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Klimakrise

1.000 Deponien sind nicht genug – wie die Bauindustrie Boden verbraucht und Berge an Abfall entstehen lässt

1.000 Deponien sind nicht genug – wie die Bauindustrie Boden verbraucht und Berge an Abfall entstehen lässt
In Österreich gibt es schon über 1.000 Mülldeponien - den größten Teil unseres Mülls erzeugen Baustellen (Symbolbild) Foto: urtimud.89/Pexels
Fast 75 Prozent des Abfalls in Österreich stammen von Baustellen, 60 Prozent sind alleine ausgehobener Boden. Es ist so viel, dass damit niemand etwas anfangen kann. Der Großteil wird in ganz Österreich in Deponien aufgeschüttet. Ständig kommen neue dazu - oft nur wenige hundert Meter von Wohnhäusern entfernt.

In der Früh hört man nur die Vögel, über den ganzen Tag fahren weniger als 50 Autos an dem Acker in Mittelberg vorbei. 200 Leute leben in der kleinen Gemeinde im Bezirk Krems. Neben Weinbau und ein paar Gästezimmern gibt es hier nicht viel. Die Bewohner:innen wünschen sich, dass das auch so bleibt. Sie schätzen die Ruhe und die Natur um ihre Haustür. Der Firma Regrub scheint anderes wichtiger zu sein. Die möchte hier eine Deponie für Erdaushubmaterialien errichten, also für Erde, Geröll und Steine, die bei Baustellen aus dem Boden gegraben wird. Wenn bis zu 150 Lkw pro Tag hier ein und aus fahren, wäre von der Ruhe nicht mehr viel übrig.

„Das ist ja ein Wahnsinn“, sollen die Bürger:innen gesagt haben, als sie von den Plänen erfuhren. „Wir haben uns sofort versammelt, Unterschriften gesammelt und eine Bürger:inneninitiative gestartet“, erzählt Johannes Leitner, ein Sprecher dieser Initiative. Im Vorfeld habe niemand mit den Anrainer:innen gesprochen. Dabei wohnen einige gerade mal 100 Meter zu der Stelle, an der die Deponie geplant wäre. Sie wären besonders stark von der Anlage betroffen. Neben der Lärmbelastung verursacht das Abladen von Erdaushub große Mengen Staub, der sich durch den Wind verteilt.

Millionen Tonnen entfernter Boden

Produziert wird von diesem Müll in Österreich mehr als genug. Alleine von dem Boden, der für Baustellen ausgegraben wird, bleiben jedes Jahr über 40 Millionen Tonnen, die keinem Nutzen mehr zugeführt werden, fast 4,5 Tonnen pro Person. Zum Vergleich: alle Haushalte sind für nur 4,6 Millionen Tonnen Müll verantwortlich. Bei jedem Keller, der ausgegraben wird, jeder Straße und jedem Tunnel, der gebaut wird, muss Untergrund entfernt werden. Das ist eine enorme Menge: 58 Prozent des gesamten Abfalls sind sogenannte Erdaushubmaterialien.

Was mit diesem Müll passiert, hängt von seiner Beschaffenheit ab. Der ausgehobene Untergrund besteht meistens aus mineralischen Bestandteilen, also Steinen, Kies, Sand, Ton oder Ähnlichem. Ist der Aushub nicht verunreinigt, gibt es grundsätzlich viel Potential, ihn andernorts zu verwenden: Er kann genutzt werden, um Flächen zu begradigen oder aufzuschütten, als Untergrund für Straßen und Gleise oder, um unfruchtbaren Boden anbaufähig zu machen. Der Boden kann Rohstoff für Recycling-Zement und -Beton werden oder in der Eisen-, Stahl- oder Glasindustrie eingesetzt werden. Aushubmaterialien könnten helfen, Ressourcen zu sparen, indem sie neue Rohstoffe ersetzen.

Dieses Potenzial wird aber nur selten genutzt. Einerseits, weil neue Rohstoffe zu günstig sind, andererseits, weil die Menge schlicht zu groß ist. So viel Abfall braucht niemand. Und für die Baustellenbetreiber:innen ist es günstiger und unkomplizierter, den Boden einfach woanders wieder aufzuschütten. Damit landen über 27 der 40,8 Millionen Tonnen jedes Jahr auf Bodenaushubdeponien. Von diesen gibt es in Österreich schon 932, Tendenz steigend.

