wir unserem Gegenüber im Konflikt mit einer Diagnose etwas medizinisch Krankhaftes zusprechen. Als Beispiel dient der Begriff „Narzisst“: Nicht jeder egoistisch handelnde Mensch leidet an einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung. Auch wer schnell „Gaslighting“ und “toxisch” ruft, läuft Gefahr, natürliche Konflikte nicht mehr abwägend und selbstreflektiert zu lösen.

Warum Therapiesprache klassistisch ist

Ein weiteres Problem von Therapiesprache liegt in ihrem ausgrenzenden Charakter. Wer psychologische Begriffe selbstverständlich einsetzt, schließt dabei Menschen aus, die keinen Zugang zu therapeutischen Angeboten haben oder in einem Umfeld leben, in denen psychische Gesundheit noch ein Tabuthema ist. 

Denn wer in Österreich nicht monatelang auf einen kassenfinanzierten Therapieplatz warten will, muss tief in die Tasche greifen. Viele können sich Therapie nicht leisten und haben dementsprechend auch weniger Know-How, wenn es um therapeutische Begriffe geht. 

Der Diagnose-Trend folgt Laura Wiesböck zufolge auch einer neoliberalen Logik. Anstatt für gerechtere soziale Verhältnisse zu sorgen, die psychischen Erkrankungen vorbeugen, werden Einzelpersonen selbst für ihre – teils sehr teure – therapeutische Heilung und verantwortlich gemacht. “Heilung” bedeutet dabei vor allem, wieder arbeitsfähig zu sein. Das lenkt von einigen Ursachen ab, warum Menschen sich überhaupt psychisch krank fühlen können: schlechte Arbeitsbedingungen, Diskriminierung oder Kürzung von Sozialleistungen. 

Die Dosis macht das Gift: Warum Therapiesprache auch Chancen eröffnet

Psychotherapeutin Gisela Hajek kann “Therapy Speak” allerdings auch positive Seiten abgewinnen. Oft ist sie erstaunt, wie präzise und bedacht sich Klient:innen in ihrer Gefühlswelt orientieren können. Das zeuge von einem Lernprozess über die eigene Psyche. Es fordert Psychotherapeut:innen auch heraus, neue, kreative Lösungsansätze zu finden. “Immerhin fällt für uns der Überraschungseffekt weg, wenn sich Klient:innen so gut auskennen”, so Hajek. Deswegen sei es auch nicht produktiv, ihnen ihre Vermutungen abzusprechen und auszureden. “Ich muss als Therapeutin eher fragen, warum sich die Menschen so fühlen, dass sie sich überhaupt in solche Krankheitsbilder einordnen.” Im besten Fall hilft Therapiesprache dabei, konstruktive Gespräche über Grenzen, Bedürfnisse und emotionale Verletzungen zu führen. 

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  • Ichwolltichwaereinhuhn
    30.06.2025
    Wie gesund oder und wie krank ist die Gesellschaft, bzw wie krank und oder wie gesund ist ein psychisch kranker ? Dem Artikel kann ich vieles abgewinnen. Allerdings schildere deine Angstsymptome mehreren Psychiatern, so bist du depressiv, bipolar, schizophren (weil die Leute über dich reden - was du glaubst) , hast eine generalisierte Angststörung oder eine Persönlichkeitsstörung. Serotonin im Bauch wird noch vielfach negiert , ebenso die menschliche Ganzheitlichkeit bzw die Persönlichkeitsteile. Die Behandlung bzw das Nachreifen-verhelfen der Persönlichkeit ist im kommen....gut so !!!!
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  • hmmmmm
    30.06.2025
    "Außerdem haben wir uns die durchaus toxische Marotte angewöhnt, " war das jetzt ironisch gemeint im Kontext von dem Artikel? Den Passus man könnte Leute ausschließen die das Vokabular nicht haben weil sie noch keinen Therapieplatz gefunden haben kommt mir etwas seltsam vor, wenn doch die Idee ist dass diese Ausdrucksweise in Online Artikeln und Influencervideos vorkommt. Ich hätte eher Angst dass Leute die selbstdiagnostizieren die Warteschlange für Leute die klinische Probleme haben verlängern.
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