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Arbeitswelt

Wie die Jobgarantie das Leben von Langzeitarbeitslosen verbessert

Die Jobgarantie schafft Jobs, die zu den Langzeitarbeitslosen und ihren Bedürfnissen passen. Symbolbild: Ono Kosuki/Pexels
3.697 Menschen wohnen in Gramatneusiedl in Niederösterreich. Das Örtchen ist unscheinbar. Und doch blickt gewissermaßen die ganze Welt auf die Gemeinde. Sie startete 2020 nämlich einen weltweit einzigartigen Versuch zu einer Jobgarantie. Das Ziel: Nicht weniger, als die Langzeitarbeitslosigkeit abzuschaffen. Der Wirtschaftswissenschafter und Professor an der Universität Oxford Maximilian Kasy begleitet das Projekt “MAGMA” und erklärt im Gespräch mit MOMENT.at, ob es erfolgreich ist.

MOMENT.at: Jedem/r eine Jobgarantie zu geben: Ist das Projekt in Gramatneusiedl eine revolutionäre Arbeitsmarkt-Maßnahme?

Maximilian Kasy: Es ist zumindest eine unkonventionelle, die in den letzten Jahren viel diskutiert wurde und viel Aufmerksamkeit erfahren hat. Es gibt ein paar Vorläufer in einem anderen Kontext. Gewisse Beschäftigungsprogramme in Indien haben historisch eine große Rolle gespielt bei der Vermeidung von Hungersnöten. Aber in der Form gibt es etwas wie MAGMA derzeit in kaum einem reichen Land.

 
Maximilian Kasy ist auf dem Bild. Ein junger Mann mit dunklen Haaren, am Hinterkopf zu einem Dutt gebunden und Brille.

Maximilian Kasy, Wirtschaftswissenschafter und Professor an der Universität Oxford, begleitet das Projekt wissenschaftlich.

Foto: Privat

 

MOMENT: Wie funktioniert denn die Jobgarantie in Gramatneusiedl genau?

Kasy: All jene, die mindestens neun Monate lang arbeitslos waren, können teilnehmen. Es ist keine Zwangsarbeit. Die Teilnahme ist freiwillig. Das ist ein wichtiger Unterschied zu Programmen, die oft von konservativer Seite vorgeschlagen werden.

Trotzdem haben sich praktisch alle Betroffenen freiwillig dafür entschieden und teilgenommen. Und das, obwohl es keine Sanktionen gibt.

Nach dem Start des Programms bereiten die Teilnehmer:innen sich zwei Monate lang vor: In dieser Phase gibt es Trainings und gemeinsam wird ein Arbeitsplatz entwickelt. Er soll zur Person passen und eine sinnvolle Arbeit sein, von der auch die Gemeinde profitiert.

Nach dieser Vorbereitungsphase beginnt die eigentliche Jobgarantie. Ein Teil der Menschen ist bei einem eigens gegründeten sozialen Unternehmen der Gemeinde angestellt und ein kleinerer Teil ist auch in subventionierten Jobs in Unternehmen des Privatsektors.

MOMENT: Bedeutet also: Findet jemand am regulären Arbeitsmarkt keinen Job, wird mit der Jobgarantie einer geschaffen?

Kasy: Genau. Da wurden verschiedenste Jobs entwickelt, die jeweils zu den Teilnehmer:innen passen: zum Beispiel Gärtnern. Manche helfen älteren Einwohner:innen der Gemeinde beim Einkaufen. Ein paar Teilnehmer:innen hatten die Idee, einen Radweg zu entwickeln, der alte Fabriken verbindet. Es wurden auch eigene Tischler- und Schneider-Werkstätten gegründet.

Sollte jemand keinen Job annehmen wollen, bezieht die Person ganz normal das Arbeitslosengeld weiter. Nicht wie bei anderen aktiven Arbeitsmarktmaßnahmen, die mit Sanktionen einhergehen und Arbeitslosengelder gekürzt werden usw. Das war uns sehr wichtig. Auch im Hinblick darauf, was eine Jobgarantie sein kann. Sie zieht im Grunde genommen eine Mindestgrenze ein, wie ein Job aussehen kann. Damit in Bezug auf Lohn und Qualität des Arbeitsplatzes niemand etwas Schlechteres annehmen muss.

