Teilzeit-Debatte: Worum es wirklich geht

Am 7. August markiert der Equal Pension Day jene unsichtbare Kante, an der Frauen statistisch in die Gratis‑Zone kippen. Ihre Pensionen liegen heuer um beinahe 40 Prozent unter denen der Männer. Einer der Gründe für diese Lücke: dass mehr als jede zweite erwerbstätige Frau in Österreich Teilzeit arbeitet, während nur knapp jeder siebente Mann seine Arbeitszeit verkürzt.
Doch wer meint, die hohe Teilzeitquote in Österreich – und in Folge die winzigen Frauenpensionen – seien das Resultat individueller Arbeitszeitentscheidungen, der irrt. Die Pensionslücke ist nicht bloß Folge privater Vorlieben. Sie ist das Resultat struktureller Schieflagen.
Davon will die Politik aber nichts wissen. Sie erklärt Teilzeit nicht etwa zum Symptom, sondern zur Ursache der Probleme und darüber hinaus zur Sünde. Geht es um Teilzeitarbeit, greift das politische Personal rasch zur Moralkeule. Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl‑Leitner verkündete kürzlich erst, Teilzeitarbeit sei “asozial”, wenn ihr nicht Kinder‑ oder Pflegepflichten zugrunde liegen. Ein gesunder Mann oder eine gesunde Frau, die Teilzeit arbeiten, das sei asozial, sagte sie im Jänner.
Zuletzt sekundierte Wirtschaftsminister Wolfgang Hattmannsdorfer. Teilzeitarbeit sei “zu attraktiv”, gefährde „Wohlstand und Sozialstaat“ und brauche einen “Wake‑up‑Call” zurück zur Vollzeit, insbesondere gegen die vermeintliche “Lifestyle‑Teilzeit”. Schon 2023 schlug der damalige Arbeitsminister Martin Kocher vor, Teilzeitbeschäftigten gekürzte Sozialleistungen zu verordnen. Die Stoßrichtung ist stets dieselbe: Wer weniger Stunden verkauft, sündigt nicht nur gegen betriebswirtschaftliche Kennziffern, sondern gegen die Gemeinschaft.
Wir leisten trotz Teilzeit immer mehr
Doch der ökonomische Boden für diese Empörung bröckelt bei näherem Hinsehen. Jene Berechnungen, die einen Rückgang der “Produktivität pro Beschäftigtem” illustrieren sollen – und im Boulevard dankbar empört aufgegriffen werden, addieren schlicht Köpfe – und zählen die halbe Stelle als ganze. Die amtliche Statistik zeigt hingegen, dass die Wertschöpfung pro geleisteter Stunde von 2000 bis 2020 real um durchschnittlich 1,1 Prozent jährlich gestiegen ist.
Der Ökonom Mattias Muckenhuber hat es in einem viel zitierten Bluesky‑Thread auf den Punkt gebracht. Weder sinkt die Produktivität, noch ist Teilzeit schuld: entscheidend ist die Wertschöpfung je Stunde, und die legt zu. Die Moralpredigt verwechselt also Maßstab mit Messobjekt – oder wählt ihn absichtsvoll falsch.
Teilzeit kein „Lifestyle“, sondern Zwang
Wer genau hinsieht, erkennt zudem, dass Teilzeit in vielen Berufen weniger mit Work-Life-Balance zu tun hat als mit strukturellen Zwängen. Auswertungen des Momentum Instituts belegen, dass Unternehmen gerade in den von Frauen dominierten Branchen wie Pflege, Handel oder Gastronomie überdurchschnittlich viele offene Stellen ausschließlich in Teilzeit ausschreiben. Und knapp 153. 000 Teilzeitbeschäftigte leisten bereits heute regelmäßig Mehrstunden.
Ein gesetzlicher Rechtsanspruch, das Stundenausmaß auf Vollzeit auszudehnen, wäre wichtig. Doch jene politischen Kräfte, die fest auf Teilzeit-Beschäftigte hinhauen, schweigen zu Lösungen im Sinne der Arbeitnehmer:innen. Teilzeit offenbart weniger eine Krise der Leistungsbereitschaft als eine Krise der Verteilung von Zeit, Sorge und Macht. Wer Leute, die Teilzeit arbeiten, moralisch verurteilt, verrät vor allem eines: Die Furcht vor Arbeitnehmer:innen, die ihre Stunden, und damit ihr Leben, nicht länger nach den Bedürfnissen der Chefetage ausrichten.
Teilzeit-Bashing ist Auftakt zu Kollektivvertrags-Verhandlungen
Darum das schrille Bashing. Warum genau jetzt? Die Antwort liegt im Kalender der Macht. Im Herbst beginnen die Kollektivvertragsverhandlungen, deren Beginn die Metallindustrie traditionell markiert. Wer höhere Lohnabschlüsse fürchtet, baut früh das Bild einer unproduktiven, weil nur halbtags tätigen Belegschaft auf.
Zugleich melden laut Wirtschaftskammer fast vier von fünf Unternehmen einen spürbaren Arbeits‑ und Fachkräftemangel. Historisch war genau eine solche Knappheit der Moment, in dem Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Arbeitszeitverkürzungen durchsetzen konnten, etwa die 40‑Stunden‑Woche in den 1970er Jahren. Heute droht diese Verschiebung der Verhandlungsmacht erneut, das moralische Donnerwetter soll uns präventiv disziplinieren.
Gerechte Arbeit braucht Lösungen
Was folgt daraus? Eine Politik, die wirklich produktive, gerechte und zukunftsfeste Arbeit anstrebt, müsste weniger an der Arbeitsmoral feilen als an den Strukturen. Ausgebaute, beitragsfreie ganztägige Kindergärten und eine landesweite Pflegeinfrastruktur würde den allermeisten Frauen die Wahl zwischen Voll‑ und Teilzeit überhaupt erst eröffnen und die Pensionslücke schließen helfen.
Ein kollektiver Schritt hin zu kürzeren Normalarbeitszeiten würde Produktivitätsgewinne sozialisieren, statt sie in Mehr- und Überstunden zu verglühen. Und ein Rechtsanspruch, von unfreiwilliger Teilzeit auf Vollzeit zu wechseln, gäbe jenen, die mehr Stunden wollen oder dringend brauchen, ein wirkungsvolles Werkzeug in die Hand.