Durstige Deponie statt fruchtbarem Feld

Solange fleißig gebaut und kaum Aushub wiederverwertet wird, müssen Flächen in Deponien umgewandelt werden. Der Acker in Mittelberg wird momentan landwirtschaftlich genutzt. In zehn bis zwanzig Jahren sollte der Boden zwar mit einer Hummusschicht wieder fruchtbar gemacht werden, doch bis dahin würde dort mit Sicherheit nichts wachsen.

„Wir sehen ja ein, dass der Aushub irgendwo hin muss, aber dieser Ort ist überhaupt nicht geeignet“, meint Johannes Leitner. Das Dorf liegt mitten in der Zufahrt, seine Geschichte geht bis ins 12. Jahrhundert zurück. Dementsprechend sind auch die Straßen angelegt. Mehr als ein Lkw kommt auf einmal gar nicht durch. „Was ist mit den Kindern, die dort spielen? Was, wenn ein Unfall passiert?“, sorgt sich nicht nur Leitner. Es sind Fragen, die sich Menschen vielerorts bereits gestellt haben und noch stellen werden, wenn wir den Müll nicht vermeiden.

Hinzu kommt, dass Mittelberg in einer trockenen Region liegt. Die Deponie wird Zehntausende Liter Wasser brauchen. Wenn sich das, wie Anwohner:innen befürchten, auf das Grundwasser auswirkt, wäre das ein großes Problem. Viele Häuser in der Gegend haben eigene Brunnen und sind nicht an die Kommunalleitung angebunden. Im Gutachten zum Projekt ist das jedoch nicht erwähnt.

 

Hier in Mittelberg soll Müll landen

Hier in Mittelberg soll Müll landen
Foto: Christian Kittenberger

 

Ein fragwürdiges Gutachten

Johannes Leitner zählt weitere Ungereimtheiten auf. So wurden die Staub- und Windmessungen an einem anderen Ort durchgeführt – in Mittelberg weht der Wind mit etwa 6 Metern pro Sekunde, im Gutachten stehen nur 2–3. Bei Probebohrungen sei man auf eine Wasserleitung aus dem 19. Jahrhundert gestoßen, die ebenfalls nicht aufscheint. Durch die Deponie könnte die Quelle versiegen. Die Firma Regrub wollte sich auf Anfrage nicht zu dem Projekt äußern, bevor die Planung abgeschlossen sei.

Im April fand eine Verhandlung zwischen Firma und Gemeinde statt, bei der auch Expert:innen des Landes Niederösterreich vor Ort waren. Teile der Pläne wurden erst dort den Anwohner:innen mitgeteilt. So stellte sich heraus, dass zusätzlich eine Siebanlage geplant sei. Die würde nicht nur mehr Lärm und Staub bedeuten, sondern auch, dass fremdes Material – nicht nur Bodenaushub – in der Deponie gelagert und mit dem Staub in die Luft gelangen würde. Die Expert:innen beschlossen, dass neue Gutachten angefertigt werden müssen. Abgesagt ist das Projekt damit aber noch nicht.

Der Bodenverbrauch muss gestoppt werden

Dabei kann es sich Österreich nicht mehr wirklich leisten, noch mehr Boden zu verbrauchen. Man ist in dem Bereich schon trauriger Europameister. Durchschnittlich werden jeden Tag 12 Hektar verbaut. Rund 55 Prozent davon werden versiegelt, also von Beton oder Asphalt verdeckt. Das führt zu schwerwiegenden Problemen – Wasser kann nicht absickern, was bei Starkregen zu Überflutungen führt; gesunder Boden wird zerstört, obwohl wir dringend fruchtbare Flächen für den Anbau von Lebensmitteln brauchen; Tiere verlieren ihren Lebensraum, obwohl der heutige eh schon zu klein für den Erhalt der Artenvielfalt ist.

Gesunder Boden ist eine lebensnotwendige Ressource. Darüber wäre sich theoretisch auch die Politik einig: Schon 2002 setzte die Regierung das Ziel, den Verbrauch auf 2,5 Hektar pro Tag zu verringern. Passiert ist seitdem wenig. Der Bodenverbrauch steigt. Der Beschluss einer neuen Bodenschutzstrategie ist lange überfällig. Kürzlich wurde er erneut vertagt.

Umweltschädlicher Müll von Abriss und Sanierung

Erdaushub ist aber nicht der einzige Abfall, den die Bauindustrie produziert. Werden Bauten abgerissen oder umgebaut, fallen Schutt und Abbruchmaterialien an. Das ergibt weitere 11,4 Millionen Tonnen pro Jahr, 16 Prozent des gesamten Abfalls. Zwar werden davon bereits 70 Prozent recycelt, jedoch sorgt die Deponie der restlichen 30 Prozent für größere Probleme: Die Abfälle enthalten oft Schwermetalle oder Kunststoffe, die sich lösen und in die Umwelt gelangen können.

