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Arbeitswelt

Teilzeit ist nicht „asozial“

Teilzeit ist nicht „asozial“
Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner beim Europa-Forum Wachau 2018. Foto: Wikimedia Commons/Karl Gruber / CC BY-SA 4.0 / creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/
Wer freiwillig Teilzeit arbeitet sei "asozial", sagt Niederösterreichs Landeshauptfrau und ehemalige Obfrau des Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmerbundes Johanna Mikl-Leitner. Ökonom Jakob Sturn kommentiert, warum das nicht stimmt.

Am Wochenende meinte Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner, wer freiwillig einer Teilzeitarbeit nachgehe, sei „asozial“. Damit ist die Debatte um die Arbeitszeit um eine Kuriosität reicher. Bereits im Vorjahr ließ ihr Parteikollege Arbeitsminister Martin Kocher mit der Forderung nach einer Kürzung der Sozialleistungen für alle Teilzeitbeschäftigten aufhorchen. Tirols Tourismuslandesrat Mario Gerber, ebenfalls ein Parteikollege, sagte im ORF in Anlehnung an die Work-Life-Balance: „Wir brauchen mehr Work und weniger Life“.  

Seit Jahren macht die Volkspartei Stimmung gegen die Selbstbestimmtheit von Arbeitnehmer:innen, obwohl diese gerade in konservativen wirtschaftsliberalen Kreisen ein hohes Gut sein müsste. Sind es doch gerade diese Strömungen, die ein freies, selbstbestimmtes Individuum als Grundlage ihrer Politik sehen. 


Der Mythos der Teilzeitidylle 

Zuerst einmal gilt es mit einigen Mythen aufzuräumen. Von einer selbstbestimmten Arbeitszeitreduktion können die meisten Arbeitnehmer:innen in Österreich nur träumen. Weniger Wochenstunden bedeuten weniger Lohn, das können sich gerade nach den Reallohnverlusten in der Inflationskrise nur Wohlhabende leisten.  

Das oft transportierte Bild, dass sich junge Teilzeitangestellte nachmittags die Sonne auf den Bauch scheinen lassen, ist ohnehin Unsinn. Für viele beginnt dann erst der richtige Stress. Drei Viertel der 1,4 Millionen Teilzeitbeschäftigten sind unfreiwillig in Teilzeit. Das ist die Mutter im 30-Stunden Job, deren Kindergarten täglich um 14:00 Uhr schließt oder der Student, der nebenher 15 Stunden kellnert. Und selbst wenn wir zwischen unfreiwilliger und freiwilliger Teilzeit differenzieren: Das transportierte Bild ist immer noch falsch. Die höchste Teilzeitquote weisen ältere Beschäftigte über 60 auf, die am Ende ihres Arbeitslebens – wohlverdient – etwas kürzertreten. Diese Menschen pauschal als „asozial“ zu bezeichnen ist Unsinn.  

Es mangelt in unserem Sozialsystem auch nicht an Anreizen für mehr Lohn und damit mehr Arbeitszeit: Neben dem höheren Lohn haben Vollzeitbeschäftigte bei allen einkommensabhängigen Sozial- und Versicherungsleistungen einen Vorteil. Sie haben Anspruch auf eine höhere Pension, bekommen mehr Arbeitslosengeld beziehungsweise Notstandshilfe und haben Anspruch auf ein höheres Kinderbetreuungsgeld.  

Sozialversicherungssystem auch anders finanzierbar 

Und selbst wenn wir das Mikroskop auspacken und den Fokus auf jene jungen, gut gebildeten Arbeitnehmer:innen richten, die ihren Lebenssinn nicht in ihrer Erwerbsarbeit, sondern in Familie, Freizeit oder dem Engagieren in ehrenamtlichen Vereinen sehen. Was soll daran verkehrt sein?  

Das oftmals ins Treffen geführte Argument, unser Sozialstaat sei mit weniger Arbeit nicht finanzierbar, ist leicht zu entkräften. Wir können unseren Sozialstaat auch weniger durch den Faktor Arbeit finanzieren und dafür Unternehmensgewinne und Vermögen stärker heranziehen.  

Dann gäbe es eine Welt, in der sich Mutter und Vater die Erziehung ihres Kindes gerecht aufteilen können, weil beide genug Zeit dafür haben. Eine Welt, in der neben Job, Familie und Freund:innen auch noch Zeit für ehrenamtliche Aktivitäten, Sport und mehr Urlaub bleibt und trotzdem keine Einbußen im Sozialversicherungssystem gemacht werden müssen, weil wir von Millionenerb:innen einen fairen Beitrag einheben. 

Diese Welt ist in den Köpfen mancher Konservativer offenbar ein Schreckgespenst. Dass einer dieser Köpfe die ehemalige Obfrau des Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmerbundes ist, irritiert dann doch.   

