print print
favorites-circle favorites-circle
favorites-circle-full favorites-circle-full
Gesundheit

Im Abseits: Wie das Gesundheitswesen Long Covid-Betroffene schikaniert

Long Covid: Zehntausende werden in Österreich mit schweren Corona-Folgen allein gelassen
Long Covid betrifft zehntausende Menschen in Österreich, Millionen in Europa. Für viele Betroffene verändert die Krankheit das Leben für immer. Behandlung, staatliche Unterstützung, medizinische Forschung und Wissen bei Ärzten und Ärztinnen fehlen.

Covid? Vorbei. Dieses Bild wird seit Monaten zunehmend verbreitet. Dabei gibt es in Österreich immer noch 24.000 aktive Infektionen (Stand 18.1.2023). Und für zehntausende Menschen und deren Angehörige ist es jedenfalls alles andere als vorbei. Sie führte die Infektion direkt in eine chronische Erkrankung und oft in die Berufsunfähigkeit.  Das Schlagwort, unter dem dies zusammengefasst wird, lautet “Long Covid”.

Ab wann spricht man von Long Covid?

Von Long Covid spricht man bei Symptomen, die auch über vier Wochen nach einer Infektion noch bestehen oder auftreten. Die Erforschung des Phänomens ist oft noch immer in ihren Anfängen. Neuere Studien aus Großbritannien zeigen, dass etwa 3,4% der britischen Bevölkerung mit Long Covid lebt und ein Viertel davon das schon seit über zwei Jahren tut. Die meisten davon müssen ihren Alltag zumindest merkbar einschränken. 

Über 200 Symptome von “Long Covid” wurde bisher in Studien untersucht. Und sie können unterschiedlich schwerwiegend sein. Von Kurzatmigkeit, Geschmacksverlust, Brustschmerzen oder Erschöpfung bis zu Depressionen und anderen drastisch lebensverändernden Auswirkungen. Gerade bei schwachen oder mittleren Krankheitsverläufen, sowie unter jüngeren Infizierten kommt „Long Covid“ besonders oft vor. Zehn bis 14 Prozent aller Patient:innen in Österreich hätten nach einer Infektion Langzeitschäden, sagt Fabian Gamper, Experte für Sozialversicherung bei der AK-Wien.

Langjährige Leidensgeschichten bei Long Covid

Eine von ihnen ist eine Frau, die wir Angela nennen. Angela lebt in einer kleinen ländlichen Ortschaft irgendwo in Österreich. Ihr Wohnort und ihre Identität sind uns bekannt. Aufgrund ihrer schlechten Erfahrungen mit dem Gesundheitswesen möchte sie lieber anonym bleiben. 

Ihre Long Covid-Geschichte begann im Jahr 2020. Nach überstandener Infektion schnellten ihre Pulswerte in die Höhe. Mehrfach musste sie deshalb ins Krankenhaus, sagt sie. Nach drei Monaten im Krankenstand wurde sie von ihrem Arbeitgeber gekündigt. 

Leiden von Long Covid-Betroffenen als psychosomatisch abgetan

In den vergangenen Jahren hat sich Angelas Gesundheitszustand schubweise stetig verschlechtert. Sie bekam Atemnot, Schleier vor den Augen, Sehstörungen und hat inzwischen eine instabile Wirbelsäule. Immer wieder ging sie zu Ärzt:innen. Eine Odyssee, die sie durch ganz Österreich führte. 

Angela musste selbst aktiv werden, obwohl ihr gesundheitlich eigentlich die Energie dafür fehlt. Sie forschte in Onlineforen und bei Selbsthilfegruppen, suchte Kontakt zu anderen Long-Covid-Betroffenen. 

Unfreiwillige Eigenverantwortung bei Long Covid-Behandlung

Es waren diese Kontakte, und zahlreiche Selbst-Überweisungen an Wahlärzt:innen, die ihr schließlich zu einer Diagnose verholfen haben: Bei Angela äußert sich Long Covid in Form eines sogenannten „Mastzellen-Aktivierungssyndroms“ (MCAS). MCAS ist eine multisystemische Erkrankung. Der Körper reagiert dadurch mit Entzündungen und Allergien viel empfindlicher auf verschiedenste Umwelteinflüsse. Angela zum Beispiel reagiert sehr drastisch auf verschiedene Gerüche. 