Etwa 20 Kilometer von Mittelberg entfernt liegt in Niederösterreich die Gemeinde Limberg. Die Bewohner:innen dort sind per Zufall auf eine Kundmachung im Internet gestoßen. Daraus erfahren sie: Bei ihnen soll eine solche Deponie gebaut werden. Sofort erhoben sie Einspruch. Im Ort ist bereits ein Steinbruch, der die Umwelt belastet. Sprengungen, Erschütterungen, Lkw und Staubschichten sind für die Bewohner:innen alltäglich. Das reicht.

Vor allem, da die meisten Bewohner:innen der Umgebung erst vor der zweiten Verhandlung über das Projekt erfahren haben, dass Asbestabfälle dort deponiert werden sollen. In der Kundmachung stand davon nichts. „Im Gespräch wird es heruntergespielt. Sie erzählen uns von Lehmziegeln und Fliesen. In den Unterlagen steht, dass Hochofenschlacke, Gift und Schwermetalle hier abgelagert werden sollen“, erzählt eine Bewohnerin aus der Umgebung. Ihren Namen möchte sie nicht in den Medien lesen. „Man fällt nur unangenehm auf. Viele trauen sich gar nicht, etwas zu sagen.“ Und der Unternehmer wisse, wie er die Leute im Dorf auf seine Seite bekomme. Ein gratis Feuerwerk hier, eine Teich für Libellen dort. In der Gemeindezeitung von Meissau bewirbt ein zweiseitiger Artikel die Notwendigkeit der Deponie. Zwei Fotos der Unternehmer lächeln daraus entgegen. Gegenstimmen liest man keine. Als Anzeige ist der Text nicht gekennzeichnet.

Unternehmen verdienen an Deponien – egal wo

Florian Hengl ist Chef des Steinbruchs und einer der Geschäftsführer der Ökopark Nord GmbH, die die Deponie errichten möchte. In einem Artikel der NÖN meint er, es handle sich um Abfälle aus der Gesellschaft. Jemand müsse sich darum kümmern. Es wären die Konsument:innen, die die Abfälle verursachten. Die würden ja nicht mit dem Gelben Sack verschwinden, meint der zweite Geschäftsführer der Ökopark GmbH, Gottfried Stark. „Bei der Infoveranstaltung haben sie uns Satellitenbilder unserer Häuser samt Dachbewertung hingelegt und behauptet, dass die Deponie für unseren Schutt notwendig wäre. Aber das ist nicht unser Müll alleine“, meint die Anwohnerin. Die Deponie ist auch nicht für den Müll aus dem Gelben Sack.

Natürlich treffen die Unternehmer damit einen Nerv. Wo gebaut wird, fällt Müll an. Eventuelle Sanierungsprojekte der 450 Einwohner:innen in Limberg und Straning in den gleichen Sack mit Großprojekten wie René Benkos Abriss des Leinerhauses zu werfen ist jedoch irreführend. Bauschutt fachgerecht entsorgen zu können, ist auch im Interesse der Limberger:innen. Giftigen Bauschutt vor ihrer Haustür zu haben, ist im Interesse der Unternehmer, die dort Grund verwalten. Von ihren wirtschaftlichen Anliegen sprechen sie im oben genannten Artikel nicht. Auf Anfrage wollte sich auch Florian Hengl nicht äußern.

„Wo investiert wird, wird gebaut“ – Florian Part, Institut für Abfall- und Kreislaufwirtschaft, BOKU Wien

Die Bewohner:innen sind besorgt

Die Worte der Unternehmer beschwichtigen die Anwohner:innen nicht. Auch hier stehen die nächsten Häuser weniger als einen Kilometer entfernt. Auch hier ist das Wasser knapp. „Schon die letzten Jahre ist es ein massives Problem. Wir merken es an der Staubbelastung“, erzählt die Anwohnerin. Für die Deponie müsste die Anfahrtsstraße konstant befeuchtet werden, um den Staub zu binden. Das braucht noch mehr Wasser.

