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Gesundheit
Arbeitswelt

Suchthilfe in Wien: Kampf um die sozialen Säulen der Stadt

Suchthilfe in Wien: Kampf um die sozialen Säulen der Stadt
Mitarbeitende und Klient:innen der Wiener Sucht- und Drogenkoordination protestieren vor dem Büro des Sozialstadtrats. Foto: Christian Bunke
Die Wiener Stadtregierung legt die Axt an soziale Einrichtungen an. Der Sozialbereich ist im Aufruhr. Widerstand gegen die Einsparungen kommt von Betriebsräten der Sucht- und Drogenkoordination.

Vor dem Amtssitz von Gesundheits- und Sozialstadtrat Peter Hacker (SPÖ) wird ein Sarg zu Grabe getragen, musikalisch begleitet von einer Ziehharmonika und unter den unwirschen Blicken zweier Polizist:innen. Sie schützen den Sozialstadtrat am Morgen des 13. November vor lautstarkem Protest hunderter Mitarbeiter:innen und Klient:innen der Wiener Sucht- und Drogenkoordination. Worum es ihnen geht, zeigt der Sarg. Auf ihm steht ein von vier Säulen getragenes Haus. Die Säulen stellen die Kernbereiche der von Hacker einst selbst erarbeiteten Wiener Sucht- und Drogenstrategie dar: „Suchtprävention”, „Beratung, Behandlung und Betreuung” und „öffentlicher Raum und Sicherheit” steht auf drei der Säulen.

Die vierte Säule des Hauses ist eingestürzt. Sie trägt den Titel „Arbeitsmarktpolitische Maßnahmen und soziale (Re-)Integration‟. Und weil diese Säule am Boden liegt, wackelt das gesamte Dach der Wiener Sucht- und Drogenkoordination, und damit auch alle anderen Säulen. Das ist die Botschaft, welche die Organisator:innen des Protests – Betriebsräte verschiedener Wiener Sozialeinrichtungen – der Öffentlichkeit vermitteln wollen.

Wut, Angst und Kampfbereitschaft

Die von der Stadt Wien geplanten Einsparungen bei der Suchthilfe gehen ans Eingemachte, sagen die Betriebsräte: Sie bedrohten Jobs und die Existenz von Klient:innen und bedeuteten einen Paradigmenwechsel in der Wiener Sucht- und Drogenpolitik. Der Thomas-Klestil-Platz ist mit Demonstrant:innen prall gefüllt. „Peter, wir müssen reden‟ steht auf ihren Schildern. Und es ist nicht nur symbolischer Protest. „Wir führen hier Betriebsversammlungen im öffentlichen Raum während der Arbeitszeit durch‟, sagt ein Betriebsrat durchs Mikrofon auf einer improvisierten Bühne. „Und das bedeutet, wir sind jetzt im Arbeitskampf!‟. Tosender Applaus.

Nicht nur Betriebsrät:innen reden. Auch derzeitige und ehemalige Klient:innen greifen zum Mikrofon. Einer berichtet über seine Erfahrungen bei der Einrichtung „gabarage‟. Die Menschen dort hätten ihm geholfen, seit sechs Monaten sei er abstinent . „Mit den Kürzungen werden viele tolle Mitarbeiter:innen entlassen werden müssen‟, sagt er. Sozialarbeiter:innen, die mir sehr geholfen haben, die mich unterstützt haben, werden jetzt zurückgeworfen und müssen sich einen neuen Job suchen. Wenn die Politiker:innen jetzt an der falschen Stelle sparen, sollen sie sich nicht wundern, wenn die Arbeitslosenzahlen ansteigen.‟

„Den Leuten wird die Perspektive genommen"

Der gemeinnützige Verein „gabarage‟ wird  von den Einsparungen bei der Suchthilfe schwer getroffen, erzählt die Betriebsrätin Kathrin Luger. Der Verein macht aus alten Planen, Metallen und anderen Materialien Taschen, Möbel und Schmuck. Dafür betreut er pro Jahr 80 bis 100 suchtkranke Menschen unter anderem als Arbeitskräfte. Sie erhalten so eine Tagesstruktur. „Bei uns werden im Vergleich zum Vorjahr 50 Prozent der Mittel gekürzt, Inflation und Kollektivvertrags-Erhöhungen noch gar nicht mitgerechnet,‟ sagt Luger. Unter den Menschen, denen die Kündigung droht, sind auch ehemalige Klient:innen, die schon jahrelang bei uns arbeiten. Leute 50 plus mit Lücken im Lebenslauf, wo wir nicht wissen, ob sie wieder einen Job finden.”  Sie befürchte, dass es künftig mehr Rückfälle gibt. „Den Leuten wird die Perspektive genommen.‟

Fragt man Kathrin Luger und andere Betriebsrät:innen nach den Auswirkungen der Einsparungs-Ankündigungen auf Belegschaften und Klient:innen, fallen immer wieder Begriffe wie „Angst‟, „Perspektivlosigkeit‟ oder auch „nackte Panik‟. Georg Schmid, Sozialarbeiter und Betriebsrat bei der ambulanten Suchthilfe-Einrichtung „Dialog‟, spricht von einem „Horror‟: „Alle haben Angst gekündigt zu werden‟, sagt er. „Die meisten Kolleg:innen sind zwischen fünf bis 20 Jahre bei uns. Verlässlichkeit und Kontinuität sind sehr wichtig in unserem Berufsfeld. Und jetzt plötzlich die Kündigungen. Viele fühlen sich vor den Kopf gestoßen. Wie kann man gute Arbeit machen, und plötzlich wird alles auf Null gestellt?‟

Kürzungen mit harten sozialen Auswirkungen

Dialog hat ein  vielseitiges Angebot:multiprofessionelle Betreuung und Beratung,Präventionsveranstaltungen und Angehörigenarbeit. Und es gibt hier ein „integratives Arbeitsmarktprojekt‟ namens „Standfest”. 