Wir sehen, dass es den Leuten durch das Programm massiv besser geht. Und zwar auf eine Weise, die nicht nur auf das Einkommen zurückzuführen ist.

MOMENT: Langzeitarbeitslosigkeit wird oft als individuelles Problem und auch „Verschulden“ der einzelnen Person gesehen. Ändert sich das mit der Jobgarantie?

Kasy: Die Teilnahme war freiwillig, aber niemand hat den Job abgelehnt. Also offensichtlich liegt es nicht am mangelnden Arbeitswillen, dass diese Leute keine Jobs haben, sondern am Mangel an adäquaten Jobs für sie. Das bestätigt, was wir aus vielen anderen Bereichen ja bereits wissen. Zum Beispiel, dass Arbeitslosigkeit über den Konjunkturzyklus massiv schwankt. Da schwankt ja auch nicht die Faulheit massiv, sondern die Nachfrage am Arbeitsmarkt verschiebt sich.

Im Programm sind viele Leute mit den verschiedensten speziellen Bedürfnissen dabei. Mit verschiedensten Lebensgeschichten und Einschränkungen. Da ist es wichtig, individuell angepasst zu schauen, was eine sinnvolle Beschäftigung sein kann, die mit diesen Einschränkungen zusammengeht. Wenn das getan wird, dann ist auch viel möglich, was am regulären Arbeitsmarkt nicht unbedingt ginge.

MOMENT: Was erhoffen sich die Gemeinde und die Projektleitung von MAGMA?

Kasy: Verschiedene Dinge. Wichtig zu betonen ist an der Stelle, was man sich nicht erwarten kann. Nämlich, dass die Teilnehmer:innen danach in einen regulären Arbeitsmarkt übergehen. Das ist normalerweise das Ziel traditioneller Maßnahmen in der Arbeitsmarktpolitik. Nicht aber der Jobgarantie.

Hier ist das Ziel, den Leuten eine Beschäftigung zu geben, mit der sie etwas Sinnvolles zur Gemeinschaft beitragen können und mit der es ihnen selbst besser geht. Ohne die Erwartung, dass es in einen permanenten, nicht-subventionierten Job übergeht.

Das Ziel ist, eine Alternative zur reinen Abspeisung mit Einkommen zu bieten.

MOMENT: Du untersuchst, ob das Projekt erfolgreich ist? 

Kasy: Wir haben uns verschiedene Aspekte angeschaut. Zum ersten, wie sich das Programm auf die Teilnehmer:innen auswirkt. Dazu haben wir zwei Gruppen verglichen, von denen die eine früher als die andere mit dem Programm begonnen hatte. In diesem Vergleich des Wohlbefindens sehen wir positive Effekte auf die subjektive Sinngebung, Zeitstruktur, soziale Vernetzung, materielle Sicherheit. Wir sehen, dass es den Leuten durch das Programm massiv besser geht. Und zwar auf eine Weise, die nicht nur auf das Einkommen zurückzuführen ist, sondern auf die Form der Beschäftigung, die sie durch die Jobgarantie haben. Das ist der erste Teil, der zumindest aus einer volkswirtschaftlichen Perspektive nicht offensichtlich ist.

Wir wollten aber nicht nur die Auswirkungen auf die einzelnen Teilnehmer:innen untersuchen, sondern auch auf den Arbeitsmarkt in der Gemeinde. Eine potenzielle Kritik am Programm ist nämlich, dass dadurch Jobs verdrängt werden. Es stellt sich heraus, dass es eine solche Verdrängung praktisch nicht gibt. Also es ist tatsächlich eine Verringerung der Arbeitslosigkeit und nicht nur ein Umschichten von A nach B.

Im dritten Teil der Studie machten wir einen Vergleich mit Menschen vergleichbarer Gemeinden, die in ähnlichen Situationen waren oder sind. Die dort aber keine Jobgarantie haben. Die Untersuchung bestätigt bislang die Ergebnisse aus dem Experiment im ersten Teil. Darüber hinaus sahen wir, dass es zum Teil bereits positive Effekte gibt, ehe das Programm überhaupt angefangen hat. Bereits die Erwartung, in ein solches Programm eintreten zu können, wirkt sich also positiv auf die Psyche aus.

Wenn wir die Löhne erhöhen und die Arbeitsbedingungen entsprechend verbessern, gibt es keine fehlenden Arbeitskräfte mehr.