Viele Ärzt:innen erkennen Long Covid-Symptome nicht

Nur eine schwindend geringe Zahl an Ärzt:innen kennt in Österreich überhaupt den Begriff MCAS. Dabei tritt diese Krankheit nach Covid-Infektionen zunehmend auf. Für Menschen wie Angela hat dieses Unwissen drastische Folgen – auch finanzielle: Ihre Ansuchen auf Invaliditätspension und Pflegegeld wurden abgelehnt. Stattdessen wurde ihr der Gang zur Psychiaterin empfohlen. 

Das ist kein Einzelfall, wie Carmen Mucha von der Sozialrechtsabteilung des Behindertenrechtsverbands erzählt. Oft sei es eine reine Glückssache, ob ein Gutachten für eine Berufsunfähigkeitspension im Sinne einer Long Covid betroffenen Person entscheidet. „Viel hängt auch davon ab, ob ein Gutachter selber Erfahrungen mit Long Covid hat, oder nicht.“ Viele Sachverständige würden sich abputzen, so ihr Eindruck.

 

“Gehen Sie zum Psychiater”

Oft deuten die Gutachter:innen und Sachverständige die geschilderten Symptome als psychische Probleme. ”Die können sich so leichter aus der Verantwortung ziehen. Als Gesellschaft müssen wir sehen, wie wir mit Krankheiten umgehen, die schwer diagnostizierbar sind. Dafür müssen wir Grundlagen schaffen, und alles zur Verfügung stellen.” 

Eine andere, häufige Form von Long Covid ist auch ME/CFS. Auch das ist eine multisystemische Krankheit.  Betroffene leiden unter anderem unter extremer körperlicher Schwäche, die Aktivitäten stark einschränkt. ME/CFS tritt auch nach anderen Virusinfektionen auf und ist deshalb bereits seit vielen Jahrzehnten bekannt. Trotzdem ist die Erkrankung schlecht erforscht – und es gibt auch kaum Förderungen für die Erforschung. 

Ärzte greifen auch zu schädlicher Long Covid-Behandlung 

Ein Bewusstseinswandel im Gesundheitswesen sei auch mit der Pandemie noch nicht gekommen. Astrid Hainzl ist an ME/CFS erkrankt. Sie ist stellvertretende Obfrau der österreichischen Gesellschaft für ME/CFS. Zwar gebe es mit Long Covid alleine in Österreich zehntausende neue ME/CFS Fälle. Doch weiterhin gibt es keine medizinische Versorgung. 

Das existierende Reha-Angebot sei teilweise sogar für die Betroffenen schädlich. So bieten klassische Reha-Angebote Programme an, die auf die Überschreitung körperlicher Grenzen zum Wiederaufbau der körperlichen Kondition hinarbeiten. Diese werden auch bei Long Covid als vermeintliche Behandlung eingesetzt.

Gesundheitsgefährdende Diskriminierung

Genau dieser Ansatz führt bei ME/CFS jedoch zu einer Verschlimmerung der Symptome. Dort soll Belastung vermieden werden. Das kann sogar lebensgefährlich sein. Die Krankheit fesselt 25 Prozent der Betroffenen ans Haus oder ans Bett fesselt und treibt 75 Prozent in die Berufsunfähigkeit. Selbst nach der oft mühsamen Diagnose fehlt bislang eine Therapie. Menschen müssen ihre Belastung genau steuern.  

”Immer wieder melden sich durch Covid an ME/CFS erkrankte Menschen, die in ein unpassendes Reha-Programm gedrängt wurden, wodurch sich ihr Gesundheitszustand teils drastisch verschlechtert hat“, so Hainzl. „Auch in Krankenhäusern haben viele ME/CFS-Betroffene schlechte Erfahrungen gemacht, weil sie dort falsch behandelt wurden.“

Berufsunfähigkeit wegen Long Covid

Auch im Zuge der Pandemie gebe es in Krankenhäusern immer noch keine Spezialisierung auf ME/CFS und auch keine spezialisierten Gutachter:innen. Damit stünden Betroffene bei Fragen der Anerkennung ihrer Krankheit für eine Berufsunfähigkeitspension, Pflegegeld oder der Einstufung des Grads der Behinderung vor großen Schwierigkeiten. 