Damit die Asbestfasern nicht in die Luft gelangen, kommen sie luftdicht verpackt an der Deponie an. Für die Anwohnerin ist das aber ebenfalls keine Beruhigung: „Wir wissen ja, dass ständig Unfälle passieren oder passieren können.“ Eine Asbestdeponie dürfe nicht so nah an einer Ortschaft geplant werden. Die Verantwortung auf die Bevölkerung als vermeintliche Verursacher:innen zu wälzen, findet sie nicht gerecht. „Die Bauindustrie verdient damit ja Geld, dann müssen sie auch die Lösung mitbedenken. Sonst stehen wir dann da mit diesen Zeitbomben.“

Bauen ist klimaschädlich

Wenn weiter fleißig gebaut und nicht mehr recycelt wird, muss mehr Fläche in eine Deponie umgewandelt werden. Doch Bauintensität ist keine Konstante. Und sollte auch nicht konstant bleiben. Je mehr Fläche verbaut ist, desto mehr Treibhausgase werden ausgestoßen. Die Bauindustrie verursacht 9 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen. Währenddessen stehen laut Schätzungen in Österreich schon 40.000 Hektar verbaute Fläche ungenutzt leer.

„Wo investiert wird, wird gebaut“, formuliert es Florian Part von der Universität für Bodenkultur (BOKU) in Wien. Und wo gebaut wird, fällt Abfall an. An Zero-Waste glaubt der Forscher vom Institut für Abfall- und Kreislaufwirtschaft hier nicht. „Außer es werden ausschließlich organische Materialien verwendet“, aber das sei nicht absehbar. Die Bauwirtschaft hat einen Rückkopplungseffekt: Die Bauindustrie verbaut Boden und produziert Abfall. Und um diesen Abfall zu deponieren, wird weitere Fläche verbaut. Von den 1.111 Deponien in Österreich sind 1.010 für Abfälle aus Bauaktivitäten.

Baustellen können nachhaltiger sein

Dass vor allem so wenig Erdaushub wiederverwendet wird, ist laut Part ein Problem des Marktes: „Einerseits fehlt Vertrauen in die Recyclingmärkte.“ Eine Gegenmaßnahme wäre, diese Märkte zu subventionieren. „Andererseits ist die Deponie relativ günstig. Es gibt einfach genug Deponien.“ Und solange weiter neue Deponien eröffnet werden, wird es wohl auch nicht teurer werden. Eine Erhöhung der Deponiegebühren von staatlicher Seite ist laut dem Ministerium für Klimaschutz nicht geplant. Auf Anfrage gab das Ministerium auch an, dass die Wiederverwertung von Bodenaushub keine Priorität habe. Schließlich gebe es genug.

Dass es besser möglich wäre, zeigen Beispiele wie die Seestadt Aspern. Mit dem Aushubmaterial konnte auf der Baustelle selbst der Beton für die ersten 3.000 Wohneinheiten hergestellt werden. Sogar Transportwege fielen dadurch weg. In der Biotope City in Wien Favoriten wurden 50.000 Quadratmeter Fläche entsiegelt und begrünt – ein ganzes Stadtquartier. Um Gelände und Infrastruktur zu konstruieren, wurde die gesamte Baurestmasse des Abrisses aufbereitet und der größte Teil direkt wieder verbaut. Solche Maßnahmen könnten einfach vom Staat vorgegeben werden. In der Schweiz gibt es ein Punktesystem für öffentliche Ausschreibungen – Recycling-Baustoffe zu verwenden ist verpflichtend. Ob ein Unternehmen einen Auftrag bekommt, hängt damit auch davon ab, wie nachhaltig es baut.

Weniger bauen, weniger Abfall

Mehr Materialien wiederzuverwenden und zu recyceln ist wichtig. Doch an erster Stelle der Abfallhierarchie steht Vermeidung. „Weniger zu bauen ist der größte Hebel, um weniger Abfälle zu produzieren“, meint Part. Das würde auch den Flächenverbrauch verringern – zwei Probleme, eine Lösung. Davon findet sich im Abfallwirtschaftsplan des Klimaschutzministeriums nichts. Obwohl mehrmals angemerkt wird, dass die Bauindustrie als größte Verursacherin von Abfall auch ein großes Einsparpotential hätte.

Die lässt sich natürlich nicht gern einschränken. „Es ist halt auch unser Wirtschaftsleben“, schließt Florian Part. „Wachstum, Wachstum, Wachstum.“ Die Umweltschutzorganisationen WWF fordert eine Obergrenze für den Flächenverbrauch – und damit auch für Neubauten. Ein gewisses Maß an Bauaktivität ist für unsere Gesellschaft eindeutig notwendig. Um die Energieeffizienz unserer Gebäude zu erhöhen, muss saniert werden – auch die Dächer der Einwohner:innen von Limberg, Straning und Mittelberg. Wenn aber gebaut wird, um die Profite der Bauunternehmen zu steigern oder um Spekulationsobjekte zu errichten, profitiert die Gesellschaft nicht. Schon gar nicht, wenn dafür die Umwelt zerstört und unsere Gesundheit gefährdet wird.

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