Georg Schmid beschreibt Standfest als eine Art Bindeglied zwischen Betroffenen und Behörden wie dem AMS. Das Thema Suchterkrankung sei eine Querschnittsmaterie, sagt Schmid. Es gehe bei der Beratung suchtkranker, arbeitsloser Menschen um vieles: um Orientierung am und Re-Orientierung in den Arbeitsmarkt, um Wohnen, Schulden, Haushaltsbudgets. „Wir haben hier viele Personen, die schon sehr lange arbeitslos sind. Viele haben einen Pflichtschulabschluss, teilweise auch eine Lehre gemacht. Neben ihrer Suchterkrankung haben sie häufig Begleiterkrankungen und andere Probleme, wie sozialer Rückzug und soziale Isolation.‟ Standfest sei für die Betroffenen ein Stabilitätsanker. Die Einrichtung vermittelt bei Konflikten mit Behörden und zeigt Lösungswege auf. Und sie bietet Betroffenen eine feste Tagesstruktur, mit deren Hilfe  sie ins Leben zurückfinden können. 400 Menschen seien derzeit in dem Programm, sagt Schmid. Am 31. Dezember wird es aufgrund der Einsparungen für immer schließen.

„Weinende Kolleg:innen, weinende Klient:innen"

Für die Klient:innen sei das ein harter Schlag, sagt Schmid. „Viele können nicht fassen, dass wir jetzt zugedreht werden. Es gibt Fassungslosigkeit, Wut und Hilflosigkeit.‟ Genau die selben Gefühle spürten auch die bald wohl selbst von Arbeitslosigkeit betroffenen Beschäftigten. „Kolleg:innen, die selber emotional betroffen sind, weil sie ihren Job verlieren, müssen nun ihren Klient:innen erzählen, dass wir zugedreht werden. Da sitzen dann die weinenden Kolleg:innen mit den weinenden Klient:innen zusammen in einem Raum.‟

Die sozialen Kosten der Einsparungen bei der Suchthilfe würden schon bald spürbar werden, sagt Schmid. „Personen, die wir jetzt unterstützen, werden bald den stationären und den Krankenhausbereich mehr belasten. Es wird mehr Sperren von AMS-Leistungen geben, weil den Betroffenen nicht mehr geholfen wird. Die Familien der Betroffenen werden stärker belastet werden, und es wird zu mehr Gewalt kommen.‟ 

Die Kürzungen sind für Schmid und andere Betriebsrät:innen umso unverständlicher, als Sozialstadtrat Peter Hacker als Architekt der Wiener Sucht- und Drogenstrategie gilt. Ausgerechnet er kürze nun dort das Geld.

Der Sozialstadtrat widerspricht

Das Büro des Sozialstadtrats wirft den Demonstrierenden auf Anfrage von MOMENT.at in einer Stellungnahme vor, die Lage zu verkennen und Panikmache zu betreiben. Die wirtschaftliche Gesamtsituation sei nun mal „trist‟, Schuld trage „in weiten Teilen die vergangene schwarz-grüne Bundesregierung.‟ Die geplanten „Konsolidierungen‟ würden am „sehr hohen Niveau‟ der Behandlung und Versorgung von Sucht- und Drogenkranken in Wien „nichts ändern‟. Im Gegenteil achte die Stadt darauf, „dass die Auswirkungen möglichst gering sind‟. Für Suchthilfe und psychosoziale Angebote stehe 2026 sogar  „geringfügig mehr Budget zur Verfügung als heuer.‟ Außerdem versuche die Sucht- und Drogenkoordination Einsparungen durch eine verstärkte Zusammenarbeit mit dem AMS abzufedern. Daher werde es „entgegen den Behauptungen der Betriebsräte auch weiterhin Angebote zur Reintegration in den Arbeitsmarkt und Tagesstruktur für die Klient:innen geben‟.

Fällt also die vierte Säule gar nicht um? Die Betriebsräte verschiedener von Einsparungen betroffenen Einrichtungen widersprechen.„Nach Rücksprache mit unseren Geschäftsführungen” könnten sie „eine Rücknahme der Kürzungen nicht bestätigen”, schreiben sie in einer „Richtigstellung‟ an die Medien. Es würden lediglich Gelder innerhalb des AMS „umgeschichtet‟. Die Schließungen und Einsparungen seien nicht vom Tisch. „Wenn es tatsächlich stimmt, dass 2026 mehr Geld zur Kostenabdeckung zur Verfügung steht, sind die Einsparungen umso unverständlicher.‟

Kritik an „unverantwortlicher Vorgangsweise" der Stadt

Die Betriebsrät:innen kritisieren auch die Kommunikationspolitik der Stadt Wien harsch. Ein großes Problem ist, dass zwar bereits Personalabbau und die Schließung ganzer Einrichtungen verkündet werden, der Gemeinderat das Budget für das kommende Jahr aber erst Mitte Dezember beschließen soll. Somit gibt es noch keine offiziellen Zahlen.

Isabel Tanzer, Betriebsratsvorsitzende der Suchthilfe Wien, findet diese Vorgangsweise der Stadt „unverantwortlich und erschreckend‟. „Viele von Kürzungen und Schließungen betroffene Betriebe werden erst Ende Dezember das finale Budget bekommen‟, sagt sie. „Gleichzeitig werden viele Betriebe mit 31. Dezember schließen müssen.” So könne man gesetzliche Fristen, etwa Kündigungsfristen, nicht einhalten.

Die Betriebsrät:innen und ihre Belegschaften wollen weiter gegen die Einsparungen bei der Suchthilfe kämpfen.

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