Gerade weil sich die allermeisten Ärzt:innen im Gesundheitswesen mit der Krankheit nicht auskennen würden, seien Betroffene darauf angewiesen, sich selbstständig auf die Suche zu machen. “Das wird ihnen dann aber als Ärzteshopping negativ ausgelegt.” 

Lange Suche nach Behandlung

Dieser Eindruck wird von einem Papier der „Gesundheit Österreich GmbH“, einem von der Republik Österreich betriebenen Gesundheitsthinktank, bestätigt. In einem im April 2022 veröffentlichten Papier über Problemlagen und Herausforderungen in der Versorgung von Long Covid-Betroffenen heißt es unter anderem: „Betroffene bezeichnen die Suche nach einer adäquaten Versorgung teilweise als „Odyssee““. Und: „Durch das zusätzliche Patientenaufkommen könnte es zu einer Überlastung von Ressourcen kommen.“ Das Engagement hänge „vom freiwilligen Zeitaufwand Einzelner ab.“ 

Außerdem „gibt es noch keinen Versorgungsauftrag vonseiten der Politik oder übergeordneter Organisationseinheiten“. Heißt übersetzt: Wer als Long-Covid-Betroffener gesundheitliche Hilfe braucht, muss oft tief ins private Geldbörserl greifen, denn staatliche Unterstützung gibt es kaum. 
 

Betroffene werden einfach gesundgeschrieben

Für Lohnabhängige hat das drastische Folgen, wie AK-Experte Fabian Gamper erzählt. Es komme immer wieder vor, dass die Österreichische Gesundheitskasse Betroffene einfach gesund schreibe, weil diese keine neuen ärztlichen Befunde vorlegen können. 

„Die Beschaffung von Befunden ist teuer und langwierig. Fachärzt:innen kosten außerdem Geld. Das kann sich längst nicht jeder leisten.“ Das sei besonders bei einem aufrechten Dienstverhältnis problematisch. „Die Leute gehen dann krank zur Arbeit“, so Gamper. 

Covid wurde selten als Arbeitsunfall gemeldet

Nur sehr selten würde eine Covid-Erkrankung in Österreich als Arbeitsunfall oder Berufskrankheit gemeldet. Darüber, wie viele Menschen später aufgrund eines durch Long Covid verursachten Krankenstandes gekündigt wurden, gebe es keine klare Datenlage. „In Österreich gibt es aber ein sehr liberales Kündigungsrecht, und keinen Kündigungsschutz im Krankenstand,“ so Gamper. Es sei deshalb davon auszugehen, dass viele Menschen krank zur Arbeit gehen. 

Das ist eine Option, die viele ME/CFS und MCAS Betroffene aber nicht haben. Entweder lässt der Zustand es nicht zu, oder sie haben den Job längst verloren.

WHO ruft zu Long-Covid.Forschung auf

Im September hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) endlich Long Covid auf ihre Agenda genommen. Sie ruft Staaten angesichts Millionen auch in Europa betroffener Menschen dazu auf, Geld in die Erforschung, (An)Erkennung und Behandlung von Long Covid zu stecken. 

Das ist vielleicht Anlass zur Hoffnung. Aber noch ist dieser Aufruf lange nicht ausreichend in die Tat umgesetzt. Die MCAS-Betroffene Angela hat die Probleme von der Kündigung bis zu Ignoranz alle mit erlebt. „Das war ganz furchtbar, gerade als Frau.“ Teilweise verweigerten die Ärzt:innen sogar die Untersuchung körperlicher Symptome. Auch ihr wurde bei den Arztbesuchen immer wieder gesagt, ihre Symptome seien psychosomatisch. “Dass mich keiner ernst genommen hat, das war am schlimmsten.”

 
    Kommentare 0 Kommentare
    Kommentar hinzufügen
    Es gibt noch keine Kommentare zu diesem Beitrag!