Teilzeit ist nicht „asozial“

Am Wochenende meinte Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner, wer freiwillig einer Teilzeitarbeit nachgehe, sei „asozial“. Damit ist die Debatte um die Arbeitszeit um eine Kuriosität reicher. Bereits im Vorjahr ließ ihr Parteikollege Arbeitsminister Martin Kocher mit der Forderung nach einer Kürzung der Sozialleistungen für alle Teilzeitbeschäftigten aufhorchen. Tirols Tourismuslandesrat Mario Gerber, ebenfalls ein Parteikollege, sagte im ORF in Anlehnung an die Work-Life-Balance: „Wir brauchen mehr Work und weniger Life“.
Seit Jahren macht die Volkspartei Stimmung gegen die Selbstbestimmtheit von Arbeitnehmer:innen, obwohl diese gerade in konservativen wirtschaftsliberalen Kreisen ein hohes Gut sein müsste. Sind es doch gerade diese Strömungen, die ein freies, selbstbestimmtes Individuum als Grundlage ihrer Politik sehen.
Der Mythos der Teilzeitidylle
Zuerst einmal gilt es mit einigen Mythen aufzuräumen. Von einer selbstbestimmten Arbeitszeitreduktion können die meisten Arbeitnehmer:innen in Österreich nur träumen. Weniger Wochenstunden bedeuten weniger Lohn, das können sich gerade nach den Reallohnverlusten in der Inflationskrise nur Wohlhabende leisten.
Das oft transportierte Bild, dass sich junge Teilzeitangestellte nachmittags die Sonne auf den Bauch scheinen lassen, ist ohnehin Unsinn. Für viele beginnt dann erst der richtige Stress. Drei Viertel der 1,4 Millionen Teilzeitbeschäftigten sind unfreiwillig in Teilzeit. Das ist die Mutter im 30-Stunden Job, deren Kindergarten täglich um 14:00 Uhr schließt oder der Student, der nebenher 15 Stunden kellnert. Und selbst wenn wir zwischen unfreiwilliger und freiwilliger Teilzeit differenzieren: Das transportierte Bild ist immer noch falsch. Die höchste Teilzeitquote weisen ältere Beschäftigte über 60 auf, die am Ende ihres Arbeitslebens – wohlverdient – etwas kürzertreten. Diese Menschen pauschal als „asozial“ zu bezeichnen ist Unsinn.
Es mangelt in unserem Sozialsystem auch nicht an Anreizen für mehr Lohn und damit mehr Arbeitszeit: Neben dem höheren Lohn haben Vollzeitbeschäftigte bei allen einkommensabhängigen Sozial- und Versicherungsleistungen einen Vorteil. Sie haben Anspruch auf eine höhere Pension, bekommen mehr Arbeitslosengeld beziehungsweise Notstandshilfe und haben Anspruch auf ein höheres Kinderbetreuungsgeld.
Sozialversicherungssystem auch anders finanzierbar
Und selbst wenn wir das Mikroskop auspacken und den Fokus auf jene jungen, gut gebildeten Arbeitnehmer:innen richten, die ihren Lebenssinn nicht in ihrer Erwerbsarbeit, sondern in Familie, Freizeit oder dem Engagieren in ehrenamtlichen Vereinen sehen. Was soll daran verkehrt sein?
Das oftmals ins Treffen geführte Argument, unser Sozialstaat sei mit weniger Arbeit nicht finanzierbar, ist leicht zu entkräften. Wir können unseren Sozialstaat auch weniger durch den Faktor Arbeit finanzieren und dafür Unternehmensgewinne und Vermögen stärker heranziehen.
Dann gäbe es eine Welt, in der sich Mutter und Vater die Erziehung ihres Kindes gerecht aufteilen können, weil beide genug Zeit dafür haben. Eine Welt, in der neben Job, Familie und Freund:innen auch noch Zeit für ehrenamtliche Aktivitäten, Sport und mehr Urlaub bleibt und trotzdem keine Einbußen im Sozialversicherungssystem gemacht werden müssen, weil wir von Millionenerb:innen einen fairen Beitrag einheben.
Diese Welt ist in den Köpfen mancher Konservativer offenbar ein Schreckgespenst. Dass einer dieser Köpfe die ehemalige Obfrau des Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmerbundes ist, irritiert dann doch.