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    Kommentare 7 Kommentare
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  • Brigitte Pellar
    05.02.2025
    Hier werden, bis auf die ehrenamtliche Tätigkeit, nur individuelle Vorteile von kürzerer Arbeitszeit. Und nicht nur hier, sondern in den meisten Argumenten pro wird ein entscheidendes gerne vergessen, das schon beim Kamof um den Achtstundentag angeführten wurde: ausreichend Zeit für Beteiligung an demokratischen Mitwirkungs- und Entscheidungsprozessen.
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  • Stephan
    31.01.2025
    Im Allgemeinen stimme ich diesem Bericht zu. Nur funktioniert das nicht immer unter Kolleg*innen. Wenn zwei Kolleg*innen (ohne Care-Plicht) Teilzeit arbeiten und das an 3,5 Tagen in der Woche bleibt in stressigen Zeiten alles and den Vollzeitmitarbeitern*innen hängen. Bei uns ist daher die Beschwerde von den Vollzeitmitarbeitern*innen gekommen. Der Chef hat das recht elegant gelöst: Großzügige Überstundenpauschale für Vollzeitmitarbeitern*innen und daher ein Gehaltsunterschied der größer ist, wie die Differenz der sich durch die unterschiedliche Arbeitszeit ergeben würde. Das hat alle bis auf eine Person befriedigt die dann gegangen ist und sich lustigerweise ein paar Monate später zurück beworben hat.
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    • Nela007
      31.01.2025
      Hallo Stephan. Natürlich kommt es auf eine bestimmte Situation an. Ich wollte nur klarstellen, dass Teilzeitarbeit nicht automatisch immer heißt, dass es keine Mehrarbeit (Überstunden) gibt. Mein letzter Satz bezog sich allgemein im Bezug auf den Kommentar. Natürlich sind nicht alle Unternehmer automatisch reich. Man könnte es auch umformulieren „die Gewinne der Unternehmen“.
    • Nela007
      31.01.2025
      Hallo Stephan. Natürlich kommt es auf die jeweiligen Situation an. Ich wollte nur klarstellen, dass es nicht automatisch bei Teilzeit keine Mehrarbeit(Überstunden) gibt. Zudem habe ich nie behauptet ihr Chef wäre reich. Mein letzter Satz was allgemein gesprochen im Bezug auf den Artikel und nicht auf Einzelfälle. Man könnte es auch umformulieren auf „Die Gewinne der Unternehmen“ . Es gibt immer Ausnahmen , aber tendenziell werden Mehrgewinne selten an Mitarbeitern weitergegeben, Defizite aber schon.
    • Stephan
      31.01.2025
      Hallo Nela007, Wenn jemand abwechselnd 3 bzw. 4 Tage (durchschnittlich 3,5 Tage) arbeitet kann sie/er nicht mithelfen an stressigen Tagen weil nicht anwesend. Jetzt haben wir noch eine Teilzeitkraft und das geht ganz gut. Niemand sagt, dass du asozial bist allerdings denkst du in Klischees. Unser Chef zum Beispiel ist alles andere wie reich und hat langjährige Mitarbeiter*innen.
    • Nela007
      31.01.2025
      Also nur, weil jemand Teilzeit arbeitet, heißt es nicht automatisch, dass derjenige in stressigen Zeiten nicht auch mehr arbeitet. Zudem gibt es Studien, dass Menschen bei geringerer Arbeitszeit leistungsfähiger sind. Daher denke ich, dass tendenziell (ist natürlich von der jeweiligen Person abhängig) zwei 20 Stunden Kräfte mehr Arbeitspensum schaffen als eine 40 Stunden Kraft. Zudem haben Teilzeit Kräfte tendenziell weniger Fehlzeiten. Auch habe Vollzeit gearbeitet und bin dann wegen Kind in Teilzeit gewechselt. Ganz ehrlich, sofern es finanziell nicht unbedingt notwendig ist würde ich nie wieder Vollzeit arbeiten. Bin jetzt viel gesünder, zufriedener und in der Arbeit motivierter. Von mir aus bin ich dadurch asozial. Aber mal ehrlich, ist es nicht in Wahrheit eher asozial, dass sowohl die Sozialleistungen für die Ärmeren , als auch die Gewinne für die Reichen von den Arbeitnehmern finanziert bzw. erwirtschaftet werden sollen?
  • soki3456
    31.01.2025
    Gut geschrieben! Wäre höchst richtig die Finanzierung des Sozialstaates Richtung Vermögen zu verschieben. Soziales Engagement in Vereinen braucht Zeit ist aber für das Zusammenleben höchst wichtig. Es würden tolle Initiativen wachsen. Beides Zusammen würde die Auslastung des Krankenbehandlungssystems reduzieren, denn je ungleicher eine Gesellschaft desto kranker ist sie, und soziale Eingebundenheit ist salutogen. Es würde erst langsam wirksam werden, muss man aber dazu sagen, dafür sehr breit.
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