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Arbeitswelt

Wer nicht arm sein will, soll halt arbeiten gehen? Warum es zynisch ist, wenn Karl Nehammer das unterstellt

Bundeskanzler Nehammer empfiehlt ein Wundermittel gegen Armut und die verzweifelte Frage, wie man sich die Preise im Supermarkt noch leisten soll: Arbeiten gehen.

„Menschen, die arbeiten gehen und Geld verdienen, sind deutlich weniger von Armut betroffen, als Menschen, die nur von Sozialleistungen abhängen“, sagte er in der ZiB 2 kürzlich. Wer nicht arm sein will, solle halt arbeiten.

Das kommt ein bisschen harmlos daher. Aber es ist ein billiger Gag auf Kosten der Schwächsten in der Gesellschaft. Seine Annahme hat wenig mit der Realität zu tun. Nehammer irrt gleich aus mehreren Gesichtspunkten. 

Alleinerzieher:innen und Mindestpensionist:innen

Zum einen betrifft Armut überproportional Kinder und ihre Eltern. Das weiß man. Armut ist statistisch weiblich, alleinerziehend und hat ein oder mehrere Kinder.

Nun können Kinder nichts zum Lebensunterhalt beitragen. In der Logik von Nehammer haben sie nun Pech gehabt. Genau deswegen wäre es aber so wichtig, diese Gruppe ein für alle mal abzusichern, etwa durch die Kindergrundsicherung. Das Modell liegt längst am Tisch. Die Einführung würde in etwa so viel wie die Abschaffung der Kapitalertragsteuer auf Kursgewinne kosten. Letzteres will die ÖVP natürlich machen, Kinderarmut wird hingegen mit solchen zynischen Sprüchen unsichtbar gemacht.

Hohn als Empfehlung

Aber auch Alleinerzieher:innen zu raten, sie sollen halt mehr arbeiten gehen ist blanker Hohn. Das ist mit kleinen Kindern in der Form oft nicht möglich. Es fehlt an flächendeckender Kinderbetreuung, Ganztagsschulen und Nachmittags- und Ferienbetreuung. Alles Dinge, die politisch sichergestellt werden müssten, aber stolz von der ÖVP verhindert wurden. Was soll diese Gruppe nun mit dem Ratschlag, doch einfach mehr arbeiten zu gehen?

Eine andere Gruppe, die überproportional von Armut betroffen ist, sind Mindestpensionist:innen. Auch an sie ist der Ratschlag doch arbeiten zu gehen blanker Hohn. Sie haben bereits ihr Leben lang gearbeitet – bezahlt und unbezahlt. Und es reicht trotzdem nicht. Wie kann es sein, dass eine Pension nicht zum Leben reicht? Will der Kanzler wirklich Verhältnisse, wo 80-jährige noch Hilfsjobs arbeiten müssen, um irgendwie über die Runden zu kommen? Oder hat er diese Gruppe an Armutsbetroffenen auch einfach „vergessen“ bei seinem Ratschlag?

Working poor und Arbeitslose

Und dann gibt es noch jene Gruppe, die eh schon arbeitet und trotzdem arm ist. Weil es noch immer Branchen ohne Kollektivvertrag gibt oder weil es Abschlüsse unter der Armutsschwelle gibt. Oder, weil ein Vollzeitarbeiten nicht möglich ist, weil es an Infrastruktur fehlt, etwa Kinderbetreuung.

Hier beißt sich die Katze in den Schwanz. Erwerbsarmut hat eine Geschlechterperspektive, wirkt sich auf die Pension aus. Sie bedeutet aber vor allem, dass Leute bereits so viel wie möglich arbeiten und trotzdem arm sind. Auch diese Gruppe kommt in Nehammers einfacher Gleichung nicht vor.

Niemand ist freiwillig arm

Und dann gibt es noch jene Gruppe, die tatsächlich nicht arbeitet und arm ist. Das ist nun jene Gruppe, auf die Nehammer abzielt. Er tut so, als sei es eine Willensentscheidung, arm zu sein. Nicht beachtet wird in seiner zynischen Betrachtung, warum Menschen nicht am Arbeitsleben teilnehmen.

Das reicht von Müttern mit kleinen Kindern über Menschen mit psychischen und physischen Problemen und Krankheiten bis zu Menschen, deren Jobs „wegrationalisiert“ wurden. Es gibt sehr viele Gründe, warum man arbeitslos ist. Zu glauben, es ist so lustig und man liegt auf der faulen Haut, offenbart ein grausames und zynisches Menschenbild fernab jeder Realität.

Armut hat viele Gesichter. Viele Menschen arbeiten und sind trotzdem arm. Das ist ein Umstand, der einen Bundeskanzler vor Schamesröte zum Schweigen bringen sollte, statt neunmalkluge Ratschläge zu erteilen.

Was Karl Nehammer im ZiB 2-Interview noch gesagt hat, das Widerspruch verdient:

 

 

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