MOMENT: Wir haben in Österreich einen Höchststand an offenen Stellen. Immer wieder lesen wir vom Fachkräftemangel und davon, dass Unternehmen händeringend nach Personal suchen und keines finden. Heißt das nicht: Wir haben kein Problem mit Arbeitslosigkeit, sondern mit fehlenden Arbeitskräften. Braucht es da überhaupt eine Jobgarantie?

Kasy: Ich würde die Diskussion über die fehlenden Arbeitskräfte ja primär als Propaganda einstufen. Wenn wir die Löhne erhöhen und die Arbeitsbedingungen entsprechend verbessern, gibt es keine fehlenden Arbeitskräfte mehr. Entweder gibt es mehr Leute, die die Jobs machen wollen oder es lohnt sich zu den höheren Löhnen nicht mehr für die Unternehmen.

Also gibt es keinen Arbeitskräftemangel, sondern zu niedrige Löhne und zu schlechte Arbeitsbedingungen. Insofern ist ein angespannter Arbeitsmarkt auch eine positive Sache, weil es die Verhandlungsposition der Arbeitskräfte verbessert.

Das könnte eben ein Programm wie die Jobgarantie oder ein Grundeinkommen auch tun: die Verhandlungsposition in jeder Beziehung verbessern. Die hängt davon ab, wie gut deine beste Alternative ist. Ob mit Arbeitgeber:innen, dem Sozialstaat oder privaten Beziehungen. Und wenn eine Jobgarantie eine Alternative für einen anständigen Arbeitsplatz schafft, dann muss ich eben keinen Arbeitsplatz annehmen, der nicht anständig ist.

MOMENT: Löst die Jobgarantie all unsere Probleme oder braucht es weitere Maßnahmen und welche sind das?

Kasy: Es braucht auf jeden Fall einen Cocktail an Maßnahmen für einen modernen Wohlfahrtsstaat, der allen Teilhabe ermöglicht. Meiner Meinung nach sollte eine Jobgarantie ein Teil eines solchen Cocktails sein, aber es ist nicht die Antwort auf alle Fragen.

Leider werden politische Debatten oft so geführt, dass man das eine oder andere Programm befürwortet und alles andere ist „böse“. Ich glaube zum Beispiel, dass sich eine Jobgarantie und ein Grundeinkommen gut ergänzen würden und verschiedene Zwecke erfüllen. Wobei die Jobgarantie insbesondere für jene eine gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht, die spezifische Probleme haben – vielleicht gesundheitlich oder in ihrer Biografie. Gleichzeitig braucht es auch für andere eine materielle Absicherung gegen die Risiken des Lebens und zwar ohne staatlichen Zwang und Überwachung. Das könnte ein Grundeinkommen liefern.
Beides kann die Verhandlungsposition von Leuten verbessern, die sonst schlecht gestellt sind. Beides ist aber auch keine Antwort auf andere Fragen – wie den Klimawandel. 

Deswegen braucht es eine Vielzahl von Maßnahmen. Als soziale Absicherungsnetz ist aber, glaube ich, eine Kombination von Jobgarantie und Grundeinkommen sehr sinnvoll. Kombiniert mit einer progressiven Einkommenssteuer, Vermögenssteuer, Erbschaftssteuer, einer progressiven Industrie- und Umweltpolitik usw.

MOMENT: Zurück zum Ausgangspunkt: MAGMA ist zumindest etwas völlig Neues, vielleicht sogar revolutionär. Wird der Arbeitsmarkt gerade revolutioniert?

Kasy: Ich glaube, dass es sehr viel politisches Interesse daran gibt und es durchaus möglich wäre, drum herum eine politische Koalition aufzubauen, die breiteren Rückhalt hat. Auch von Lagern, von denen man sich das sonst nicht unbedingt erwarten würde. Nicht aber von einer Politik, die primär die Interessen der Unternehmen im Blick hat. Die Idee, dass alle, die arbeiten wollen, auch arbeiten können, könnte bei vielen Leuten Resonanz finden. Auch von jenen, die sonst konservativer eingestellt sind.

Es gibt aber auch die Gefahr, dass der Wohlfahrtsstaat dadurch ersetzt wird. Das ist nicht das Ziel. 

 

Offenlegung: Max Kasy ist Mitglied des Advisory Boards des Momentum Instituts.

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